Essen. Immer neue Millionenprojekte und keine Konsolidierung: Bei Ex-Bänker Hubert Schulte-Kemper kommt ein Schneeball-System nun als Lawine zurück.
Er hat die Schuldigen ausgemacht, und seine Liste ist lang. Drei Fonds-Gesellschaften stehen ganz weit oben: Für ihn sind das notorische Halsabschneider, die finanzielle Notlagen ausnutzen; die mit ihren Brigaden von Juristen nur die Haare in seiner Erfolgssuppe suchen und denen man irgendwie das Handwerk legen müsste, aber das dauert, natürlich.
Dann wären da noch Leute, die Förderzusagen nicht einhalten. Der ungarische Staat, der mit seiner in Aussicht gestellten Firmenbeteiligung nicht aus dem Quark kam. Die funktionsuntüchtigen Kreditmärkte, natürlich die Corona-Pandemie, „jetzt die Ukraine-Sache“, und dazu hie und da „irgendwelche Schlechtschwätzer“ mit ihrem Runtergerede von allem und jedem. Ach, fast vergessen: Diese verdammte Großtrappe, ein mancherorts vom Aussterben bedrohter Vogel mit einer Flügelspannweite von rund 240 Zentimetern, über den noch zu reden sein wird.
Der Einsatz soll sein Lebenswerk erhalten. Aber womöglich ist es dafür schon zu spät
Nur von der Huttropstraße 60, dem Sitz seiner Fakt AG in der alten Ruhrgas-Zentrale in Essen, und von seinen vertrauten Vorständen und Aufsichtsräten steht keiner auf der Liste. Er selbst als Haupteigentümer und langjähriger Vorstandschef selbstredend auch nicht, im Gegenteil: Während der vorläufige Insolvenzverwalter Gregor Bräuer seit dem 10. November versucht, einen Überblick zu bekommen, um im umtriebigen aber insolventen Immobilienkonzern Fakt zu retten, was noch zu retten ist, zieht Hubert Schulte-Kemper weiter an den Strippen, als wäre nichts gewesen. Als wäre er immer noch im Vorstand, dem er seit ein paar Wochen gar nicht mehr angehört, als hätte die alte Garde das Sagen, obwohl das Insolvenzrecht klar dessen Entmachtung verfügt.
Aber Schulte-Kemper, den sie alle nur „HSK“ nennen, kann halt nicht still sitzen, nicht in Essen und nicht auf Gran Canaria, wohin er sich kurzzeitig begeben hatte: Sein Einsatz gilt dem Erhalt seines Lebenswerks. Aber womöglich ist es dafür schon zu spät.
Fünf weitere Gesellschaften haben Insolvenz angemeldet, weitere könnten bald folgen
Denn an allen Ecken und Enden bröckelt es in dem weit verzweigten Fakt-Firmenkonstrukt mit seinen 35 Tochter- und Projektgesellschaften: Nach der Mutter-AG mussten bereits fünf weitere Gesellschaften Insolvenz anmelden, die drei „Fakt Liegenschaften“-Firmen aus Bochum, Essen und Paderborn, die Fakt Shamrockpark GmbH und dazu die Fakt Tower GmbH und Co. KG.; weitere dürften folgen.
Parallel dazu wackeln auch zwei Lieblingsprojekt HSKs, sein gigantisches Farm-Projekt in Ungarn und ein kleinerer Ableger im sachsen-anhaltinischen Arneburg bedenklich. Man sei, so hieß es vor zwei Wochen bei der zuständigen Agriculture Park AG „besorgt über die Liquiditätslage der Gesellschaft“, das klingt nicht gut.
Aber damit nicht genug: Der Redaktion liegen eine Vielzahl interner Dokumente vor, die allesamt zeigen, wie dramatisch sich die finanzielle Lage in einzelnen Fakt-Unternehmungen darstellt, aktuell wie auch mit Blick auf die nächsten Monate bis Ende Januar 2023. Stürzt das kleine Imperium im Ruhrturm zusammen wie ein zu hoch gestapeltes Kartenhaus?
