Essen-Katernberg. Der Essener Gästeführer hat eine Tour durch den Stadtteil Katernberg veranstaltet. Dabei hat er erklärt, wie die Bergleute gewohnt haben.
Ingo Pohlmann, seit 2010 Gästeführer aus Passion, nimmt für das Paul-Gerlach-Bildungswerk der Awo die Entwicklung des 1929 eingemeindeten und mittlerweile multikulturell geprägten Stadtteils Katernberg in Augenschein. Treffpunkt ist am Markt und das Publikum bunt. Vom Katernberg-Anfänger über den pensionierten Geschichtslehrer bis hin zur an der Katernberger Straße geborenen Heide Henkel ist alles dabei. Sie kam 1942 während eines Fliegerangriffes zur Welt: „Die Fenster sind aus den Rahmen gefallen während meiner Geburt, wurde mir gesagt. Inzwischen wohnen wir in Huttrop. Heute wird die alte Heimat besichtigt.“
Essener Gästeführer ist ein wandelndes Lexikon
Der Stadtteil ist regelrecht um Zeche Zollverein herumgewachsen. 1815 wurden noch 371 Einwohner gezählt, 1868 waren es bereits 1.755 und 1900 über 15.000 Einwohner, jetzt sind es rund 24.000. Katernberg wurde von der Zeche geprägt, die Bergleute kamen aus Schlesien, West- und Ostpreußen. In Katernberg befindet sich nur ein Teil vom Weltkulturerbe Zollverein. Das Hauptgelände liegt formell auf dem Gebiet des benachbarten Stoppenberg.
Ingo Pohlmann ist ein wandelndes Lexikon. Heute führt er durch einen Stadtteil, der schon 802 Jahre auf dem Buckel hat. Der Name hat nichts mit Katern zu tun, sondern mit dem „Kötter am Berge“. Einem Kotten auf einer Anhöhe, die später „Ölberg“ getauft wurde. Weil sich dort eine Ölfabrik angesiedelt hatte.
In Katernberg steht die größte evangelische Kirche Essens
Der Markt wird dominiert vom imposanten Bergmannsdom. Das muss Pohlmann schmunzelnd erklären: „Die 1901 erbaute Kirche ist mit 1.430 Plätzen das größte evangelische Gotteshaus in Essen und wird daher im Volksmund Dom genannt.“ Die Viktoriastraße entlang, stößt die Gruppe auf den Hegehof. Einst ein Dienstmannsgut der Äbtissinnen von Essen. 1285 ist der Kauf des Geländes urkundlich erwähnt. Später baute Zollverein hier die Werksfürsorge auf: „Für Familien, die in Not geraten waren, inklusive Kinderbetreuung und Seminare für Frauen.“
Rundgänge auch durch Frohnhausen und Rüttenscheid
Ingo Pohlmann führt fürs Paul-Gerlach-Bildungswerk der Awo weitere historische Rundgänge durch, am Mittwoch, 9. November, in Frohnhausen und am Sonntag, 11. Dezember, in Rüttenscheid. Am 4. Dezember gibt es eine Tagesfahrt auf Spuren der Route Industriekultur.
Anmeldungen sollen bei Lilia Gerlach unter 0201 1897421 oder unter per E-Mail an lilia.gerlach@awo-essen.de vorgenommen werden.
Dort gibt es auch Infos wie Treffpunkt und -zeit sowie Teilnahmegebühr. Ingo Pohlmann ist unter 01575 2010754 oder per E-Mail an stadtfuehrungen-essen@web.de zu kontaktieren. Weitere Informationen sind auf der Seite www.stadtfuehrungen-essen.de erhältlich.
Auch am neu gestalteten Katernberger Bach macht der Guide halt: „Die Emschergenossenschaft hat den früheren Abwasserkanal, der in den 1960er Jahre verrohrt wurde, aufwendig renaturiert.“ Pohlmann scherzt: „Da haben sie uns Fremdenführern keinen Gefallen mit getan. Die Gäste von außerhalb wollen doch das klassische Ruhrgebiet mit stinkenden Köttelbecken erleben.“
Die Hegehofsiedlung mit ihren Backsteinhäuschen erinnert doch stark an Holland: „Das nennt sich Kettenhäuser. Das Bauen übernahm eine Gesellschaft. Aber Zollverein gehörte das Land, Zollverein gewährte Baukredite und Zollverein stellte die Backsteinziegel.“ In der nächsten Siedlung weist Pohlmann auf eine Besonderheit hin: „Das sind Stahlhäuser. Mehrere Stahlplatten im Sandwichverfahren mit Luft dazwischen, dahinter dünnes Mauerwerk. Viel leichter als Steinhäuser und mindestens genauso gut gedämmt.“
Geschichten von Kostgängern in Katernberg
Pohlmann erklärt: „Die Bergmänner hatten oben unterm Dach noch sehr beengte Schlafmöglichkeiten für sogenannte Kostgänger. Nur wenn die anderen zur Schicht waren, hatten die das einzige Bett ganz für sich allein. Und wenn dann noch der Herr des Hauses auf Maloche war, vielleicht sogar die Dame des Hauses. Vorsichtig geschätzt soll ein Drittel der Kinder so gezeugt worden sein.“
Eine Teilnehmerin muss lächeln: „Mein Großvater stammte aus der Tschechei und war solch ein Kostgänger. So hat er übrigens seine Frau kennengelernt.“ Schnell fügt Anna-Maria Mika aber hinzu: „Also meine Oma war die Tochter des Bergmanns und nicht die Frau.“ Pohlmann grinst: „Wir hier im Revier sind doch alle Nachfahren von Zugezogenen.“ Er steht vor sogenannten „Vierspännern“, also Häusern mit vier Wohnungen und vier Eingängen. Diese Häuser hatten noch jeweils 2400 Quadratmeter Grabeland zur Selbstversorgung dabei. Später sei enger bebaut worden, so Pohlmann: „Aber da gab es schon die Konsumanstalten. Zollverein hatte acht davon.“
Rund 8500 Bergleute arbeiteten auf Zollverein in Essen
Dort angekommen, erläutert er das Ewigkeits-Problem des Grubenwassers und das Prinzip der unzähligen Öfen. Hier wurde Kohle entgast und mit dem daraus gewonnenen Koks in den Hochöfen Eisen gewinnen zu können. Rund 8500 Bergleute arbeiteten auf Zollverein, das Grubenfeld erstreckte sich bis zum Schalker Markt. Auf dem Fußweg zurück zum Katernberger Markt haut Ingo Pohlmann noch einen raus: „Da drüben ist der Laden vom Otto Schulte. Eine richtige Prominenz im Stadtteil, er ist nämlich bekannt vom Trödeltrupp auf RTL II.“