Essen. Das illegale Glücksspiel etabliert sich in Essen. Es ist ein Millionengeschäft. Import-Automaten werfen für den Aufsteller satte Gewinne ab.

Während die Zahl der Spielhallen stetig abnimmt, etabliert sich in Essen zusehends das illegale Automatenglücksspiel: vorwiegend in Hinterzimmern und Kulturvereinen, zum Teil aber auch ganz offen in Gaststätten. Ein Indiz für die zunehmende Verbreitung illegaler Glücksspielautomaten sind die Erkenntnisse der Besonderen Aufbauorganisation (BAO) „Aktionsplan Clan“. „Im Zuge der Ermittlungen zur Clan-Kriminalität konnten in dieser Stadt im Laufe von zwei Jahren Glücksspielautomaten im hohen zweistelligen Bereich sichergestellt werden“, sagt BAO-Clan-Sprecher Matthias Werk. Der Essener Unternehmer Freddy Fischer, Vizepräsident des Bundesverbandes Automatenunternehmer, fügt hinzu: „Illegales Automatenglücksspiel ist jetzt schon ein Riesenproblem und es wird weiter zunehmen.“

Legale Spielhallen verschwinden von der Bildfläche: 2016 waren es noch 141, jetzt 81

Der Vergleich mit dem Jahr 2016 zeigt, wie sehr die vom Gesetzgeber zum Schutz der Spieler stark reglementierte Spielautomatenbranche geschrumpft ist. Damals gab es zwischen Karnap und Kettwig noch 141 Spielhallen, 2021 war deren Zahl bereits auf 86 gesunken. „Aktuell sind im Essener Stadtgebiet 81 Spielhallen in Betrieb“, sagt Stadtsprecher Patrick Betthaus. Innerhalb von nur sechs Jahren sind somit schon 60 Spielhallen von der Bildfläche verschwunden: ein Rückgang von 43 Prozent.

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Bei der Razzia Mitte August 2020 in Essen-Kray stellen Einsatzkräfte der Polizei in einer Spielhalle ein mutmaßlich illegales Glücksspielgerät sicher und verladen es zum Abtransport in einen Lkw.
Bei der Razzia Mitte August 2020 in Essen-Kray stellen Einsatzkräfte der Polizei in einer Spielhalle ein mutmaßlich illegales Glücksspielgerät sicher und verladen es zum Abtransport in einen Lkw. © FUNKE Foto Services | Socrates Tassos

Zwei Beispiele zeigen indes, wie sich illegales Automatenglücksspiel etabliert hat – und wie die Polizei dagegen vorgeht. Beispiel eins: Mitte August 2020 ist der Essener Stadtteil Kray Schauplatz einer großangelegten Razzia. Dieses Mal haben es die Ermittler zum ersten Mal in großem Stil auf Geldspielautomaten und Unterhaltungsspielgeräte abgesehen. Auch Innenminister Herbert Reul, der in der Bekämpfung von Clan-Kriminalität eine Null-Toleranz-Strategie verfolgt, sowie OB Thomas Kufen und Polizeipräsident Frank Richter sind in dieser Nacht an Ort und Stelle.

In einem Bistro auf dem Heinrich-Sense-Weg stoßen die Einsatzkräfte auf ein gut getarntes Hinterzimmer. Dass hier offenbar illegal gezockt wird, ist unübersehbar. Die Polizeibeamten stellen drei illegale Spielautomaten sicher und verladen sie in einen Lkw. Auch einen Pokertisch finden sie. Bei einer weiteren Razzia in Duisburg entdecken Ermittler am selben Tag eine illegale Spielhalle.

Branchenexperte geht von mehr als 500 illegalen Geldspielautomaten in Essen aus

Beispiel zwei: Ende Januar 2021 durchsuchen Polizisten und Mitarbeiter des Ordnungsamtes eine Shisha-Bar auf der Stauderstraße in Altenessen. Dem ersten Eindruck nach ist das Lokal geschlossen. Doch sie stoßen im Inneren auf acht Männer und entdecken neben einem Einhandmesser sowie zahlreichen Shisha-Pfeifen und dem dazugehörigen Tabak auch einen Spieltisch. In der Pressemitteilung heißt es später: „Die Polizei nahm den Spieltisch in Augenschein und stellte ihn zur weiteren Überprüfung wegen des Verdachtes des illegalen Glückspiels sicher.“

Razzia in Altenessener Shisha-Bar Ende Januar 2021: Polizeibeamte stellen einen Spieltisch sicher.
Razzia in Altenessener Shisha-Bar Ende Januar 2021: Polizeibeamte stellen einen Spieltisch sicher. © Polizei Essen

Branchenkenner Freddy Fischer, der einst selbst Spielhallen betrieben hat, geht davon aus, dass die bisher sichergestellten Automaten nur die Spitze des Eisbergs darstellen. Seinen Schätzungen zufolge dürfte es im Essener Stadtgebiet schon mehr als 500 illegale Glücksspielautomaten geben. „Es ist ein Millionengeschäft mit viel Zunder drin“, sagt er. Während legal betriebene und streng kontrollierte Spielhallen ordnungsgemäß Umsatz- und Vergnügungssteuer entrichteten, steckten die Betreiber schwarz aufgestellter und manipulierter Zocker-Automaten satte Gewinne in die eigene Tasche.

