Essen. Wenn Thyssenkrupp im August die traditionsreiche Immobilie leerzieht, will die Stadt dort Dienststellen aus dem ganzen Stadtgebiet unterbringen.
Die Zeiten mögen vorbei sein, da man mit dem schönen alten Spruch „Was Krupp in Essen, sind wir im Trinken“ zustimmende Lacher in jeder geselligen Runde erntete. Doch mehr als 200 Jahre Kruppscher Firmen- waren immer auch Stadtgeschichte – im Guten wie im Schlechten. Und deshalb dürfte ein stiekum eingestieltes Immobilien-Geschäft, das an diesem Mittwoch die Politik erreicht, nicht wenige in der Stadt elektrisieren: Die Stadt Essen will Thyssenkrupp die alte Krupp-Hauptverwaltung abkaufen.
Hier an der Altendorfer Straße 103 wurden nach dem 1976 erfolgten Abriss des gegenüberliegenden „Turmhauses“ über Jahrzehnte die Geschicke des Weltkonzerns gelenkt, bevor der 1999 mit Thyssen vereinigte Industrie-Riese im Herbst 2010 wiederum auf der anderen Straßenseite sein modernes Quartier bezog. Geblieben ist ein schlicht gehaltener siebenstöckiger Bau, von dem viele Essenerinnen und Essener allenfalls die Schnurre über den dort eingebauten Paternoster-Aufzug kennen: Berthold Beitz verfügte als frisch installierter Generalbevollmächtigter einst, dass dieser schneller als bisher laufen sollte – damit die Krupp-„Beamten“ flinker an ihre Arbeitsplätze gelangten.
Zwischen Bau und Parkplatz noch viel Brachland
Das Grundstück der ehemaligen Hauptverwaltung, das Thyssenkrupp der Stadt exklusiv angedient hat, liegt an der Altendorfer Straße 103 im Westviertel und hat eine Gesamtgröße von etwas mehr als 21.500 Quadratmetern.Der Verkauf umfasst dabei neben dem bis zu siebenstöckigen Bürogebäude auch drei Dutzend Stellplätze vor und hinter dem Haus sowie einen Garagenhof mit 31 Garagen. Bei großen Teile des Geländes handelt es sich um Brachland, am östlichen Grundstücksrand verläuft eine Fernwärme-Trasse der Steag, am Südende gibt es einen weiteren Parkplatz mit 110 Stellplätzen.
8,5 Millionen Euro für den Bau und nochmal so viel für die Renovierung
Wenn alles nach Plan läuft, eilen hier demnächst städtische Bedienstete zu ihren Schreibtischen, denn Ziel der Verwaltung ist es, gleich mehrere Dienststellen, die zurzeit in Mietobjekten untergebracht sind, hier zentral anzusiedeln: Das spare nicht nur manchen Weg, sondern auch viel Geld, heißt es, wenngleich detaillierte Berechnungen noch nicht vorliegen. Nur der Kaufpreis steht: Rund 8,5 Millionen Euro will man sich den Bau samt 21.500 Quadratmeter großem Grundstück kosten lassen, hinzu kommen Renovierungs- und Umbaukosten in nahezu gleicher Höhe, unter anderem für eine neue Heizungsanlage und eine moderne IT-Ausstattung.
Ein Bezug vor Ende 2023 gilt deshalb als nicht realistisch, zumal Thyssenkrupp das Gebäude erst Ende August freizieht und die Umbaumaßnahmen nicht im laufenden Betrieb umgesetzt werden soll. Einsparungen greifen folglich wohl erst ab 2024, wobei man auch bei der Ausstattung auf Schnäppchenkurs ist: Denn die Stadt will 3200 Gegenstände aus dem Inventar mit übernehmen, Stühle, Schränke, Schreibtische, aber auch 14 Einbauküchen, zum Teil mit eingebauten Wasserspendern. Bei (Thyssen)Krupp werden sie, so viel steht fest, auch nur mit Wasser gekocht haben.
Den typischen „Kruppschen Mutterboden“ zu sanieren könnte teuer werden
Kniffliger zu beantworten ist schon die Frage, was aus dem Außengelände wird: Die Hauptverwaltung, gebaut im Jahr 1940 steht auf dem historischem Industriegelände der einstigen Gesenkschmiede, weiter südlich war schon um 1875 ein Werk der Gussstahlfabrik in Betrieb und dazu über sieben Jahrzehnte ein Gaswerk, von dessen Gasometer noch ebenso Fundamentreste im Boden stecken wie von dem später hier errichteten Bauten, von Blindgängern mal ganz zu schweigen. Will sagen: typisch „Kruppscher Mutterboden“, und der könnte noch manche Altlast bergen.
Als Parkplatz genutzt, so wie bisher, stellt er kein Problem dar. Teuer könnte es allerdings werden, wenn die Stadt das Brachgelände längs der Westendstraße irgendwann einmal baureif machen möchte. Darin besteht auch „ein schwer einzuschätzendes finanzielles Risiko für die Stadt“, räumt man intern freimütig ein, weil Thyssenkrupp von künftigen Sanierungs-Belastungen vertraglich komplett freigestellt werden will.
Unterm Strich bewertet die Stadt das Immobilien-Geschäft als „ausgesprochen positiv“
Dennoch dürften unterm Strich die Chancen sämtliche Risiken überwiegen, heißt es mit Blick auf die Immobilien-Szenerie: Innenstadtnahe Angebote in dieser Größenordnung und Lagegunst, mit gut ausgebauten Hauptverkehrsstraßen nebenan und einem Straßenbahnanschluss direkt vor der Haustür, seien rar gesät, die Einspar-Perspektiven zudem beachtlich, der Deal mithin „ausgesprochen positiv zu bewerten“.
Und auch einer wie Beitz muss was gefunden haben an diesem Standort im Herzen des Reviers, das er, wenn man einem alten Artikel des Nachrichtenmagazins „Spiegel“ aus dem Jahre 1959 Glauben schenken will, nicht umgehend ins Herz schloss: Als ihm, dem Iduna-Chef, bei einem Besuch nach dem Krieg hier mal der Dienst-Mercedes verrußte, soll er Mitreisenden mit einem geflügelten Pommernwort gekommen sein: Er wolle im Ruhrgebiet „nicht einmal tot überm Zaun hängen“. Tatsächlich arbeitete und lebte er hier dann mehr als ein halbes Jahrhundert.
So kann man sich irren.