Essen. Explodierende Preise für Gas und Strom, horrende Kosten für Rohstoffe und Fachkräftemangel: So reagieren Essener Konditoren auf die Krise.
Zuerst wurden die Essener Konditoren von der Pandemie und Lockdowns heimgesucht, jetzt setzen ihnen die zum Teil horrend gestiegenen Preise für Gas, Strom und Rohstoffe empfindlich zu. Während der Branchenverband, der Deutsche Konditorenbund, von einer existenzbedrohlichen Krise spricht und die Kaffeehauskultur in Deutschland in akuter Gefahr sieht, besinnen sich die Essener Handwerksbetriebe auf ihre Stärken und trotzen der Krise.
„Unsere Torten machen glücklich“ heißt es seit jeher selbstbewusst in der Konditorei Kötter (gegründet 1959) in Essen-Rüttenscheid. Damit diese Werbebotschaft möglichst breit gestreut unter die Leute kommt, setzt Junior-Chefin Katharina Kötter (23) immer stärker auf die Wirkung neuer Kommunikationskanäle wie etwa Instagram.
Wenn ein Meister in der Konditorei im ersten Obergeschoss gerade mit der Arbeit an einer filigranen Hochzeitstorte beginnt, ist die studierte Betriebswirtin sofort mit ihrem Smartphone zur Stelle. Jeder Schritt des aufwendigen Making-of wird festgehalten, dann unterlegt sie Bildergalerien und Videos mit dem passenden Sound, schon ist der Instagram-Post fertig. „Wir haben gut 1000 Follower und die Videos verzeichnen bis zu 15.000 Views“, sagt sie. Allein in den letzten 30 Tagen habe sie 4000 Nutzer erreicht – mit Werbung, die keinen Cent kostet und so verführerisch ist wie die Erdbeer-Schokobiskuit-Torte.
Innovative Ideen gegen die Krise: Hier das Tortenmobil, dort Marketing via Instagram
Von wegen sich hängen lassen und jammern: In Zeiten der Krise setzen die Essener Konditoren auf innovative Ideen, um weiter bestehen zu können. Wie etwa der Traditionsbetrieb Sprenger aus Holsterhausen, der neuerdings das Torten-Mobil auf die Wochenmärkte schickt. An Bord sind Torten und Petit Fours, Kuchen vom Blech und Cupcakes.
Das Mobil schafft zusätzlich zu den fünf Kaffeehäusern im Stadtgebiet einen weiteren Vertriebsweg. Konditorei-Inhaberin Patricia Silberbach verweist auf die dramatisch gestiegenen Energiekosten: „Unsere letzte Stromrechnung lag allein für die Produktion bei über 10.000 Euro.“ Anfang des Jahres seien es lediglich 4000 Euro gewesen.
Auch Frank Tefert, der mit seiner Frau Barbara Werntges und Sohn Ole das Café Werntges (gegründet 1962) in Essen-Werden betreibt, hat Sorgen: „Die Ausgaben für Strom haben sich verdoppelt und zum Teil sogar verdreifacht, wir leiden unter steigenden Preisen an allen Fronten.“ Der Familienbetrieb beschäftigt 40 Mitarbeiter in Voll- und Teilzeit, einer der Konditormeister gehört dem Unternehmen bereits seit vierzig Jahren an.
Preiserhöhung als Folge explodierender Kosten für Energie, Rohstoffe und Kartonagen
Aufgeben ist aber auch hier keine Option. Tefert, von Hause aus IT-Ingenieur, hat frühzeitig die Chancen des Internets erkannt und der Konditorei ein kraftvolles zweites Standbein verpasst: den Tortenversand (traumtorten.de), der inzwischen über die Grenzen Deutschlands hinaus floriert. Für den Versand braucht der Betrieb allerdings Kartonagen und die sind dramatisch knapp geworden. „Zuletzt haben wir ein halbes Jahr darauf gewartet“, so Tefert.
Was allen Konditoren außerdem zusetzt: Die Rohstoffpreise für Molkereiprodukte, Schokolade und Marzipan schnellen ebenfalls ebenso wie die Energiekosten rasant in die Höhe. Das Café Werntges hat rechtzeitig reagiert und sich schon vor Wochen mit länger haltbaren Rohstoffen wie Zucker, Nougat, Marzipan, Fondant, Mandeln und Nüssen im großen Stil bevorratet.
