Essen. Die Katholische Kirche leidet unter Priestermangel. Im Bistum Essen dürfen nun auch Frauen taufen. Sabine Lethen gehört zu den Pionierinnen.
Als das Bistum Essen vor einigen Monaten bekanntgab, dass von nun auch Frauen das Sakrament der Taufe spenden dürften, da glich das einer kleinen Sensation. Das Ruhrbistum war mit der schlagzeilenträchtigen Entscheidung bundesweiter Vorreiter. Viele sahen darin einen wichtigen Fortschritt in der Debatte um eine stärkere Einbindung von Frauen in den Kirchendienst.
Eine dieser Frauen ist Sabine Lethen, Gemeindereferentin in der Pfarrei St. Josef, wo sie zusammen mit Stefanie Czernotta im Oktober 2021 als das erste weibliche Leitungs-Duo im Bistum Essen berufen wurde. Dass in der Pfarrei im Essener Nordwesten zuletzt häufiger TV-Teams vorbeischauten, hängt aber auch damit zusammen, dass die 64-Jährige zu den republikweit ersten Taufspenderinnen gehört, die Bischof Franz-Josef Overbeck vor ein paar Monaten beauftragt hat. Dem besonderen medialen Interesse an ihrem neuen Amt begegnet Lethen mit Gelassenheit. Ihr geht es vor allem darum, die Menschen zu erreichen, gerade an Weihnachten.
Das schmucklose, weiße Gewand tragen die nicht geweihten Brüder und Schwestern
Wenn sie am Heiligen Abend den Familiengottesdienst in St. Franziskus in Bedingrade leitet, dann trägt sie das schmucklose, weiße Gewand, das für die nicht geweihten Brüder und Schwestern in der katholischen Kirche vorgesehen ist, dem Taufkleid nicht unähnlich. Sabine Lethen gehört zur Schar der getauften Laien, die angesichts des massiven Priestermangels mittlerweile schon so manche seelsorgerische Aufgaben übernehmen dürfen, aber längst noch nicht alle.
Kirche begleitet die Essenerin dabei schon von Kindheit an. Lethen arbeitet im ersten Berufsleben als Erzieherin, bekommt vier Kinder und beginnt mit 40 zunächst ein Studium der Sozialpädagogik. Dann stößt sie auf die Ausbildung zur Gemeindereferentin und ist sich bald sicher: „Das ist es.“ Drei Jahre dauert das Studium an der Fachakademie in Gelsenkirchen. Es folgen drei weitere Jahre praktischer Arbeit, in Gemeinde und Schule, bis der Bischof sie schließlich offiziell entsendet. Beim Kita Zweckverband wird Lethen unter anderem Referentin für Religionspädagogik, 2017 kommt sie in die Gemeinde St. Paulus, die zur Pfarrei St. Josef mit Bedingrade, Dellwig, Frintrop, Gerschede und Schönebeck gehört. Seit Herbst 2021 ist sie nun Pfarrbeauftragte.
Die beruflichen Zwischenstationen, die Familienzeit, all das empfindet Sabine Lethen heute als Bereicherung „Das fließt mit ein in mein Seelsorgerdasein.“ Mit Beerdigungen hat es zunächst angefangen, die mittlerweile auch Ehrenamtliche übernehmen können. Die Taufe dürfen Lethen und die mittlerweile über 20 Pastoral- und Gemeindereferentinnen nun ebenfalls spenden. Nur das Sakrament der Ehe bleibt weiterhin in der Zuständigkeit von geweihten Priestern und Diakonen. Das katholische Kirchenrecht ist da ebenso komplex wie fest zementiert. Ein Bollwerk, an dem auch Initiativen wie Maria 2.0 zuletzt abgeprallt sind.