Schon im Februar gab es Alarm: Das Gehalt sollte erst später ausgezahlt werden
Überraschen dürfte eine solche Entwicklung jedenfalls niemanden in der Branche. Denn während mit Trompetenschall und Schalmeienklang der Öffentlichkeit jahrelang immer neue Projekte mit immer neuen Millionen und Abermillionen präsentiert wurdven, wo keine Nummer zu groß geraten, kein Vorhaben zu riskant kalkuliert schien, schrillten interne Alarmglocken bereits an einem Februar-Abend durch die Flure an der Huttropstraße 60.
Wenn der Flurfunk es nicht ohnehin schon an ihre Ohren getragen hatte, erfuhren da die „lieben Kolleginnen und Kollegen“ um 18.45 Uhr per E-Mail, dass sich die Gehaltszahlung für Februar „leider um einige Tage verzögern“ werde. Man warte seit ca. fünf Tagen auf einen Kreditvertrag in Millionenhöhe, schrieb der dreiköpfige Fakt-Vorstand, aber keine Sorge: Grundsätzlich gehe die Ampel „in Richtung grün“.
HSK an den NRW-Finanzminister: „…wende ich mich heute in einer Notlage an Sie…“
Tatsächlich hatte sie nur elf Tage zuvor noch knallrot geleuchtet – nachlesbar in einem Brief Schulte-Kempers an den damaligen NRW-Finanzminister Lutz Lienenkämper, in dem der Fakt-Chef („…wende ich mich heute in einer Notlage an Sie…“) das Land um eine „Übergangsfinanzierungshilfe“ bat. Größenordnung: drei Millionen Euro.
„Die Bittsteller-Rolle ist mir eigentlich fremd“, bekannte HSK dort, wo man doch „ein an sich sehr vermögendes Unternehmen“ sei. Allerdings leide man akut unter millionenschweren Einbehalten bei den jüngsten Immobilienverkäufen. Kurzum: „Ich bin Ihnen zu tiefem Dank verpflichtet, wenn wir diesen Weg gehen könnten.“
Ob der Weg mit Landeskrücke beschritten wurde, muss offen bleiben. Denn Bürgschaften zur Wirtschaftsförderung unterliegen in allen Bereichen der Vertraulichkeit, selbst die Angabe, ob durch die Fakt überhaupt eine Landesbürgschaft beantragt wurde, mag das NRW-Finanzministerium auf Nachfrage nicht bestätigen. Fest steht: Über Wochen und Monate stand es schon damals im Hause Spitz auf Knopf, und während der Vorstandschef in Interviews darüber sinnierte, wie sich Abwärme für die Energiewende nutzen lässt, kämpfte man intern damit, die Faulgase der eigenen Finanzprobleme möglichst stiekum zu entsorgen. Selbst das böse I-Wort war plötzlich nicht mehr tabu: Insolvenz.
Zum 1. März für die Fakt-Gruppe die Zahlungsfähigkeit nicht hinreichend nachgewiesen
In nüchterner Klarheit gelang es einem Vertreter der Rechtsanwalts-, Steuerberater- und Wirtschaftsprüfer-Kanzlei dhs in einer Krisensitzung mit gleich 15 Beteiligten Mitte März die bittere Wahrheit zu verkünden: Für vier zentrale Unternehmungen hatte er exemplarisch die Zahlen geprüft. Ergebnis: Zum Stichtag 1. März gab es dort eine Unterdeckung von 5,6 Millionen Euro und gestundete Verbindlichkeiten in Höhe von 22,6 Millionen. „Auf Basis dieser Erkenntnisse“, so vermerkt das Protokoll der Runde, sei just am Sitzungstag „für die Fakt-Gruppe die Zahlungsfähigkeit somit nicht hinreichend nachgewiesen“.
