Essen. Jahrelang wurde Maksym aus der Ukraine an der Uniklinik Essen behandelt. Inzwischen ist er 13 Jahre alt und lebt mit seiner Familie in Essen.

Herbstferien – das bedeutet für andere Kinder vor allem Vergnügliches von Ausflug bis Ausschlafen: Für Maksym aus Essen-Kupferdreh steht in der zweiten Ferienwoche wieder ein MRT an. Der 13-Jährige ist seit dem Babyalter Krebspatient, muss alle drei, vier Monate zur Kontrolluntersuchung. „Wir leben zwischen Hoffen und Angst, von MRT zu MRT“ sagt seine Mutter Olena Vats.

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Die Familie stammt aus einem Dorf tief im Westen der Ukraine und pendelte viele Jahre von dort nach Essen, wo Maksym an der Uniklinik behandelt wurde. Die Therapien, die in seinem Heimatland so nicht möglich gewesen wären, haben viele Tausende Euro gekostet, die Ersparnisse der Familie verschlungen.

Jahrelang kämpfte Maksym gegen den Krebs

Erst verlor Maksym durch ein Retino-Blastom – einen bösartigen Tumor in der Netzhaut – nacheinander beide Augen. Dann wurde an seinem Kopf ein Rhabdomyosarkom entdeckt: Das ist ein Tumor in den Weichteilen, der 2015 an der Uniklinik behandelt wurde. Vier Jahre später ein Schock beim Kontrolltermin: Der Zehnjährige hatte einen Tumor an der Hirnhaut. Wieder wurde die Familie im Elternhaus der Elterninitiative zur Unterstützung krebskranker Kinder aufgenommen, wieder spendeten die Essener und Essenerinnen für Maksyms Behandlung. Und noch einmal besiegte der kleine Junge den Krebs.

Im Jahr 2015 entstand dieses Foto von Maksym im Elternhaus der Elterninitiative zur Unterstützung krebskranker Kinder. Der kleine Junge kannte sich dort bestens aus, obwohl er nicht sehen kann.
Im Jahr 2015 entstand dieses Foto von Maksym im Elternhaus der Elterninitiative zur Unterstützung krebskranker Kinder. Der kleine Junge kannte sich dort bestens aus, obwohl er nicht sehen kann. © WAZ | STEFAN AREND

„Wir haben fast drei Jahre lang im Elternhaus gelebt. Ich fühle mich da bis heute heimisch“, sagt Olena Vats. Man habe sie sehr gut aufgenommen, die Mitarbeiter seien so nett gewesen. Allerdings zehrte die Pendelei zwischen zwei Ländern, begleitet von der steten Sorge um Maksym, an allen Familienmitgliedern, zumal die große Schwester Julia lange bei der Großmutter in der Ukraine zurückblieb. „Wir waren völlig erschöpft von dem Hin und Her, so sind wir Ende 2019 nach Deutschland gezogen, 2020 kam Julia nach.“

Normalität ist für die Familie ein hohes Gut

Ihr Mann habe Glück gehabt und bei einer Landschaftsgartenbau-Firma in Kupferdreh eine Stelle erhalten. Der Chef habe ein großes Herz, sagt Olena Vats. Die Familie zog in den Stadtteil, die 15 Jahre alte Julia geht in die zehnte Klasse des Gymnasiums Überruhr. Maksym besucht eine Förderschule in Duisburg. Am liebsten möge er Mathe, außerdem freue er sich, dort seine Freunde zu treffen, erzählt der 13-Jährige. „Und ich baue immer noch gern mit Lego.“

Elternhäuser nehmen Familien krebskranker Kinder auf

Im Jahr 1983 schlossen sich Eltern krebskranker Kinder zur Elterninitiative zusammen. Heute unterhält die Selbsthilfegruppe an der Kaulbachstraße in Holsterhausen drei Elternhäuser mit insgesamt 35 Zimmern und 95 Betten: Dort wohnen Eltern (und Geschwister) während der Behandlung ihrer Kinder fußläufig zur Uniklinik Essen.

Weitere Infos auf: www.krebskranke-kinder-essen.de

In der Ukraine ist der blinde Junge sogar Rad gefahren, das ist in der Großstadt Essen viel zu gefährlich. Aber er geht mit seinen Eltern viel spazieren oder in die Kletterhalle, in der Ferienzeit macht die Familie auch Städtetouren, besucht Schlösser, Burgen oder Legoland. Normalität sei für sie alle ein hohes Gut, sagte Olena Vats schon vor Maksyms letzter Therapie. Nun wünscht sie sich selbst ein Stück Normalität.

Maksyms Mutter würde gern wieder als Grundschullehrerin arbeiten

Die studierte Grundschullehrerin hat in der Ukraine 16 Jahre lang unterrichtet, hier ist das bisher nicht möglich: Sie muss ihre erst Zeugnisse auf eigene Kosten übersetzen und beglaubigen lassen, und dann ist ungewiss, ob ihr Abschluss hierzulande anerkannt wird. Die ersten Auskünfte seien ernüchternd gewesen, sagt Olena Vats, womöglich müsste sie ein deutsches Lehramtsstudium nachholen. „Die Arbeit fehlt mir sehr! Es ist bis heute mein Traumberuf.“

Als sie im Jahr 2019 nach Deutschland zogen, hätten sie nachweisen müssen, dass sie ihren Lebensunterhalt allein bestreiten, Sozialleistungen durften sie nicht beantragen. Auch ein Deutschkurs wurde Ukrainern damals nicht bezahlt. Folglich paukte Olena Vats zu Hause allein, schaffte sich Bücher an, nutzte Audio- und Video-Programme. Fünf Stunden am Tag habe sie gelernt und im vergangenen Jahr das recht anspruchsvolle B2-Zertifikat bestanden. Um zu unterrichten, müsste sie ein C-Zertifikat erwerben. Das wolle sie gern tun. „Ich weiß nur nicht, ob ich nach den vergangenen Jahren die Kraft habe, noch einmal zu studieren.“

Ein Bild aus dem Elternhaus der Elterninitiative zur Unterstützung krebskranker Kinder: Maksym mit seinem Vater Juri im Sommer 2019 im Garten.
Ein Bild aus dem Elternhaus der Elterninitiative zur Unterstützung krebskranker Kinder: Maksym mit seinem Vater Juri im Sommer 2019 im Garten. © FUNKE Foto Services | Christof Köpsel

An die Grundschule ist sie immerhin schon zurückgekehrt: Das Elternhaus, in dem jetzt viele krebskranke Flüchtlingskinder aus der Ukraine betreut werden, bat sie um Hilfe für einen Jungen, der im Rollstuhl sitzt. Sie bringt ihn nun zur Cranachschule in Holsterhausen, begleitet ihn im Unterricht. Es ist ein Ehrenamt, das ihr große Freude bereitet; vielleicht könnte daraus eine Stelle als Integrationshelferin werden.

Noch lieber stünde Olena Vats eines Tages wieder vor einer Schulklasse. Mit Blick auf ihre Verwandten in der Ukraine, um deren Leben sie bangt, und auf Maksym, mit dem sie von einem Kontrolltermin zum anderen zittert, sagt sie: „An erster Stelle steht die Gesundheit – dann kann ich sehen, dass aus mir hier etwas wird.“