Essen. Zwei Jahre nach dem Beitritt des Essener Stadtrates zum Radentscheid sind dessen Initiatoren enttäuscht. Heute gehen sie auf die Straße.
Zwei Jahre nach dem Beitritt des Stadtrates zum „Essener Radentscheid“ macht sich unter den Initiatoren Frust breit. „Wenn man die Leute fragt, heißt es: Passiert ist eigentlich nichts“, gibt Stephan Rütt vom Organisationsteam die Stimmung an der Basis wieder. Ihrer Enttäuschung wollen Radfahrerinnen und Radfahrer am Freitag mit einem Demonstrationszug von der Grugahalle bis zum Hirschlandplatz in der Innenstadt Ausdruck verleihen (siehe Infobox). Die Demonstrierenden fahren nicht etwa mit dem Rad, sondern gehen ganz bewusst zu Fuß. „Denn Radwege gibt es ja nicht“, sagt Stephan Rütt.
Die Aufbruchstimmung, die sich vor zwei Jahren nach dem erfolgreichen Radentscheid unter all jenen breitmachte, die sich wünschten, die Stadt möge mehr für den Radverkehr tun, ist dahin. Die Forderung nach einem massiven Ausbau des Radwegenetzes hatten rund 25.000 Essenerinnen und Essener mit ihrer Unterschrift unterstützt. Der Rat der Stadt schloss sich an und machte bald darauf den Weg frei für bisher nicht dagewesene Investitionen in die Fahrrad-Infrastruktur. Nicht weniger als 220 Millionen Euro will die Stadt bis zum Jahr 2030 investieren.
Bei der Stadt Essen vermissen die Initiatoren des Radentscheides Mut und Inspiration
Für den „Essener Radentscheid“ war dies ein riesiger Erfolg. Doch nun hake es an der Umsetzung. Es mangele am Tempo und an der Qualität. „Da wünschen wir uns mehr“, sagt Stephan Rütt. Mehr noch: „Wir haben die Sorge, dass die Sache nicht richtig Fahrt aufnimmt“, wenn wir jetzt den Druck nicht aufrechterhalten.“
Der Protest richtet sich an die Stadtverwaltung wie auch an die Politik. Gespräche mit dem Amt für Straßen und Verkehr gestalteten sich als zäh. Was umgesetzt werde, bewege sich häufig auf dem niedrigsten Niveau. Ein Beispiel: „Die Stadt kommt immer wieder mit Fahrradstreifen um die Ecke“, beklagt Rütt. Dabei böten die gestrichelten Fahrbahnmarkierungen Fahrradfahrern den geringsten Schutz.
Rütt und seine Mitstreiter vom Radentscheid vermissen aufseiten der Verwaltung Mut und Inspiration, von Projekten mit einem Aha-Effekt ganz zu schweigen. Als ein negatives Beispiel nennt Rütt die Umweltspur am Rande der Innenstadt. Sie ist aus Sicht der Fahrrad-Lobby Stückwerk.
Die Stadt hält dagegen und legt zwei Jahre nach dem Beitritt zum Radentscheid eine eigene Zwischenbilanz vor, die sich äußerst positiv liest. Tempo werde die Umsetzung aber erst in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts aufnehmen, heißt es.
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Stephan Rütt mag daran nicht recht glauben. Denn seinem Eindruck nach mangelt es am Grundsätzlichen: am Willen und an der Einsicht, dass der zur Verfügung stehende Straßenraum begrenzt sei. Die Verwaltung wolle es aber Fahrradfahrern und Autofahrern gleichermaßen recht machen. Die Folge: Selbst Standards würden beim Radwegeausbau nicht immer eingehalten, etwa der Mindestabstand zu parkenden Autos.
„Der Radentscheid hat nie gefordert, dass Autos gänzlich aus der Stadt verbannt werden“, betont Rütt. Aber was zum Beispiel das Parken angehe – dafür müsse auch mal nur eine Straßenseite genügen, um mehr Platz für Radfahrer und auch Fußgänger zu schaffen.
Protestzug von der Grugahalle zum Hirschlandplatz
Die Demonstration, zu der Radentscheid Essen am Freitag, 26. August, aufruft, steht unter dem Motto „Hey Essen, wo bleiben die Radwege?“ Der Protestmarsch startet um 17 Uhr an der Grugahalle. Die rund vier Kilometer lange Route streift zahlreiche Stellen, die aus Sicht der Initiatoren für den Radverkehr problematisch sind. Die Demonstration wird von der Polizei begleitet. Für musikalische Unterstützung sorgt die Gruppe Sambakowski. Die Kundgebung endet gegen 18.30 Uhr auf dem Hirschlandplatz.
In seinem Eindruck sieht sich Rütt durch die Politik nur bestätigt. Ein Beispiel: CDU und Grüne, die im Rat der Stadt kooperieren, kommen gerade in der Verkehrspolitik kaum auf einen Nenner. In der Frage der Ausgestaltung der Rüttenscheider Straße als Fahrradstraße haben sich beide regelrecht ineinander verbissen. Eine einvernehmliche Lösung scheint nicht in Sicht. Widerstände gegen den Ausbau des Radverkehrs gebe es trotz Beschlusslage auch in den Bezirksvertretungen. So habe es in Werden einen Aufschrei ausgelöst, als die Verwaltung ankündigte, fünf Fahrradbügel aufzustellen – auf Kosten eines einzigen Pkw-Stellplatzes.
So komme der Radentscheid nicht von der Stelle. Rütt erinnert daran, dass sich der Rat der Stadt den Zielen des Bürgerentscheides per Ratsbeschluss angeschlossen hat. „Das gilt auch für die CDU.“ Und der Ratsbeschluss sei schließlich verbindlich.