Das war der Moment für die herbeigerufenen Sanierungsexperten, und deren Devise hieß: Füße stillhalten. Fällige Forderungen nicht ernsthaft einfordern lassen. Stundungsabsprachen treffen. Die flüssigen Mittel steuern. Was das bedeutet, wissen beauftragte Handwerks- und Service-Unternehmen aus jenen Tagen und mancher bis heute nur zu genau: Sie mussten oft lange auf ihr Geld warten, neue Aufträge aus dem Ruhrturm der Fakt AG nahm manch einer gar nicht erst an, andere bestanden prinzipiell auf Vorkasse.
Plan B schon in der Schublade: Das Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung
Für Fakt waren diese Forderungen Kinkerlitzchen, denn es stand viel mehr auf dem Spiel, weshalb sogar erwogen wurde, Immobilien flugs zu Geld zu machen, um wieder flüssig zu werden: Bis zu 15 Millionen Euro galt es – wo auch immer – heranzuschleppen, damit die Fakt-Gruppe bis zur Jahresmitte durchfinanziert war, bis zu neun Millionen brauchte es allein bis Ende März. Sollten diese Bemühungen scheitern, wollte man gleichwohl Plan B schon in der Schublade haben - die Papiere für ein Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung.
Die Öffentlichkeit erfuhr von alldem nichts. Stattdessen gab es neue grandiose Immobilien-Versprechen: Um etwa im Ruhrgebiet mehr bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, packte die Fakt Wohnungsbau AG (FAWAG) am 4. Mai die große Wundertüte aus und präsentierte gemeinsam mit sieben Revier-Städten und der Landesregierung NRW eine ehrgeizige Absichtserklärung: Auf einer Gesamtfläche von nicht weniger als 450.000 Quadratmetern, so hieß es da, wolle man 4000 neue und bezahlbare Wohnungen und damit „qualitativ hochwertige, generationenübergreifende, lebendige neue Quartiere schaffen“.
Dass bei der Fakt-Gruppe Feuer unterm Dach war, blieb zum Pressetermin unerwähnt
Mutig anpacken, während sich die meisten Wohnungsbaufirmen angesichts explodierender Baupreise und vervielfachter Zinssätze bereits achselzuckend von Projekten verabschieden – das schien ein ermutigendes Signal, zumal im laufenden Landtagswahlkampf. Also zückte Ina Scharrenbach, Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung, den Stift und strahlte mit den Stadt-Vertretern und HSK beim Pressetermin gemeinsam um die Wette.
Dass bei der Fakt-Gruppe derweil Feuer unterm Dach war, blieb dabei unerwähnt, und obwohl die beteiligte Wohnungsbaufirma FAWAG zum Zeitpunkt der vollmundigen Abmachung gerade mal knapp zwei Jahre alt war, schöpfte niemand Verdacht: „In Ruhrgebietsstädten wurden über die Eigentümerfamilie über viele Jahre Projekte vorangetrieben“, heißt es in diesen Tagen auf Nachfrage beim Ministerium entschuldigend, ein großer Energieversorger aus dem Ruhrgebiet sei ja „ebenfalls mit an Bord“ gewesen, und Förderzusagen – im Gespräch waren bis zu 1,5 Milliarden Euro – wären 2023 ohnehin erst nach einer detaillierten Bonitätsprüfung des Investors geflossen.
Will sagen: Nix passiert. Die Reißleine hätte man zu einem späteren Zeitpunkt schon noch ziehen können. Heute sieht man die Sache im Ministerium noch etwas nüchterner: „Die Insolvenz der Fakt AG ist ein herber Schlag in das Kontor“, lässt ein Sprecher verlauten, aber die Wohnbaupläne seien ja nicht verkehrt, vielleicht stünden irgendwann andere Investoren parat.
