Essen. Das neue Bundesgesetz macht es wahrscheinlicher, dass auch in Essen große Windkraftanlagen entstehen. Welche Stadtteile in Frage kommen.

Wird es in Essen über kurz oder lang große, leistungsfähige Windkraftanlagen geben? Nachdem die Bundesregierung im Juli 2022 ein Beschleunigungsgesetz verabschiedete, wäre das durchaus möglich, sagt Umwelt- und Baudezernentin Simone Raskob auf Anfrage dieser Redaktion. Seit der Bund die Zuständigkeit für die Flächenausweisung an die Länder übertragen habe, sei bei der Suche nach geeigneten Flächen allerdings zunächst nicht die Stadt in der Pflicht, sondern das Land NRW. „Deshalb warten wir ab, was dort beschlossen wird.“

Abwarten heiße indes nicht, sich keinerlei Gedanken zu machen, wo in Essen Windräder möglich wären, betont Raskob. Das gilt erst recht, da die beiden einzigen seit Mai 2010 im Regionalen Flächennutzungsplan festgelegten „Konzentrationszonen für Windenergie“ im Essener Norden nicht mehr so pauschal zur Verfügung stehen. „Durch das Projekt Freiheit Emscher ist das obsolet“, so die Dezernentin.

Umwelt- und Baudezernentin Simone Raskob skizziert die neue Gesetzeslage, die es Kommunen schwer macht, Windkraftanlagen zu verhindern.
Umwelt- und Baudezernentin Simone Raskob skizziert die neue Gesetzeslage, die es Kommunen schwer macht, Windkraftanlagen zu verhindern. © FUNKE Foto Services | Christof Köpsel

Als das Gelände mit einer Fläche von ca. 7,3 Hektar für die Windkraft ausgewiesen wurde, lagen hier noch hunderttausende Tonnen der „nationalen Kohlereserve“ aufgetürmt. Zwei Windräder hätten da nicht sonderlich gestört. Inzwischen allerdings sind auf der Fläche Gewerbebauten geplant. Und obwohl das neue Gesetz den Bau von Windkraftanlagen prinzipiell auch in Gewerbegebieten möglich macht, gilt der Standort derzeit als nicht wahrscheinlich, weil die Entwicklung von Freiheit Emscher zunächst Vorrang genießt.

Fischlaken und Schuir galten in Gutachten bereits 2010 als geeignet

Anders sieht es möglicherweise im Essener Süden aus, wo im Jahr 2010 Fischlaken und Schuir von Gutachtern als windstarke und einwohnerschwache Standorte auserkoren waren, jedoch der landschaftlichen Intaktheit und der Funktion für Erholung und Landwirtschaft der Vorzug gegeben wurde. Im neuen Beschleunigungsgesetz haben solche Kriterien keine entscheidende Verhinderungsmacht mehr. Regenerative Energien dienen laut Gesetz neuerdings der „öffentlichen Sicherheit“ und werden als „im überwiegenden öffentlichen Interesse“ definiert. Das senkt sowohl die Tabuschwellen als auch die Chancen bei möglichen Gerichtsverfahren erheblich und erhöht den Druck, solche Anlagen zu dulden und zu fördern.

Der Status als Landschaftsschutzgebiet, der für große Teile der Höhen südlich und nördlich des Ruhrtals gilt, schützt jedenfalls nicht mehr vor der Bebauung mit Windrädern. Und auch das Abstandsgebot von 1000 Metern zur nächsten geschlossenen Wohnbebauung, das in Essen kaum ein Windrad möglich machte, ist abgeschafft, wobei der von der Landesregierung festzulegende neue Sicherheitsabstand noch nicht feststehe. Zu prüfen ist laut Simone Raskob in einem verkürzten Verfahren lediglich weiterhin, ob bedrohte Tierarten wie der Rotmilan durch die Rotoren dezimiert werden könnten.

Naturschutzverband Nabu hält das Ruhrtal für keinen geeigneten Standort

Genau das macht Frauke Krüger Sorge. Die Vorsitzende des Regionalverbands Ruhr des Naturschutzverbands Nabu sieht die Gefahr, dass der Artenschutz dem großen Ziel Energiewende radikal untergeordnet wird. Schon jetzt sei es schwierig, noch sorgfältig zu untersuchen, ob geschützte Arten unter die Räder kommen. Grundsätzlich sei man für Windkraftanlagen. „Ob aber gerade das Ruhrtal geeignet ist, würde ich aus unserer Sicht in Frage stellen“, sagt Krüger. Besser sei es wohl, weiter auf ohnehin schon belastete und weniger empfindliche städtische Areale zu setzen.

Haben solche Stimmen noch Gewicht oder muss künftig auf den Ruhrhöhen mit voluminösen Windkraftanlagen gerechnet werden? „Das ist die spannende Frage“, sagt Raskob. Die Antwort muss noch offen bleiben. Klar ist: Den Städten wurde die Hoheit über das eigene Gebiet aus der Hand genommen, wenn es um Windkraft geht. Nach Ansicht des Bundesgesetzgebers führte die kommunale Zuständigkeit zu oft dazu, dass – wie in Essen – gar nichts passierte.

Motive dürften Desinteresse oder die Neigung gewesen sein, Ärger mit Bürgern lieber aus dem Weg zu gehen. Nun sind aber die weniger bürgernahen Landesministerien und Bezirksregierungen die entscheidenden Akteure, die wiederum durch das Bundesziel unter Druck stehen, bis 2032 schrittweise zwei Prozent der gesamten Landesfläche für die Windenergie zu reservieren. „Man wird dennoch nicht über die Köpfe der Oberbürgermeister entscheiden“, vermutet Raskob. Mehr als eine beratende Funktion und ein Recht auf Anhörung haben die Stadtverwaltungen allerdings offiziell nicht mehr.

Umweltdezernentin hält es für klug, sich in Städten stark auf Photovoltaik zu konzentrieren

Die Umweltdezernentin hält es im Grundsatz für klüger, in verdichteten Städten wie Essen noch stärker auf Photovoltaik zu setzen und möglichst viele ungenutzte Dachflächen für die Sonnenenergie zu mobilisieren. Als die Stadt in einem ersten Schritt 800.000 Euro als Zuschuss für private Photovoltaikinvestoren zur Verfügung stellte, war diese Summe rasch vergeben, im neuen städtischen Haushalt seien für diesen Zweck nun zwei Millionen Euro vorgesehen. Ob eine noch so erfolgreiche Photovoltaikoffensive ausreicht, Essen die Windräder zu ersparen, dürfte aber mehr als zweifelhaft sein.