Essen. Den traditionsreichen Bau, in dem einst die Geschicke des Konzerns gelenkt wurden, hat die Stadt Essen gekauft. Mit einer Ausnahme allerdings.
Wenn Steine reden könnten – an der Altendorfer Straße 103 würden sie von sieben Jahrzehnten Krupp-Geschichte erzählen: von den Räumen, in denen hier Artilleriewaffen konstruiert wurden, vom Paternoster zum Büro des Generalbevollmächtigten Berthold Beitz, vom Aufstieg und Fall eines Industriekonzerns und den Eiern, die vor der Tür aus der eigenen Belegschaft gegen den damaligen Krupp-Chef Gerhard Cromme flogen. All das ist bald Historie, denn in dem schlichten Verwaltungsbau von 1939 wird eine neue Seite aufgeschlagen. Es ist die eines städtischen Aktenordners.
Denn die Stadt nimmt das exklusiv nur ihr unterbreitete Angebot an und kauft Thyssenkrupp den Komplex am Westrand der Innenstadt zum Preis von 8,5 Millionen Euro ab. Das Ganze mit dem Ziel, hier eine Reihe städtischer Dienststellen unterzubringen, die zurzeit in Mietobjekten untergebracht sind. Bescheide vom Amt also statt „Grüße aus der Kanonenstadt“, unterm Strich soll dies letztlich eine Million Euro an jährlichen Mietzahlungen einsparen.
Über die Altendorfer Straße und zurück
Die Hauptverwaltung des alten Krupp-Konzerns, sie war anfangs in einem 1908 bis 1911 errichteten großen Bürokomplex auf der anderen Seite der Altendorfer Straße untergebracht – dort, wo heute das Porsche-Center steht.
Mit ihrem 60 Meter hohen Turm prägte die Immobilie damals das Stadtbild. Das vom einstigen Leiter des Kruppschen Baubüros, Robert Schmohl, entworfene Gebäude wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört, später notdürftig wieder aufgebaut und 1976 wegen zu hoher Sanierungskosten abgerissen.
Eine Fußgängerbrücke verband damals das „Turmhaus“ mit der bis heute erhaltenen Krupp-Hauptverwaltung gegenüber, die 1939/40 entstand.
Erst im Jahre 2010 wechselte die Zentrale des mittlerweile fusionierten Thyssenkrupp-Konzerns wieder die Straßenseite: Es entstand ein 20 Hektar großes Quartier mit dem spektakulären Hauptgebäude Q 1, einem Würfel mit zwei 28 mal 25 Meter großen Panoramafenstern.
Ein Gaswerk an gleicher Stelle und lange industrielle Nutzung – das roch nach Altlasten
Der Stadtrat winkte den Ankauf am vergangenen Mittwoch in nichtöffentlicher Sitzung durch, wobei sich die Eckpunkte des Vertrags allerdings an einer wesentlichen Stelle von den erstmals im März präsentierten Plänen unterscheiden: Eine knapp 11.300 Quadratmeter große unbebaute Teilfläche in der Mitte des Grundstücks an der Westendstraße, die ursprünglich zum Deal dazugehörte, bleibt bis auf weiteres ausgespart.
Hintergrund: Vor dem Bau der Krupp-Hauptverwaltung war das Grundstück über mehr als ein halbes Jahrhundert und bis in die 1930er Jahre hinein mit einem Gaswerk bebaut. Das versorgte die Kruppschen Fabriken und wurde im Krieg zerstört. Danach schlossen sich bis Ende der 1990er Jahre unterschiedliche gewerbliche Nutzungen an, aber seit einem Vierteljahrhundert liegt das Areal brach, kein Wunder, denn das alles roch für Fachleute nach Altlasten.
11.300 Quadratmeter Fläche bleiben bis Ende 2024 reserviert – für einen Euro
Die zu beseitigen, wenn man das Gelände nicht mehr wie bisher als schnöden Parkplatz nutzen will, darin bestehe „ein schwer einzuschätzendes finanzielles Risiko für die Stadt“, räumte man denn auch im Rathaus von Beginn an ein – wo doch Thyssenkrupp von künftigen Sanierungs-Belastungen vertraglich komplett freigestellt werden wollte. Die Unbekümmertheit, mit der mancher das Problem anfangs beiseite schob, wollte die Politik offenbar nicht mittragen, es gab neue Untersuchungen des Ingenieurbüros Asmus + Prabucki, und siehe da: Sie bestätigen, dass da Teeröl, allerlei Schwermetalle und andere Schadstoffe sowie belastetes Grundwasser noch erhebliche Sanierungen erforderlich machen. Auch 77 Jahre nach Betriebsende.
Was also tun? Da Thyssenkrupp auf einen zeitnahen Verkauf drängte, entschied sich die Stadt dafür, das Thema erst einmal auszuklammern. Sie kauft nun zwar die bebauten Grundstücksflächen, lässt aber erst einmal die Finger von dem mutmaßlich belasteten Areal. Das gibt ihr Zeit, konkretere Erkenntnisse über die Altlastensituation im Grundwasser zu sammeln. Im Kaufvertrag ist dazu festgelegt, dass man im Rathaus bis Ende des Jahres 2024 ein befristetes Ankaufsrecht ausüben kann. Der Preis ist auch schon fix: Er liegt bei einem Euro, plus Kaufnebenkosten.
Die Stadt will noch Millionen in den Standort investieren – etwa für eine neue Heizung
Das bedeutet aber auch: Obwohl vom ursprünglichen Grundstück 11.300 Quadratmeter fehlen, gibt’s die alte Krupp-Hauptverwaltung dennoch nicht zum Schnäppchen-Kurs: Es bleibt beim zuvor ausgehandelten Preis von 8,5 Millionen, weil der Wert der Immobilie, so heißt es aufseiten von Thyssenkrupp, schließlich in dem Gebäude liege, weniger in den Freiflächen.
Da mag auch die Stadt nicht widersprechen, die neben dem Kaufpreis bis Ende 2023 noch einmal die gleiche Summe unter anderem in eine komplett neue Heizungsanlage für die 12.600 Quadratmeter Bürofläche der alten Hauptverwaltung investieren will.
Gut für Publikumsverkehr, doch welche Ämter hier unterkommen, ist noch nicht raus
Immerhin hat man sich 3200 Ausstattungs-Gegenstände zum Freundschafts-Stückpreis von 9,20 Euro gesichert – Stühle, Schränke, Schreibtische, dazu 14 Einbauküchen, zum Teil mit eingebauten Wasserspendern. Soll niemand sagen, die Stadt würde leichtfertig Geld verpulvern.
Welche städtischen Dienststellen am Ende an der Altendorfer Straße Platz finden, ist noch nicht ausgemachte Sache. Es würden derzeit, so heißt es, verschiedene Belegungsvarianten geprüft. Ämter mit viel Publikumsverkehr dürften den Vorzug bekommen, denn der Standort ist mit öffentlichen Verkehrsmitteln genauso gut zu erreichen wie mit dem Auto. Und drinnen wartet, wie schon im Deutschlandhaus, eine technische Besonderheit: der zweite noch existierende Paternoster-Aufzug der Stadt.