In Sachsen-Anhalt ließ sich gar der Ministerpräsident das Fakt-Projekt vorstellen
Immerhin, mit dem Frust, dass man da vielleicht Wolkenkuckucksheimen hinterher träumte und dass außer wohlfeilen Worten womöglich nichts aus den kühnen Plänen wird, bleibt die NRW-Bauministerin nicht allein zurück: Auch in Sachsen-Anhalt, in der strukturschwachen Gegend um Arneburg an der Elbe, gibt es in diesen Wochen lange Gesichter, denn hier präsentierte Fakt-Chef Hubert Schulte-Kemper ein ehrgeiziges Gewächshaus-Projekt, das nicht nur die örtliche Politikerschar von einer Zukunft als Wirtschaftszentrum der östlichen Altmark träumen ließ.
Zu Fototermin und informeller Runde rückte im Herbst 2020 Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff persönlich an und frohlockte über Pläne, auf dem 40 Hektar großen Gelände eines einst geplanten, am Ende aber nicht gebauten RWE-Steinkohlekraftwerks im Landkreis Stendal Tomaten und Paprika im großen Stil anzupflanzen. Das ausgefuchste Konzept setzte trickreich auf die bislang ungenutzte Abwärme eines nahe gelegenen Zellstoffwerks und sollte der strukturschwachen Region bis zu 300 Arbeitsplätze bescheren.
Auch eine Onshore-Zuchtanlage für Meeresfische, eine Pilzzucht, ein Verpackungswerk sowie Wohngebäude und ein Hotel waren in Aussicht gestellt. Größenordnung der geplanten Investition - nicht weniger als 350 Millionen Euro. Nein, HSK kleckert nicht, er klotzt.
Ein Giga-Gewächshaus-Komplex in Ungarn als „europäisches Landmarkenprojekt“
Und deswegen gibt es Pläne für ein zweites, ähnlich gelagertes Projekt im Nordwesten Ungarns: Nur ein paar Kilometer von der österreichischen Grenze und ein paar Autominuten von der slowakischen Hauptstadt Bratislava entfernt, in der kleinen ungarischen Tiefebene zwischen den Grenzorten Hegyeshalom und Bezenye, soll auf einem Entwicklungsareal von rund 374 Hektar gleichfalls eine gigantische Gewächshaus-Landschaft entstehen: Ein Europäisches Landmarkenprojekt, drunter machen es Schulte-Kemper – übrigens ungarischer Honorarkonsul – und sein Team an der Huttropstraße halt nicht. Entstehen sollte bei aller Bescheidenheit „der größte integrierte Agrar-, Industrie- und Logistikpark in Zentraleuropa“. Das Grundstück hatte man dem Vernehmen nach im Rahmen einer Zwangsversteigerung erworben.
Ein paar Jahre zuvor schmiedeten hier Großinvestoren den spektakulären Plan eines Mega-Casinoprojekts namens „Eurovegas“, doch dem Vorhaben blieb das erforderliche Spielerglück abhold: Es wurde nichts aus dem Jeton-Paradies im Dreiländereck, und als HSK und Co. ihre Gemüsegarten-Ideen präsentierten, kamen diese der Regierung in Budapest gerade recht. Dem Vorhaben, das unter dem Namen Lajtania Park firmiert (lajtania = Ungarisch für „spielen“) wurde staatlicherseits ein fraglos genehmigungsförderlicher „VIP-Status“ verliehen. Zudem stand neben Fördermitteln auch eine staatliche Firmenbeteiligung in Aussicht.
Triumph nach dem Treffen im Budapest: „Kurz gesagt: Es war der Durchbruch“
Noch im Juli vergangenen Jahres, Hubert Schulte-Kemper war gerade von einem Treffen mit zwei Staatssekretären der ungarischen Regierung in Budapest zurückgekehrt, ertönte deshalb Triumphgeheul im Ruhrturm: „Kurz gesagt: Es war der Durchbruch zum Start der Zusammenarbeit mit der ungarischen Regierung!“ vermeldete HSK da mit großem E-Mail-Verteiler. Seine Glückssträhne hielt auch an, als der Naturschutz in Gestalt der Großtrappe das Vorhaben auf der Zielgeraden noch zu torpedieren drohte.
