Essen/Mülheim. Zehn Übergriffe gab es 2022 auf Ruhrbahn-Fahrer, so die vorläufige Statistik. Die Dunkelziffer dürfte höher liegen. Was das Fahrpersonal erlebt.

Dass Polizisten daneben standen, hielt ihn nicht davon ab: Der Angreifer schlug unvermittelt zu. Der Übergriff auf einen Fahrer der Buslinie 161 nach einem Verkehrsunfall mit zwei verletzten Kindern auf der Ernestinenstraße in Frillendorf wirft ein Schlaglicht auf eine Schattenseite: Immer wieder werden Busfahrerinnen und -Fahrer Opfer von Gewalt.

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Zehn Vorfälle führt die Ruhrbahn in ihrer vorläufigen Statistik für das laufende Jahr 2022 auf. „Unser Fahrpersonal wurde beleidigt, bespuckt, mit Getränkedosen beworfen. Ein Fahrgast schlug auf die Fahrerkabine ein, ein anderer versuchte, den Feuerlöscher abzureißen, und warf dann einen anderen Gegenstand. So fasst Ruhrbahn-Sprecherin Sylvia Neumann die Vorfälle zusammen, die nur einen Ausschnitt der alltäglichen Wirklichkeit beschreiben.

2019 gab es laut Statistik 21 Übergriffe, aber nicht jeder Fall wird statistisch erfasst

Denn die Dunkelziffer dürfte weit höher liegen, schätzt Dennis Kurz, Gewerkschaftssekretär bei Verdi und dort zuständig für den öffentlichen Personen-Nahverkehr. Für das Jahr 2019 nennt die Statistik noch 21 Übergriffe. Wer daraus einen positiven Trend ablesen möchte, liegt nach Einschätzung des Gewerkschafters daneben. Das Gegenteil sei der Fall: „Es wird immer mehr und es kommt fast täglich vor“, sagt Kurz. Längst nicht jeder Vorfall findet Eingang ins Zahlenwerk.

2009 wurden die ersten Linienbusse mit Schutzscheiben ausgestattet, die den Fahrerplatz vom Innenraum trennen.
2009 wurden die ersten Linienbusse mit Schutzscheiben ausgestattet, die den Fahrerplatz vom Innenraum trennen. © Oliver Müller

Fahrerinnen und Fahrer hätten Angst, auf einigen Linien zu fahren, vor allem nachts. Besonders schlimm sei es auf den Linien 164, 174 und 184 sowie auf den Nachtexpress-Linien NE 5 und NE 51, berichteten Betroffene. In kurzen Worten haben sie dem Gewerkschafter ihre Erlebnisse geschildert:

  • Hörsterfeld: Fahrer verprügelt wegen Ticketkontrolle.
  • Altenessen-Mitte: Bespucken.

Eine Kollegin habe ihm berichtet, dass man ihr am Hauptbahnhof ein Zeichen gemacht habe, man werde ihr die Kehle durchschneiden, schreibt ein Fahrer und Verdi-Mitglied dem Gewerkschafter und ergänzt: „Leider muss ich hier sagen, dass es von Leuten kommt, wo die Integration nicht funktioniert.“

Generell gebe es weder bestimmte Tage noch Uhrzeiten, an denen es zu Übergriffen komme – seien diese verbaler oder körperlicher Art.

Dennis Kurz zeigt ein Video, das an Halloween im Bergmannsfeld aufgenommen wurde und im Internet zu finden ist. Darauf zu sehen ist, wie ein Bus der Linie 170 von Jugendlichen beworfen wird, augenscheinlich mit Steinen. Auch ein Streifenwagen der Polizei wird unter Feuer genommen. Unterlegt ist das Video mit Gangster-Rapmusik.

Ein Video zeigt zu Gangster-Rap, wie ein Ruhrbahnbus beworfen wird

Es ist ein krasser Fall. Häufig sind Übergriffe subtiler: eine Beleidigung, oder auch ein kurzer Schlag ins Gesicht. So beschreibt Kurz, was Ruhrbahn-Fahrer in ihrem Berufsalltag erleben. Im vergangenen Jahr startete der Deutsche Gewerkschaftsbund eine Kampagne, um auf Gewalt gegen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im öffentlichen Dienst aufmerksam zu machen – also auch auf Gewalt, der Busfahrerinnen und Busfahrer ausgesetzt sind.

Schon die Einführung des kontrollierten Vordereinstiegs sorgte für Konflikte. Die Corona-Pandemie habe die Lage für das Fahrpersonal noch einmal verschärft, berichtet Verdi-Sekretär Dennis Kurz. Das Fahrpersonal sei angehalten, die Maskenpflicht in den Fahrzeugen durchzusetzen. Doch wer traut sich das, wenn er sich einer Gruppe aggressiver junger Männer gegenüber sieht? So mancher Fahrer sehe lieber darüber hinweg. Nach dem Motto: Augen zu und durch.

Videokameras in den Bussen bieten laut Gewerkschaft Verdi nicht genügend Schutz

Was tut die Ruhrbahn, um ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu schützen? Die Fahrzeuge sind mit Videokameras ausgerüstet. Das erhöht die Chancen der Fahnder, verhindert aber nicht, dass es zu tätlichen Übergriffen kommt.

Laut Ruhrbahn erhalte das Fahrpersonal ein Deeskalationstraining. Es sei ein verpflichtender Bestandteil der Weiterbildung, alle fünf Jahre würden Fahrerinnen und Fahrer darin geschult, wie sie eine brenzlige Situation entschärfen können. Nur sei es in der Praxis dafür häufig schon zu spät, sagt Verdi-Mann Kurz. „Wie will man nach einem Schlag ins Gesicht noch deeskalieren?“

Als sinnvoll hätten sich hingegen Sicherheitsscheiben erwiesen, die den Platz des Fahrers vom übrigen Innenraum trennen. „Aber wenn einer unbedingt will, dann geht der auch durch die Scheibe“, sagt Kurz.

Wolle die Ruhrbahn ihre Fahrerinnen und Fahrer wirklich schützen, müsste Sicherheitspersonal auf den Bussen mitfahren, sagt der Gewerkschafter. Doch das scheitere an den Kosten.