Legale Spielhallen müssen nicht nur den 350-Meter-Abstand zu Schulen einhalten, sondern auch den Spielerschutz gewährleisten. Die Verluste pro Spieler (maximal 60 Euro pro Stunde) sind ebenso gedeckelt wie die Gewinne (höchstens 400 Euro pro Stunde). Früher durften in einer Gaststätte drei Geldspielautomaten aufgestellt werden, inzwischen nur noch zwei.

Der Kick des Illegalen: 500 Euro Verlust in fünf Sekunden oder 10.000 Euro Gewinn

Der Insider aus der Automatenwirtschaft begrüßt die staatlichen Auflagen zur Bekämpfung von Spielsucht, doch gleichzeitig befeuere strenge Reglementierung die Etablierung illegaler Strukturen. „Der legale Bestand an Spielhallen wird in NRW weiter abnehmen, bis zu 30 Prozent werden vom Markt verschwinden“, prophezeit er.

Ähnlich wie beim Rauschgifthandel regeln auch beim illegalen Automatenglücksspiel Angebot und Nachfrage den Markt. Wenn Spielsüchtige und Zocker in legalen Spielhallen den Kick vermissen, weichen sie aus in Hinterzimmer-Spielbuden. Die Aussicht auf exorbitant hohe Gewinne – obendrein ohne Spielpausen – mache die illegalen Daddel-Automaten erst recht attraktiv. „Es gibt Automaten, an denen man in fünf Sekunden 500 Euro verlieren, aber genauso gut 10.000 gewinnen kann“, berichtet Fischer.

Nach Informationen dieser Zeitung soll die Essener Polizei im ersten Halbjahr einen mutmaßlich illegalen Glücksspielautomaten sichergestellt haben, mit dem der Aufsteller in nur sechs Monaten angeblich rund 200.000 Euro Gewinn gemacht habe. Monatliche Gewinne von 10.000 bis 20.000 Euro, so heißt es, seien bei solchen Automaten nicht ungewöhnlich.

Illegale Geräte verheißen Aufstellern satte Gewinne: 10.000 Euro im Monat und mehr

Die Herkunft illegaler Spielautomaten ist bekannt. Nach Angaben des Branchen-Dachverbandes „Deutsche Automatenwirtschaft e. V.“ in Berlin werden sie „im großen Stil aus dem Ausland importiert“.

Der Arbeitskreis Spielsucht mit Sitz in Unna hat Anfang dieses Jahres eine Studie über illegales Glücksspiel veröffentlicht. Im Laufe von fünf Monaten sind 2021 mehr als 1400 Örtlichkeiten – Hinterzimmer von Kneipen, Kulturvereine, Problem-Gastronomien – in 150 Kommunen und 13 Bundesländern verdeckt unter die Lupe genommen worden. Die erschreckenden Erkenntnisse: In 44,5 Prozent der aufgesuchten Einrichtungen fanden sich illegale Spielautomaten, häufig neben legalen. Jedes dritte vorgefundene Geldspielgerät war illegal: 32,8 Prozent von insgesamt 3337.

Illegal betriebene Geldspielgeräte sind nach Erkenntnissen der Stadt Essen selten in Spielhallen, dafür aber in kleinen Gaststätten oder Hinterzimmern von Trinkhallen zu finden. Regelmäßig handele es sich um Spielgeräte, die als sogenannte „Unterhaltungsgeräte“ gekennzeichnet sind oder bezeichnet werden. „Oft sind die Geräte auch derart manipuliert, dass die Gewinnauszahlung nicht über das Gerät, sondern beispielsweise durch den Gastwirt stattfindet“, sagt der Stadtsprecher.

Branchenkenner aus Essen: „Es gibt ein klares Vollzugsdefizit“

Dabei handele es sich nicht um eine Ordnungswidrigkeit, sondern um eine Straftat, betont die Stadt. Das Bereitstellen von Einrichtungen zum unerlaubten Glücksspiel (zum Beispiel illegal betriebene Geldspielgeräte) stelle eine Straftat gemäß Paragraf 284 des Strafgesetzbuches dar und werde durch Polizei und Staatsanwaltschaft verfolgt. Das Gesetz sieht hier eine Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren oder eine Geldstrafe vor. In den vergangenen beiden Jahren haben Kontrolleure des Ordnungsamtes lediglich in einer Spielhalle zwei illegale Geldspielgeräte entdeckt und im März 2022 beschlagnahmt.

Trotz der Kontrollen durch Polizei und Ordnungsamt sieht Branchen-Repräsentant Freddy Fischer einen enormen Handlungsbedarf, der weit über Clan-Kriminalität hinausgehe. „Es gibt im Kampf gegen illegale Geldspielautomaten ein klares Vollzugsdefizit.“ Seine Sorge: Der Glücksspielstaatsvertrag mit seinen hehren Zielen drohe krachend zu scheitern.