„Otis tarda“, mit bis zu 17 Kilogramm Lebendgewicht einer der schwersten flugfähigen Vögel überhaupt, brachte das Projekt zeitlich etwas aus der Bahn, am Ende aber nicht mehr zum Absturz. „Dass wir die nicht vorhandene Großtrappe erst einmal besiegen mussten, hätten wir auch nicht gedacht, aber so war es nun einmal“, schrieb HSK im Dezember 2021, als der Bebauungsplan in Sichtweite kam. Jetzt könne man „in die Vollen gehen“.
Die Raiffeisenlandesbank Oberösterreich zog die Patronatserklärung hervor
Insgesamt 25 Millionen Euro investierten HSK und Fakt alles in allem in die ungarische Idee, aber so recht gedeihen mochte da auf die Schnelle offenbar nichts, nicht zuletzt wohl, weil die Finanz-Gießkanne leer war. Stattdessen landete schon wenige Monate später unangenehme Post im Briefkasten: Mitte Juni meldete sich aus Linz die Raiffeisenlandesbank Oberösterreich per Einschreiben Rückschein beim Vorstand der Fakt AG und beklagte, dass die für den ungarischen Giga-Gemüsegarten gewährten Kredite der Tochterfirma Lajtania Park Kft „trotz mehrfacher Verlängerung nicht abgedeckt“ worden seien. Damit aber sei jene Patronatserklärung aus dem Jahr 2019 verletzt, in dem die Fakt-Mutter die Verpflichtung übernommen hatte, das Unternehmen jederzeit flüssig zu halten.
„Unverzüglich“ solle die Fakt AG nun also den Betrag von fünf Millionen Euro zuzüglich weiterlaufender (Verzugs-)Zinsen überweisen, andernfalls drohten gerichtliche Schritte.
Eine unangenehme Botschaft in vier dürren Zeilen: Die Zwangsversteigerung droht
Die Bank zu besänftigen, gelang trotz eingeschalteter Sanierungs-Experten offenbar nicht. Wie auch? Es war, so zeigen diverse interne Belege, eine Zeit höchster finanzieller Anspannung im Fakt-Imperium: Fällige Jahresraten gerieten in Verzug, es drückten hohe Mietgarantien auf die Bilanz, von Geldgebern wurden selbstschuldnerische Bürgschaften in siebenstelliger Höhe gezogen und selbst für Kleinbeträge mussten intern Umbuchungen vorgenommen werden, weil Überziehungslimits erreicht waren.
Am 7. November dieses Jahres meldete sich dann der Prokurist der Raiffeisenlandesbank Oberösterreich per Mail bei der von der Fakt beauftragten Sanierungs-Kanzlei und presste eine unangenehme Botschaft in vier dürre Zeilen: Die wirtschaftliche Situation der Fakt-Gruppe, das Fortführungskonzept – alles gut und schön, aber „bedauerlicherweise sehen wir uns nicht in der Lage, mit der Einleitung von Verwertungsschritten weiter zuzuwarten“, stand da. Mittlerweile seien deshalb die hauseigenen Anwälte in Ungarn „beauftragt, das Verfahren zur Einleitung des Zwangsversteigerungsverfahrens aufzunehmen“. Freundliche Grüße.
Wie bei einem zähen Kaugummi hängt bei Fakt eben alles mit allem zusammen
Nach den wackeligen Wohnbauträumen nun auch das ungarische Grundstück auf der Verwertungs-Resterampe, die Träume von blühenden Gewächshaus-Landschaften geplatzt? Damit drohen zwei wesentliche Zukunfts-Bausteine des Fakt-Konstrukts zusammenzubrechen, denn zwar ist die Agriculture Park AG „eine separate Unternehmung für Ungarn und die Stadt Arneburg“ und damit vom laufenden Insolvenzverfahren „nicht betroffen“, wie der vorläufige Insolvenzverwalter noch am 10. November betonte.
