Essen. Die marokkanische Community in Essen ist im WM-Fieber. Selbst gegen Weltmeister und Top-Favorit Frankreich trauen sie Marokko eine Sensation zu.

Die sensationellen Erfolge der marokkanischen Fußball-Nationalmannschaft bei der WM in Katar elektrisieren auch die marokkanische Community in Essen. Mit ihr drücken auch Menschen aus vielen anderen Ländern dem Außenseiter beim David-Goliath-Halbfinale gegen Titelverteidiger Frankreich am Mittwochabend (14. Dezember, 20 Uhr) die Daumen. Marokko hat schon jetzt Fußballgeschichte geschrieben: Es ist das erste afrikanische und arabische Land, das die Runde der letzten Vier erreicht hat. Nun greifen sie nach dem Weltpokal.

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Das „Petit Marrakesch“ in Essen-Holsterhausen, ein kleines marokkanisches Spezialitäten-Restaurant, zeigt an diesem Mittwoch Flagge. „Ich bin extra nach Düsseldorf gefahren und habe Fahnen und Trikots besorgt“, sagt Inhaber Najib Britechi. Der fußballbegeisterte Gastronom, der in der Nähe von Marrakesch aufgewachsen ist und seit 2010 in Deutschland lebt, sieht sein Heimatland nach den Siegen gegen Spanien und Portugal auch gegen den amtierenden Weltmeister auf der Siegerstraße. Seine Prognose: „Wir besiegen Frankreich und werden im Finale gegen Kroatien Weltmeister.“

Jugendgruppe der Alfaruq-Moschee schaut Halbfinale gegen Frankreich gemeinsam

Die Jugendgruppe der Alfaruq-Moschee schaut das Halbfinale zwischen dem Außenseiter Marokko und dem Favoriten Frankreich an diesem Mittwoch gemeinsam. Alle trauen Marokko eine weitere Überraschung zu. „Marokkos Erfolge in Katar rücken das ganze Land in ein besseres Licht“, sagen sie.
Die Jugendgruppe der Alfaruq-Moschee schaut das Halbfinale zwischen dem Außenseiter Marokko und dem Favoriten Frankreich an diesem Mittwoch gemeinsam. Alle trauen Marokko eine weitere Überraschung zu. „Marokkos Erfolge in Katar rücken das ganze Land in ein besseres Licht“, sagen sie. © GN

Ein paar Kilometer Luftlinie von der charmanten Couscous-Bar entfernt, in der Alfaruq-Moschee in der Bersonstraße (Nordviertel), fiebern sie ebenfalls mit Marokko. Allen voran Mouaad (19), der ein Technik-Gymnasium besucht und dessen Eltern aus Marokko stammen. Gerne rollt der fußballbegeisterte junge Mann fürs Foto im großen Gebetssaal die rote Landesfahne mit dem grünen Stern aus. „Marokko wird 2:1 gegen Frankreich gewinnen“, sagt er und fügt hinzu: „Wenn sie das schaffen, werden sie auch das Finale gewinnen.“

Das Halbfinale wird in der Alfaruq-Moschee übertragen. „Ich schaue mir das Spiel mit der Jugendgruppe an“, sagt Mouaad. Dem muslimischen Nachwuchs gehören junge Männer und Frauen mit unterschiedlichen arabischen Wurzeln an, ihre Eltern stammen aus Syrien, Libanon und Marokko. Eine von ihnen freut sich auf „ein tolles Event“ in der Gemeinschaft. Eine andere erinnert daran, dass Marokko und andere arabisch-afrikanische Länder mit kolonialer Vergangenheit bislang nicht sehr oft Grund zu feiern gehabt hätten. Nun rückten Marokkos Erfolge bei der Fußball-WM einen ganzen Kontinent in ein positives Licht. „Marokko und auch die anderen Länder haben sehr viel zu bieten“, sagen sie.

Couscous-Bar „Petit Marrakesch“ in Essen: „Positiv für die gesamte arabische Welt“

Die ausgelassenen Siegesfeiern auf dem Berliner Platz in Essen nach Marokkos Triumphen gegen Spanien und Portugal täuschen darüber hinweg, dass die Fankultur in der kleinen Community längst nicht so ausgeprägt und ritualisiert ist wie in der Mehrheitsgesellschaft. Public Viewing und Rudelgucken, die Aufmachung im jeweils neuesten Nationaltrikot und die Nationalfahne an der Hausfassade – Vergleichbares gibt es in der marokkanischen Community noch nicht. Auch das historische Match gegen Frankreich werden die meisten Marokkaner in Essen wohl zu Hause im Wohnzimmer im Kreise der Familie erleben.

„Den Fußball-Krimi gegen Portugal habe ich in der Restaurant-Küche geschaut“, erzählt Najib Britechi. Mit der einen Hand habe er Tajine und Couscous zubereitet, mit der anderen das Handy gehalten und aufs kleine Display geschaut. Selbst das Hochspannungs-Spiel gegen Frankreich werde im „Petit Marrakesch“ nicht per Fernseher übertragen.

Mit Najib Britechi fiebern auch seine Frau Anette und Töchterchen Emma (14). „Ich bin eigentlich gar kein Fußballfan“, gesteht die Sozialpädagogin, die bei einem evangelischen Kindergarten auf der Margarethenhöhe beschäftigt ist. „Aber jetzt spüre ich, dass die Erfolge der marokkanischen Nationalmannschaft in Katar positiv für die gesamte arabische Welt sind.“ Najib Britechi telefoniert täglich mit seinen Brüdern und Schwestern in Marokko. „Alle sind stolz.“

Mouaad (19) von der Alfaruq-Gemeinde kennt die Aufstellung der marokkanischen Nationalelf in- und auswendig und auch die WM-Bilanz der „Atlas-Löwen“ der letzten Jahrzehnte. Selbst der jungen Syrerin aus der Jugendgruppe gehen die Namen marokkanischer WM-Stars leicht über die Lippen. „Ich kenne den Torwart Bono und den Verteidiger Hakimi“, sagt sie und lacht. Sie hofft, dass es auch gegen Frankreich wieder klappt: „Sich über Fußball-Erfolge freuen und die Sorgen des Alltags beiseitelassen.“