Essen. Essen will Sportstudenten zu Rettungsschwimmern ausbilden – und sie als Aushilfen in den nur eingeschränkt geöffneten Freibädern einsetzen.

Lange Zeit war die Beschäftigung von 450-Euro-Aushilfen in den Essener Freibädern ein absolutes Tabu. Doch die äußerst angespannte Personalsituation hat die Sport- und Bäderbetriebe jetzt zu einem rasanten Kurswechsel bewogen. Neben sozialversicherungspflichtig beschäftigten Saisonkräften sollen demnächst auch Mini-Jobber den Aufsichtsdienst am Beckenrand versehen dürfen und somit die Freibad-Misere stoppen. Reichlich verspätete Saisonstarts bei obendrein verkürzten Öffnungszeiten wie aktuell bei den Freibädern Kettwig und Oststadt könnten dadurch in Zukunft vermieden werden.

Rettungsschwimmer künftig auf 450-Euro-Basis einstellen – dieser Vorstoß ist eng mit dem Namen Horst Melzer verbunden. Der 72 Jahre alte Essener ist Gründer und Geschäftsführer des Sport- und Tanzinternats Rüttenscheid. Er war 40 Jahre lang Schulsportreferent der Stadt Essen und vier Mal als Schwimmtrainer bei Olympia. Stars wie Mark Warnecke und Christian Keller sind in seiner Talentschmiede zu Olympiamedaillengewinnern und Weltmeistern herangereift.

Horst Melzer und die Bäderbetriebe werben bei Sportstudenten gezielt für Freibad-Job

Der Essener Horst Melzer packt mit an, um Sportstudenten als Rettungsschwimmer für den Aufsichtsdienst in städtischen Freibädern zu gewinnen. Sein Ziel: Die Essener Freibäder sollen wieder ganztätig geöffnet sein.
Der Essener Horst Melzer packt mit an, um Sportstudenten als Rettungsschwimmer für den Aufsichtsdienst in städtischen Freibädern zu gewinnen. Sein Ziel: Die Essener Freibäder sollen wieder ganztätig geöffnet sein. © FUNKE Foto Services | Vladimir Wegener

Essen, so betont Melzer, verfüge als eine der wenigen Städte in der Region mit sieben Hallen- sowie drei Freibädern (plus zwei Vereinsbäder) über eine vergleichsweise gut ausgestattete Bäderlandschaft. Es sei sein Herzensanliegen, dieses hohe Niveau zu halten. „Deshalb ist es dringend notwendig, den Personalnotstand bei den städtischen Bäderbetrieben endlich zu beheben“, sagt Melzer und fügt hinzu: „Zur Not sollte dies mit Aushilfskräften geschehen.“

Das Presseamt unterstreicht Melzers rastloses Wirken zur Beseitigung personeller Engpässe in den Frei- und Hallenbädern. Zusammen mit ihm und den Sport- und Bäderbetrieben habe es zuletzt mehrere Veranstaltungen gegeben, bei denen Personal „zielgruppengerichtet“ angesprochen wurde. So habe man am vergangenen Mittwoch (22. Juni) im Sportbad Thurmfeld bei Sportstudentinnen und -studenten der Universität Duisburg-Essen für Beschäftigungsmöglichkeiten in den Freibädern geworben. Weitere Termine an der Uni sollen diese Woche folgen. „Die Sport- und Bäderbetriebe freuen sich über die Unterstützung von Herrn Melzer und sind optimistisch, durch dieses Engagement weitere Rettungsschwimmer gewinnen zu können“, heißt es im Statement der Stadt.

