Essen. Die Mitbegründerin der ersten freien Tanzcompagnie Chinas glänzt mit einem Gastspiel. Kleine Produktionen setzen bei der Triennale Akzente.

Als „Archiv kollektiver Erinnerung“ sieht die chinesische Choreographin und Tänzerin Wen Hui ihren Körper. Und mit ihm bescherte sie sich im vergangenen Jahr zu ihrem 60. Geburtstag ein sehr persönliches Geschenk mit der Solo-Performance „I am 60“. Auf Pact Zollverein hinterließ sie damit im Rahmen der Ruhrtriennale tiefe Eindrücke.

Als Mitbegründerin der ersten freien Tanzcompagnie Chinas, des Living Dance Studios, hat sie internationale Anerkennung gefunden. In ihrem neuen Stück kommentiert und vertieft sie mit minimalen, aber hochkonzentrierten Bewegungen und Gesten Episoden ihres Lebens. Es ist eine stille Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. Erinnerungen tauchen auf an ihre Kindheit, in der sie sich als Mädchen zurückgesetzt fühlte, an eine demütigende Abtreibung, die Untreue ihres Ehemannes, das Gefühl der Verlassenheit, die kraftspendende Begeisterung für den Tanz: alles aus der rückblickenden Sicht einer Frau auf der Suche, in männerdominierten Gesellschaften ihr eigenes Profil und ihre Identität zu finden.

Vor den großen Videoprojektionen wirkt Wen Hui noch zerbrechlicher

Die Rückschau in die Vergangenheit wird durch Video- und Bilddokumente optisch untermauert, die bis in das Shanghai der 30er Jahre zurückführen, in denen man sich eine Befreiung von starren konfuzianisch-patriarchalischen Strukturen erhoffte. Am Ende steht sie verloren auf einer wild befahrenen Straßenkreuzung einer modernen chinesischen Großstadt. Und mit ihrer zierlichen Figur wirkt sie vor den großen Videoprojektionen noch zerbrechlicher.

Sie klagt nicht an, sondern sie lässt Erinnerungen an traumatische und schöne Momente, an Illusionen und zerplatzte Träume an sich heran und antwortet mit ihrem Körper. Mit kleinen, meist langsam zelebrierten, mitunter nur angedeuteten Bewegungen ihrer Füße oder Hände, selten nur mit großen Gesten des ganzen Körpers. Eine leise, intime Geschichte einer Frau, die sich unter Schmerzen emanzipierte. Ohne Klagen, ohne Anklagen.

Wen Huis Tanzkreation reiht sich in die Erfolgsgeschichte der kleinen Produktionen ein

Wen Huis Tanzkreation reiht sich in die Erfolgsgeschichte der kleinen, unspektakulären Produktionen ein, von denen derzeit, im Gegensatz zu den abgehobenen, unverhältnismäßig aufwendigen Großprojekten des Festivals, die nachhaltigsten Impulse der Ruhrtriennale ausgehen. Allerdings ist Wen Huis Arbeit ein Gastspiel und keine Eigenproduktion der Triennale. Mit den eigenen Kreationen hatte Intendantin Barbara Frey bis jetzt erheblich weniger Glück.