Trotzdem sah sich der Werdener Konditor vor vier Wochen gezwungen, einen Teil der Preiserhöhungen an den Kunden weiterzugeben und die Preise anzuheben. „Im Durchschnitt um 18 Prozent“, sagt Tefert. Für das Stück Torte, das bislang drei Euro gekostet hat, werden nun 3,50 Euro verlangt. Dieser Schritt sei notwendig gewesen, um existenzgefährdende Betriebsverluste abzuwenden. Es gehe um die Sicherung der Arbeitsplätze, aber auch darum, auch in Zukunft für die Stammgäste da zu sein. „Für viele ist unser Café ein Wohnzimmer und sie wären traurig, wenn es uns nicht mehr gäbe.“
Deutscher Konditorenbund prognostiziert Verluste in existenzbedrohendem Ausmaß
Eine aktuelle Umfrage des Konditorenbundes bei den Innungsbetrieben macht den Ernst der Lage deutlich. 54 Prozent geben an, schon jetzt Betriebsverluste durch die hohen Energiepreise einzufahren. „Die zu erwartenden Verluste werden in den meisten Fällen existenzbedrohenden Ausmaße annehmen“, prognostiziert Geschäftsführerin Julia Gustavus.
Die Kötters in Rüttenscheid haben schon Anfang dieses Jahres eine wichtige Kurskorrektur vorgenommen, indem sie die Zahl der Sitzplätze von 200 (innen und außen) radikal auf 20 (innen) reduziert haben. „Wir konzentrieren uns auf unsere Kernkompetenz und das ist das qualitativ hochwertige Konditor-Handwerk“, sagt Senior-Chefin und Konditormeisterin Susanne Kötter. Und fügt hinzu: „Die Zeit für große Kaffeehäuser ist längst vorbei, spätestens seit Corona haben sich die Menschen völlig umgestellt.“ Soll heißen: Man trifft sich seltener im Café, sondern holt sich die Torten für feierliche Anlässe lieber selbst ins Haus.
Tochter Katharina weist auf ein weiteres Problem hin, unter dem die gesamte Branche zu leiden hat: den enormen Mangel an Verkaufs- und Servicepersonal: „Es gibt keine Leute mehr.“ Eine Konsequenz: Das Café hat zusätzlich zum Ruhetag Montag nun auch am Dienstag geschlossen. Die Hände in den Schoß legen sie dienstags dennoch nicht – im Gegenteil: „Die Konditorei stellt Hochzeitstorten her, der Online-Shop läuft weiter, es wird geplant und organisiert“, berichtet Katharina Kötter.
„Der Kunde soll sich weiterhin ein Stück Torte leisten können, sie darf kein Luxusgut werden“
Zum Glück laufe der alte und deshalb günstige Stromvertrag noch bis Ende des Jahres. Weil aber ab dem 1. Januar 2023 eine drastische Erhöhung droht, erwägen die Kötters die Installation von Photovoltaik auf dem Dach, um künftig selbst günstigen Strom für die Konditorei erzeugen zu können. Die Preise für Kuchen und Torten sind vorerst noch nicht angehoben worden. „Doch wir werden Preiserhöhungen nicht vermeiden können“, sagen Susanne und Katharina Kötter.
Der Konditorenbund macht auf das Dilemma aufmerksam, wenn eine Konditorei an der Preisschraube dreht. Zwar werden dadurch Verluste verhindert oder zumindest gesenkt, andererseits könnten weitere Preiserhöhungen das Gegenteil bewirken: nämlich Kaufzurückhaltung oder die Abwanderung in den Einzelhandel. Mit anderen Worten: Der Kunde holt sich die Schwarzwälderkirschtorte aus dem Tiefkühlregal beim Discounter.
Bei Kötter, so viel steht schon fest, werden die Preise um zehn bis zwanzig Cent angehoben. „Die Schokocremetorte mit Waldfrüchten zum Beispiel wird demnächst zehn Cent teurer sein und 3,50 Euro kosten“, sagt Susanne Kötter. Warum so moderat? „Der Kunde soll sich trotz der Krise weiterhin ein Stück Torte leisten können, sie soll kein Luxusgut sein.“