Essen. Energiepreise explodieren, die Inflation steigt. Bioläden in Essen setzt die Krise zu. Viele Biokunden kaufen im Supermarkt oder beim Discounter.
Explodierende Energiekosten und steigende Inflation: Die Folgen des Ukraine-Krieges verändern auch das Konsumverhalten der Bio-Kunden. Inhaber von Bioläden, Naturkostgeschäften und Reformhäusern – auch in Essen – registrieren eine zunehmende Kaufzurückhaltung. Wer den Euro zweimal umdrehen muss, kauft seine Bioprodukte inzwischen verstärkt im Supermarkt oder gleich beim Discounter.
Von einer existenziellen Krise will Claudia Prehn nicht sprechen. Die Kauffrau ist seit 19 Jahren Inhaberin des Bioladens auf der Mülheimer Straße in Frohnhausen. „Aber wir kämpfen gerade hart“, räumt sie im nächsten Atemzug ein.
In einem aktuellen Facebook-Post wendet sich die Geschäftsfrau ausführlich an ihre Kundschaft („Ihr Lieben, ein paar Worte in eigener Sache“) und wirft die Frage auf, die sich viele Bio-Kunden stellen: „Alles wird teurer. Wie noch nie müssen wir alle ganz genau aufpassen, wie wir mit dem Geld hinkommen. Und dann noch Geld für Biolebensmittel ausgeben?“. Um weit verbreiteten Missverständnissen entgegenzutreten, weist Claudia Prehn eindringlich darauf hin, dass Bio-Lebensmittel sogar weniger von den aktuellen Teuerungen betroffen seien. Der Grund: Die Bio-Branche verzichte auf den Einsatz von Düngemitteln, deren Preise geradezu explodiert seien.
Doch das Bioladen-Team in Frohnhausen weiß auch, dass die Mehrzahl der Kunden andere Prioritäten setzt: „Nach den vielen Einschränkungen durch die Pandemie genießen die Menschen ihren Urlaub, und das geht im Moment zulasten der Lebensmittelqualität“, sagt die Inhaberin. Die Zahl der Stammkunden sei zwar unverändert geblieben, aber die Einkäufe fielen nun weniger üppig aus. „Die Bons sind kleiner geworden“, so Claudia Prehn.
Bio-Supermärkte und Naturkostläden: Umsätze sinken zwischen 10 und 37,5 Prozent
Die Gesellschaft für Konsumforschung kann die Kaufzurückhaltung der Bio-Kunden exakt beziffern. Bio-Supermärkte verzeichneten im August einen Umsatzrückgang von 10,8 Prozent gegenüber dem Vorjahresniveau und bei Reformhäusern und Naturkostläden betrug das Minus sogar 37,5 Prozent.
Unverändert angespannt ist die Situation für die beiden Essener „Super-Bio-Markt“-Filialen am Stadtwaldplatz und auf der Rüttenscheider Straße. Die Münsteraner Kette war in finanzielle Schieflage geraten und hat ein Schutzschirmverfahren beantragt. Die Insolvenz in Eigenverwaltung ist vom Amtsgericht genehmigt worden. Die Geschäfte bleiben geöffnet, die Gehälter der Mitarbeiter sind gesichert.“
Michael Radau, Vorstandschef der Super-Bio-Markt AG sieht einen Trend zu „Billig-Bio beim Discounter“ und verweist auf die hohe Personalkostenquote in seinen 30 Filialen von 15 bis 18 Prozent, während sie beim Discounter lediglich sechs bis sieben Prozent ausmache.
Wer gute Produkte verkauft, will seine Kunden auch gut beraten. Doch um Kosten zu sparen, sah sich etwa der Bioladen in Frohnhausen gezwungen, Personal abzubauen. „Wir waren mal zehn, jetzt sind wir sechs“, sagt Claudia Prehn.
Naturkost Apfelbaum in Steele geht von einer Normalisierung aus wie vor Corona
Der inhabergeführte Bioladen „Naturkost Apfelbaum“ in Steele hat in den 33 Jahren seines Bestehens schon so manchen Sturm gemeistert. Und auch jetzt sieht Inhaber Christoph Schäfer keinen Grund zur Schwarzmalerei: „Spätestens nach den Herbstferien wird sich die Lage normalisieren, dann ist es wie vor Corona.“ An Personal haben sie im Apfelbaum seit jeher gespart. Schäfer betreibt das Naturkost-Geschäft mit seiner Frau und setzt verstärkt auf Nachhaltigkeit – auch beim Einkauf. „Wir kaufen so ein, dass praktisch nix übrig bleibt.“
Das Angebot an Bioläden und Bio-Supermärkten in Essen ist überschaubar. Schon vor der Corona-Krise hat der Bio-Supermarkt-Betreiber Basic entschieden, seine Essener Filiale nach 15 Jahren im „Keramikhaus“ im März 2020 aufzugeben. Wenig schmeichelhaft für Essen war die Begründung, die negative Entwicklung der Essener Innenstadt. Zur Erinnerung: Das Geschäft lag seinerzeit am Flachsmarkt, der sich zuletzt zu einem Hotspot der Drogen- und Trinkerszene entwickelt hatte.
Sind Discounter und Supermärkte mit ihrem Bio-Sortiment die Gewinner der Krise? Manfred Burkowski, Inhaber mehrerer Edeka-Märkte in Essen, bejaht dies mit erheblichen Einschränkungen: „Ja, der Bio-Anteil an unserem Umsatz ist gestiegen, aber allenfalls um ein paar Prozentpunkte.“ Am Gesamtumsatz mache sich dieser Zuwachs jedoch kaum bemerkbar. Und auch Edeka-Kunden würden neuerdings „bewusster“ einkaufen. Soll heißen: Anstelle des Markenprodukts entscheide sich der Kunde für die Eigenmarke „Gut + Günstig.“
In Claudia Prehns Brust schlagen zwei Seelen: die der Kauffrau und die der Klimaschützerin. „Nachhaltigkeit gerade auch bei Lebensmitteln bleibt wichtig, wir dürfen die Erde nicht auswringen“, sagt sie mit idealistischem Unterton. Aber in ihrem Facebook-Post schreibt sie auch: „Wir wissen, dass unser Bioladen nicht in einem der umsatzstärksten Stadtteile Essen sitzt.“ Und fügt hinzu: „Ich habe Verständnis für die Menschen, bei denen das Geld nicht so locker sitzt.“