Zwischen Corona-Lockdown und Krieg holen Künstler aus der Ukraine ihre Show „Undressed“ im GOP Essen nach. Welche Gefühle sie begleiten.

Das GOP Essen ist für sie ein wenig „wie das zweite Zuhause“ geworden. Das lassen 13 Artisten vom ukrainischen Circus-Theater Bingo Direktorin Nadine Stöckmann nach der lange erwarteten Premiere von „Undressed“ sagen. Sie ist so gerührt wie das Publikum. Das hiesige Varieté-Theater ist eines der acht Spielorte des GOP in Deutschland. Aber es ist das Haus, wo die Künstler aus Kiew nach der geplatzten Weltpremiere ihrer Show Ende 2020 monatelang wegen des Corona-Lockdowns festsaßen und versorgt wurden. Und dann Anfang dieses Jahres nach dem russischen Überfall auf die Ukraine nahm das GOP geflüchtete Angehörige in seinen Appartements auf. So viel Solidarität verbindet.

Körperbeherrschung in luftiger Höhe: Oleksii Filippov am Chinesischen Mast in der GOP-Show „Undressed“.
Körperbeherrschung in luftiger Höhe: Oleksii Filippov am Chinesischen Mast in der GOP-Show „Undressed“. © Foto: Becker

Der Lockdown war eine schwierige Zeit. Wir mussten trainieren, um fit zu bleiben. Arbeiten durften wir nicht“, erinnert sich Artist Oleksii Filippov. Viel Freundlichkeit hätten sie erfahren. „Man hat alles für uns getan.“ Die Unterbringung war gesichert, und mit ein wenig Vorschuss auf die Gage kamen sie über die Runden. „Sie können nicht nach Hause, weil die Einreise so lange gedauert hat und die Show noch in andere Häuser wandert“, erklärte die Direktorin damals. „Sie lassen sich nur das Nötigste auszahlen, weil sie ja nicht wissen, wie es weitergeht.“

Ukrainer von dem Angriffskrieg schockiert

Dass der ukrainisch-russische Konflikt in einem Angriff auf ihre Heimat gipfeln würde, haben sie nicht gewusst. „Aber wir waren vorbereitet. Der Krieg hat schon vor acht Jahren begonnen“, betont Oleksii Kolomiiets, so als wäre das hierzulande vielen nicht klar. „Trotzdem waren alle schockiert. Alle haben Familie und Freunde dort. Jede halbe Stunde haben wir gefragt, wie es ihnen geht“, erzählt sein Kollege. „Es ist gefährlich, doch sie wollten bleiben.“ Auch die kranke Mutter von Oleksii Kolomiiets gehört in der Region Donezk zu den Tausenden, die bei Beschuss in Kellern ausharren mussten.

Glanzleistungen an den Strapaten: Oleksii Kolomiiets in der GOP-Show „Undressed“.
Glanzleistungen an den Strapaten: Oleksii Kolomiiets in der GOP-Show „Undressed“. © Foto: Brell

Oleksii Filippov und Oleksii Kolomiiets, die sich zum Gespräch mit dieser Zeitung bereiterklären, sind zwei aus dem herausragenden Ensemble der bejubelten Show „Undressed“. Der eine vollbringt Glanzleistungen an den Strapaten, der andere am Chinesischen Mast. Formvollendet kreieren sie starke Figuren gegen die Schwerkraft und rasen gen Boden, bis der Atem des Publikums stockt. Stolz in der Haltung und mit einem Hauch von Erotik präsentieren sie ihre Nummern. Das sonst so strahlende Lächeln zeigt sich eher verhalten. Für zwei Stunden wirkt die Ablenkung, bleibt der Alltag für die Zuschauenden außen vor, der Krieg für die Artisten.

„Professionelle Künstler schalten auf der Bühne ab. Sie dürfen mit den Gedanken nicht woanders sein. Ich bin ganz fokussiert auf die Show. Das ist meine Sicherheit. Alles andere wäre zu riskant“, so Kolomiiets. Vorher und nachher sorgt er sich um die Familie und unterstützt sie finanziell, weil es vor Ort keine Arbeit gibt. Als Kämpfer für die Heimat sieht er sich nicht. „Ich bin kein Soldat. Ich bin Künstler. Nicht jeder ist verpflichtet zu kämpfen. Wer einen Arbeitsvertrag im Ausland hat, darf ausreisen“, meint er. Da das Circus-Theater Bingo international vermittelt, stehen viele Wege offen. Für ihn speziell in Europa.

Weiteres Gastspiel in Bad Oeynhausen

Auf das Gastspiel in Essen folgt noch ein weiteres in Bad Oeynhausen. Anfang November ist die GOP-Tour beendet. Oleksii Filippov hat einen Anschlussvertrag beim Schweizer Circus Knie. Seine Frau, die auch Artistin ist, und sein wenige Monate altes Baby begleiten ihn. „Ich bin sehr froh, dass es in Deutschland geboren wurde“, meint er. Oleksii

geht für zwei Monate mit dem Circus Medrano nach Italien und hofft auf ein neues Angebot. „Keiner von uns“, sagt er, „will zurück in die Ukraine.“