Doch nach Informationen dieser Zeitung wurden zur Finanzierung jener 25 Millionen Euro, die für die ungarische Projektentwicklung bislang flossen, zehn Millionen Euro auf das Einkaufszentrum Marler Stern aufgenommen. Wie bei einem zähen Kaugummi hängt bei Fakt eben alles mit allem zusammen und Hubert Schulte-Kemper als Haupteigentümer mittendrin.
Auf den zweiten Blick zeigt sich: Es ist wohl nicht alles Betongold, was da glänzt
Wo aber so viel fest miteinander verkantet ist, die eine Karte ohne die andere keinen rechten Halt findet, steigt das Risiko, mit dem Verlust eines Segments gleich das ganze Kartenhaus zum Einsturz zu bringen. „Quatsch“, bügelt Hubert Schulte-Kemper solcherlei Mutmaßungen gerne ab und schwärmt von den gigantischen Milliarden-Werten, die unterm Fakt-Dach geschaffen und entwickelt wurden. Der „Ruhrturm“ in der alten Essener Ruhrgas-Zentrale und der „Ruhrtower“ im Rheinstahl-Hochhaus am Essener Hauptbahnhof, das Einkaufszentrum Marler Stern, die ehemalige Vonovia-Zentrale oder auch der Shamrock-Park, in dem einst die RAG residierte, um nur einige zu nennen.
Erst auf den zweiten Blick zeigt sich: Es ist wohl nicht alles Betongold, was da glänzt, vieles auf Pump gekauft und manche Sanierung am Ende doch nicht so durchgreifend wie behauptet, wie sich etwa im Ruhr Tower besichtigen lässt, dem ersten Wolkenkratzer der Stadt und den Älteren als Rheinstahl-Haus bekannt. Dort drohte etwa das Co-Working- Unternehmen Design Offices Berlin, mit immerhin 6600 Quadratmetern Hauptmieter, schon kurze Zeit nach dem Einzug wegen baulicher Mängel die Miete zu mindern – oder gar wieder auszuziehen.
Beim Ruhr Tower war ein Viertel der Bürofläche unvermietet: Die Miete zahlt Fakt
Dem neuen Eigentümer, einem Immobilienfonds der Fondsgesellschaft Wealthcap, die den Büroturm von Fakt für 71,8 Millionen Euro Ende 2019 gekauft hatte, gelang es, die Lage zu befrieden – indem man die Mängel kurzerhand auf eigene Faust behob. Fakt fehlte dazu offenbar längst das nötige Kleingeld und blieb auch sechsstellige Beträge aus zwei fünf- bzw. zehnjährigen Garantiemietverträgen über immerhin ein Viertel der kompletten Bürofläche – rund 5400 Quadratmeter – schuldig.
Ein Umstand, der schon vor Monaten Eingang in Fonds-Berichte fand: „Die Garantiemieterin FAKT AG ist seit Dezember 2021 ihren zu erbringenden Zahlungen aus den Garantiemietverträgen nicht nachgekommen“, stand da, „und versucht sich nach unserer Einschätzung von ihren Verpflichtungen zu lösen“. Jetzt zehrt die Fondsgesellschaft von jenem Teil des Kaufpreises, den sie damals einbehalten hat.
Weitere wesentliche wirtschaftliche Auswirkungen auf die Fondsgesellschaft, so versichert Sebastian Zehrer, First Vice President der Wealthcap Kapitalverwaltungsgesellschaft mbH, in einer ersten Einschätzung, werde die Insolvenz wohl nicht haben. Ihm bleibt, wenn auch vielleicht mit Abstrichen, ein saniertes Hochhaus.