„Das Bistum Essen wagt Dinge, die woanders noch nicht gewagt werden“
Gleichwohl: „Das Bistum Essen wagt Dinge, die woanders noch nicht gewagt werden“, lobt Sabine Lethen. Neue Wege zu gehen, die mit dem Kirchenrecht kompatibel sind und sich doch stärker an den Bedürfnissen der Zeit orientieren, „das sei schon mutig“. Und doch sei die Entscheidung, Frauen einzubinden, vor allem „aus der Not geboren, nicht aus Einsicht“. Denn dem Bistum Essen fehlt wie vielen das Personal. Pfarreien werden zusammengelegt, Priester und Diakone können nicht am Fließband die Sakramente erteilen. Zumal Eltern und Taufpaten, die der katholischen Kirche trotz massiver Austrittswelle treu geblieben sind, durchaus Erwartungen an eine „individuelle Begleitung und Gottesdienst-Gestaltung“ hätten, heißt es aus dem Bistum.
Hinhören, aufmerksam sein und auch mal Neues auszuprobieren, das macht Sabine Lethen die größte Freude, wenn sie nicht gerade mit Verwaltungsarbeit, Gottesdienstplanung und anderen Organisationsfragen des Pfarreilebens beschäftigt ist. Viele neue Aktionen haben auch Erfolg. Wie die Segnungsgottesdienste für Schwangere und Neugeborene, die sie in St. Josef anbieten, „da geht einem das Herz auf“, sagt Lethen. Oder die Segnung von Paaren am Valentinstag, die zuletzt so viel Anklang gefunden hat. Lauter glückliche Frischverliebte und Langverheiratete hatten sich da eingefunden. „Leuten, denen es einfach mal guttut zu hören: ,Du bist ein geliebtes Kind’“, erzählt Lethen.
Die Segnung für Paare am Valentinstag kommt gut an
Die 64-jährige Mutter und Großmutter kennt aber auch die Vorbehalte und Kritikpunkte, die immer mehr Menschen von der Kirche entfremden. Und das Beharren auf patriarchale Strukturen habe auch sie selber oft geärgert; beschneide sich die Kirche damit doch selbst, indem sie 50 Prozent der Mitglieder per se von wichtigen Aufgaben ausschließe.
Aber Lethen will bei allem erkennbaren Reformbedarf doch nicht ungeduldig sein. „Es gab in der Geschichte immer Übergänge, die muss man gestalten. Vielleicht ist das unsere Herausforderung.“ Denn noch gehe die Debatte über die Einbindung von Frauen auch in St. Josef in zwei Richtungen: „Die einen sagen, ‘endlich, wurde auch Zeit’“, erzählt Lethen. Die anderen pflegten weiterhin das Priester-zentrierte Weltbild, in dem Männer nun einmal die natürliche Autorität bildeten. Aber nur ein einziges Mal habe sich ein Gemeindemitglied nach der Bistums-Entscheidung am Telefon gemeldet und betont: „Mein Kind wird von einem Priester getauft, dass das mal klar ist.“ Für die meisten Eltern mache es hingegen keinen Unterschied, ob das Kind von einem Mann oder einer Frau getauft wird. „Hauptsache, es ist eine gute und lebendige Begegnung“, findet Lethen.
Nicht zuletzt die Missbrauchsskandale in der katholischen Kirche hätten die Situation verändert. Als die Entscheidung des Bistums im vergangenen März durch die Nachrichten ging, hat Sabine Lethen sogar einen Anruf von einer gebürtigen Essenerin bekommen, die mittlerweile nach Hamburg gezogen war. Für die junge Frau stand sofort fest, dass sie ihr Kind nun unbedingt in Essen von einer Frau taufen lassen müsse.
„Die heute in die Kirche gehen, kommen nicht aus Gewohnheit“
Taufen, Beerdigungen, kirchliche Hochzeiten – als das sei „dramatisch weniger geworden“, berichtet Lethen. Doch der Wunsch nach Gemeinschaft sei den Menschen ja nicht verloren gegangen. „Die, die heute in die Kirche gehen, kommen nicht aus Gewohnheit, sondern weil sie das wirklich wollen. Die Begegnungen, die wir haben, sind echt und tief“, sagt die Esserin. Andere würde es nach langer Pause an bestimmten Wendepunkten des Lebens wieder in die Kirche ziehen. Manche auch nur an Weihnachten. Sabine Lethen heißt sie alle willkommen.