Essen. Angesichts steigender Lebenshaltungskosten öffnet sich die Essener Tafel auch Berufstätigen. Das Hilfsangebot ist auch symbolisch zu verstehen.

Die Essener Tafel öffnet sich Berufstätigen. Laut Tafelchef Jörg Sartor reagiert die soziale Einrichtung im Steeler Wasserturm damit auf die steigenden Lebenshaltungskosten, die neben Rentnern auch Familien und Alleinerziehende mit geringem Einkommen besonders hart treffen. „Wir bekommen aktuell viele Anfragen“, berichtet Sartor. „Darunter sind Empfänger von Sozialleistungen, die sagen: Ich bin bisher ohne die Tafel ausgekommen, nun schaffe ich das nicht mehr. Darunter sind aber auch Berufstätige.“

Auch ihnen wolle die Tafel die Möglichkeit geben, eine Bezugskarte für Lebensmittel zu bekommen. Bislang wird nur in die Kartei aufgenommen, wer Hartz IV bezieht, Grundsicherung oder Wohngeld.

Die schwelende Debatte um soziale Gerechtigkeit hat die Essener Tafel erreicht

Die Debatte um soziale Gerechtigkeit, die angesichts der rasant steigenden Energiekosten in Teilen der Gesellschaft bereits geführt wird, hat damit auch die Essener Tafel erreicht. Im Gespräch mit der Redaktion berichtet Sartor von zwei ehrenamtlichen Mitarbeitern, die nicht mehr wüssten, wie sie ihre Gasrechnung bezahlen sollen, obwohl sie berufstätig seien. Denn ihr Energieversorger habe den monatlichen Abschlag deutlich erhöht. „Statt 132 Euro soll einer der beiden nun 395 Euro zahlen“, so Sartor.

Wer Sozialleistungen beziehe, stehe zuweilen wirtschaftlich besser da, als derjenige, der einem Beruf nachgeht, aber nur wenig verdient. „Das ist Fakt“, sagt Sator. Den Empfängern sozialer Leistungen könne man dies freilich nicht vorwerfen, betont der Tafelchef, der vor wenigen Jahren vor dem Hintergrund der Flüchtlingskrise durch provokante Aussagen bundesweit für Aufmerksamkeit sorgte. Weil die „deutsche Oma“ wegblieb, wie es Sartor seinerzeit formulierte, nahm die Tafel vorübergehend keine Ausländer mehr auf. Dafür erntete Sartor Zustimmung, aber vor allem Empörung und Kritik. Sartor musste sich den Vorwurf gefallen lassen, er sei ein Rassist.

Pro Monat werden bei der Essener Tafel derzeit maximal bis zu 60 Plätze frei

Wenn er heute die Tafel auch Geringverdienern öffnet, ist das einerseits das ehrliche Angebot, helfen zu wollen. Andererseits ist es auch Symbolik. Denn die Aussichten für Berufstätige, eine Bezugskarte zu ergattern, sind gering. Es würden nur wenige Plätze frei, Sartor spricht von etwa 60 Plätzen pro Monat – 60 von insgesamt 1600. Mehr ließen sich organisatorisch nicht bewältigen, wie Sartor betont. Sucht die Tafel doch schon seit Jahren größere Räume.

Als Kunde bevorzugt wird, wer schon einmal die Tafel in Anspruch genommen hat. „Wir haben unseren Bestandskunden gesagt, ihr dürft wiederkommen. Da stehen wir im Wort“, betont Sartor. Ausgegeben werden die Karten jeweils für ein Jahr, danach müssen Berechtigte ein Jahr lang aussetzen. Nur wer über 60 ist oder schwerbehindert, muss eine solche Pause nicht einlegen.

Berufstätige will die Tafel nach einer „Einzelfallprüfung“ aufnehmen, so Sartor. Näheres werde in Kürze auf der Internetseite der Einrichtung zu lesen stehen. Der Vorstand wolle zunächst Beispielrechnungen aufstellen, um zu bemessen, bis zu welchem Einkommen jemand als bedürftig eingestuft wird. Sartor räumt ein, dass die Entscheidung schwierig sein könnte. „Wir hatten hier immer klare Kante: ja oder nein“, sagt der Tafelchef. Nun geht es auch um Grautöne. Ein persönliches Gespräch könnte am Ende den Ausschlag geben.

Auch in schweren Zeiten kann Sartor Positives berichten: Solidarität und Hilfsbereitschaft hätten in der Krise zugenommen. Die Spendenbereitschaft sei gewachsen. So hätten nicht wenige Bürger, die Energiekostenpauschale, die sie vom Staat erhalten haben, der Tafel gespendet. In einem Fall versehen mit folgendem Kommentar: „Ich will nichts aus der Gießkanne.“