Hochverzinste Kurzzeitdarlehen und abenteuerliche, „utopische“ Gewinnerwartungen
Andernorts stehen die Fakt-Partner von gestern mit wohlfeilen Absichtserklärungen, aber leeren Händen da. Und die gigantischen Werte? Gibt es mitunter vielleicht nur auf geduldigem Papier, denn „wie ist es denn wirklich?“, fragt ein Skeptiker der Fakt-Story: Gekauft würden oft Immobilien mit extrem hochverzinsten Kurzzeitdarlehen, denen dank „utopischer Pläne“ abenteuerliche Gewinnerwartungen zugeschrieben werden. Die wiederum dienten als Grundlage für günstigere Kreditkonditionen, welche mit Garantien der Fakt oder gar persönliche Bürgschaften abgesichert sind.
Das Ganze in atemberaubenden Tempo, ein Projekt jagt und stützt das andere. Mit dem Ergebnis eines anfänglich willkommenen, weil rufsteigernden Schneeballeffekts, der allerdings schon bei einem wegbrechenden Puzzleteil in eine Kostenlawine münden kann, die alles unter sich zu begraben droht.
Wenn sich Mieter nicht fanden, Leerstand die schöne Optik zu stören drohte, sprang halt Fakt oder eine ihrer zahlreichen Gesellschaften ein. Mit Mietgarantien oder gleich einer Übernahme der Anteile wie etwa beim Hotel im Ruhrturm. Die Potemkinsche Konzernfassade musste gewahrt bleiben, immer großspuriger, manche Skeptiker sagen: Immer größenwahnsinniger gerieten die Vorhaben, während daheim die Handwerker auf ihr Geld warteten. Man wollte den Immobilienkonzern auf die Schnelle, wollte die eigene Großartigkeit beweisen, weil ältere Semester nun mal keine Zeit haben, geduldig zu sein, das Geschäft zu konsolidieren, eine neue vermeintlich lukrative Idee auch mal liegenzulassen.
Die ungarischer Regierung angefleht: „Aus großer Not wende ich mich heute an Sie“
HSK ging „all in“, wie sie beim Pokern sagen, und jetzt stürzen die Wände des Kartenhauses ein: Vielleicht auch die seiner privaten HSK Finanzmanagement GmbH, in der Schulte-Kempers Söhne erst vor wenigen Tagen „mit sofortiger Wirkung“ die Geschäftsführer-Posten niederlegten.
Nur zu verständlich, dass der Vater derweil seine liebsten Vorhaben retten will: Das Landmarkenprojekt des gigantischen Gewächshaus-Komplexes in Ungarn etwa, für das er noch am 16. November einen Brandbrief an die ungarische Regierung schickte. „Aus großer Not wende ich mich heute an Sie“, schreibt HSK da an Landwirtschaftsminister István Nagy und Gergely Gulyás, den Minister, der das Büro des Ministerpräsidenten leitet – und bittet dringend um Hilfe für das Projekt Lajtania Park, weil man in Essen nach all den Vorleistungen und Nackenschlägen zwischen Corona, Krieg und Großtrappe „liquiditätsseitig keine Luft mehr zum Atmen“ habe: „Allein können wir es nicht schaffen.“
Die Antwort aus Budapest lässt ein paar Tage auf sich warten, sie kommt am frühen Abend des 22. November, aber sie trägt keine ministerialen Weihen, sondern „nur“ die Unterschrift von Armand Albrecht, dem Kabinettschef der Ungarischen Agentur für Investitionsförderung (HIPA), und das Schreiben ist so trocken, dass es daraus staubt wie aus einer Handvoll Puszta-Boden im August: „Bitte seien Sie versichert, dass wir die Schwierigkeiten, mit denen Ihr Unternehmen sowohl in Deutschland als auch in Ungarn konfrontiert ist, voll und ganz verstehen“, schreibt der Wirtschaftsförderer.
Um dann aber zu enttäuschen: „Leider sind wir derzeit nicht in der Lage, materielle Unterstützung zu leisten.“
Viel Erfolg dennoch.