Im Hesse-Bad von Ruwa Dellwig zählen 450-Euro-Kräfte zu den Stützen des Badbetriebs

Melzer selbst spricht bei der Zusammenarbeit der Uni mit den Sport- und Bäderbetrieben von einer „Win-Win-Situation“: „Der praxisbezogene Aufsichtsdienst in den Freibädern ist für Sportstudenten obendrein eine ausgezeichnete Vorbereitung auf ihre spätere Arbeit als Sportlehrer.“

Wer als Freibad-Aufsicht eingesetzt werden möchte, muss rettungsfähig sein und deshalb das DLRG-Rettungsabzeichen in Silber besitzen. Melzer geht jedoch davon aus, dass rund 200 Sportstudenten momentan gar nicht rettungsfähig sind – auch eine Folge der Corona-Pandemie. In Abstimmung mit dem OB-Büro soll nun der städtische Beauftragte für die Rettungsschwimmer-Ausbildung interessierte Sportstudenten rettungsfähig machen. Melzers Kalkül: „30 Studenten reichen aus, um die Freibäder ganztägig im Zwei-Schicht-Betrieb zu öffnen.“ Die Mini-Jobber könnten beispielsweise an vier Samstagen oder Sonntagen eine Schicht übernehmen.

In dem vom Verein Ruwa Dellwig betriebenen Freibad Hesse kommen 450-Euro-Kräfte schon seit Jahren zum Einsatz. Ohne sie wäre der von zwei Vollzeitkräften geleitete Badbetrieb gar nicht möglich. Von 22 Rettungsschwimmern gehörten sechs bis acht zum Stammteam, so Ruwa-Geschäftsführer Josha Westkamp, der allerdings einräumt: „Es wird immer schwieriger, zuverlässige Rettungsschwimmer zu gewinnen, vor Corona war die Lage deutlich besser.“

Freibäder Oststadt und Kettwig haben geöffnet – aber mit eingeschränkter Öffnungszeit

Das Nichtschwimmerbecken im Freibad Kettwig: Dieses Luftbild ist vor sieben Jahren an heißem Tag entstanden. Aktuell müssen sich die Badegäste mit vorerst stark eingeschränkten Öffnungszeiten begnügen. Früh- und Sportschwimmer können morgens ihre Bahnen ziehen. Dann ist Feierabend.
Das Nichtschwimmerbecken im Freibad Kettwig: Dieses Luftbild ist vor sieben Jahren an heißem Tag entstanden. Aktuell müssen sich die Badegäste mit vorerst stark eingeschränkten Öffnungszeiten begnügen. Früh- und Sportschwimmer können morgens ihre Bahnen ziehen. Dann ist Feierabend. © www.blossey.eu | Hans Blossey

Wie prekär die Lage insbesondere an heißen Tagen ist, zeigte sich am vergangenen Donnerstag (23. Juni). Das Grugabad war am Nachmittag derart überfüllt, dass ein Einlass-Stopp verhängt werden musste. Immerhin: Mit Beginn der Sommerferien hat sich die angespannte Situation in den Freibädern schrittweise gebessert. Zusätzlich zum Gruga- und Hessebad haben jetzt auch die Freibäder Oststadt (seit Samstag) und Kettwig (seit Montag) geöffnet. Allerdings lohnt sich der Freibadbesuch in Kettwig nur für Früh- und Sportschwimmer, denn das Bad hat dort vorerst lediglich zwischen 6.30 und 10 Uhr geöffnet. Erst wenn weiteres Freibadpersonal zur Verfügung stehe, so das Presseamt, könnten die Öffnungszeiten schrittweise ausgeweitet werden.

Besser steht im Vergleich dazu das Freibad Oststadt da, das werktags von 14 bis 19 Uhr und samstags/sonntags von 11 bis 18 Uhr geöffnet hat. Frühschwimmer müssen sich vorerst mit dem Hallenbad zufriedengeben, es hat montags bis freitags von 6.30 bis 10 Uhr geöffnet.

Aus Sicht des Kettwiger Ratsherrn und Sportausschuss-Mitgliedes Daniel Behmenburg (SPD) könne der Ein-Schicht-Betrieb in einem Freibad (inklusive der Zeit für Frühschwimmer) kein Dauerzustand sein. „Das ist ein Notbetrieb, aber ganz bestimmt nicht das, was mir für die nächsten Jahre vorschwebt.“ Gerade in den Sommerferien seien insbesondere Kinder, deren Eltern sich aus finanziellen Gründen keinen Urlaub leisten könnten, auf den Badespaß im Freibad angewiesen. Auch für „Bäder-Aktivist“ Horst Melzer verkörpern die Freibäder im Sommer Lebensqualität: „Das ist Erholung in Essen vor der Haustür.“