Essen. Mit einem „Aktionsplan“ für Klimaschutz setzt sich die Stadt Essen ehrgeizige Ziele, will die Bürger aber überzeugen statt bevormunden.
Einen „Aktionsplan“ für den Klimaschutz hat der Rat der Stadt Essen am 26. Oktober mit großer Mehrheit beschlossen und sich damit ambitionierte Ziele gesetzt. Das gilt vor allem beim Thema Verkehr, wo sich das Tempo der Veränderungen enorm steigern müsste, sollen die Ziele erreicht werden.
Um die Stadt „klimaneutral“ zu machen, müsste der Ausstoß an schädlichem Kohlendioxid um jährlich 3,36 Millionen Tonnen reduziert werden. Auf dem Weg dorthin komme es auf jeden einzelnen an, so Sascha Berger, klimapolitischer Sprecher der Grünen Ratsfraktion.
Ablehnung einer Verbotspolitik schließt sanften Druck aber nicht aus
Politik und Verwaltung sind also darauf angewiesen, dass die Bürgerinnen und Bürger beim Klimaschutz mithelfen. Die Stadt will die nötigen Rahmenbedingungen schaffen, Informationen bieten und Anreize, wie mit dem Förderprogramm für Photovoltaikanlagen bereits geschehen.
Und augenscheinlich will man auch niemanden verschrecken. „Unser Aktionsplan soll vor allem eines: begeistern und ermöglichen, anstatt verbieten und bevormunden. Wir wollen Bürgerinnen und Bürger sowie die Unternehmen davon überzeugen, dass Klimaschutz uns allen zugutekommt – auch kurzfristig“, so Yannick Lubisch, umweltpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion.
Tatsächlich heißt es im Aktionsplan, die Stadt Essen könne Mobilitätsentscheidungen der Bürger „nicht bestimmen oder steuern“. Die beschworene Ablehnung einer Verbotspolitik schließt mehr oder weniger sanften Druck aber offenkundig nicht aus. So soll der Abbau von Parkplätzen im Straßenraum offenbar weitergehen, unabhängig davon, ob diese benötigt werden: „Die zum Erreichen der Klimaschutzziele notwendige Steigerung des Radverkehrs benötigt die Umwidmung von Flächen des motorisierten Individualverkehrs zu Flächen für den Radverkehr“, heißt es im Aktionsplan. Darauf dürften sich nun jene berufen, denen es mit der Verkehrswende viel zu langsam geht.
Die Fahrzeugflotte müsste komplett durch E-Autos ersetzt werden
Generell setzt die Stadt darauf, dass Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren nach und nach durch Elektro-Autos ersetzt werden, wobei auch letztere Abstellfläche benötigen. Neben Fuß- und Radverkehr sollen auch Bus und Bahn ausgebaut werden. Rund 1,8 Milliarden Euro wären laut Verwaltung nötig, soll die Verkehrswende gelingen.
Drei Milliarden Euro würde es nach Berechnung der Stadt sogar kosten, alle in Essen zugelassenen Dieselfahrzeuge und Benziner gegen Elektroautos auszutauschen. Ausgehend vom heutigen Bestand an Fahrzeugen müssten jedes Jahr 15.000 E-Autos angemeldet werden. Zudem bedarf es der nötigen Infrastruktur, 21.000 öffentliche Ladesäulen wären erforderlich sowie 183.000 private Ladepunkte. Die Kosten dafür schätzt die Verwaltung auf rund 1,5 Milliarden Euro. Auch dies hätte zudem gewaltige Umverteilungen im Straßenraum zur Voraussetzung.
Dass die Modellrechnungen aufgehen, scheint derzeit mehr als fraglich
Dass diese Modellrechnungen aufgehen könnten, scheint angesichts der aktuellen Kfz-Statistik mehr als fraglich. Von rund 330.000 in Essen zugelassenen Fahrzeugen tanken rund 4600 ausschließlich Strom. Zwar steigt die Zahl E-Autos, von 15.000 pro Jahr ist man allerdings noch sehr weit entfernt. Ladestationen im öffentlichen Straßenraum gibt es ein paar Hundert. Die Stadt stellt selbst keine Ladesäulen auf, sondern überlässt dies privaten Anbietern. Um neue Stellplätze, die für E-Autos reserviert werden sollen, wird nicht selten heftig gestritten, da sie anderen dann nicht mehr zur Verfügung stehen.
80 Prozent des Essener Gebäudebestandes müsste saniert werden
Auf die Mitwirkung vieler ist die Stadt auch beim Thema Gebäude-Isolierung angewiesen. 83 Prozent des Gebäudebestandes sind in Privatbesitz, 80 Prozent der Gebäude müssten saniert werden, soll Essen klimaneutral werden. Investitionen in Höhe von 5,6 Milliarden Euro wären dafür notwendig, in erster Linie von privater Hand. Für Neubauten könnte die Stadt Energiestandards bei der Aufstellung von Bebauungsplänen festlegen, womit auch zu rechnen sein dürfte.
In der freien Wirtschaft setzt die Stadt auf die Ansiedlung klimaneutraler Betriebe. Nachhaltigkeit sei ein Standortfaktor, heißt es. Die Investitionen in den Klimaschutz sorgen nach Berechnung der Stadt nicht zuletzt für Umsätze und dies jährlich in Höhe von 7,7 Milliarden Euro.
AfD votierte als einzige Fraktion gegen den Aktionsplan
Bei der Abstimmung im Rat der Stadt votierte allein die AfD gegen den Aktionsplan. Sie befürchtet, Klimaschutzvorgaben könnten investitionshemmend wirken und am Ende Arbeitsplätze kosten, allen voran in der Industrie.
Der Aktionsplan soll nun nach und nach umgesetzt werden, wobei jedes einzelne Projekt vom Rat beschlossen werden muss. Den Finanzbedarf in der Stadtverwaltung – vor allem für Personal – beziffert die Stadt auf 183 Millionen Euro. Bis zum Jahr 2024 sollen im Rathaus 53,5 neue Stellen geschaffen werden. (mit F.S.)