Essen-Ruhrhalbinsel/Werden. Sie sind acht bis zwölf Jahre alt und von der Flutkatastrophe 2021 betroffen. Camp bringt Kinder aus Essen, dem Ahrtal und der Eifel zusammen.
Sie sind zwischen acht und zwölf Jahren alt, gehen zur Schule, haben Freunde und Hobbys. Doch die Kinder, die jetzt für eine Woche im Sommercamp zusammenkommen, eint noch eines: Sie sind von der Flutkatastrophe im vergangenen Sommer betroffen gewesen. „Kinder blicken nach vorn“ heißt es für die Mädchen und Jungen aus Essen, dem Ahrtal und der Eifel. Für das Pilotprojekt haben sich viele Partner eingesetzt.
Kupferdreh ist ein Stadtteil, den die Flut massiv getroffen hat, Straßen standen unter Wasser, die Feuerwehr hat Menschen mit Booten retten müssen. Das Hochwasser hat in Wohn- und Geschäftshäusern große Schäden angerichtet, hat manchen alles genommen. Als die Idee dann entstanden ist, junge Betroffene zusammenzubringen und etwas für sie zu planen, „da gab es beispielsweise viele Ideen aus den Bürgerschaften der Ruhrhalbinsel und ein riesiges Engagement“, sagt Andrea Wilbertz von der Stabsstelle „Bürgerbeteiligung und Ehrenamt“ der Stadt immer noch überwältigt, da ein vielfältiges Programm das Ergebnis ist.
Die Hilfe und die Gelder sind häufig nicht direkt angekommen
Zum Jahrestag des verheerenden Hochwassers unter anderem in Essen, im Ahrtal und der Eifel wirken nun Mitstreiter aus der Wirtschaft, Bürger und Mitarbeiter der Stadt Essen an dem Camp mit. Seinen Anfang aber nahm das Projekt in den Büroräumen der Firma RST Steuerberatung, die für Flutopfer spenden statt Weihnachtskarten verschicken wollte. „Möglicherweise dachten sie an marode Turnhallen“, sagt Andrea Wilbertz.
„Die Hochwasserkatastrophe in Rheinland-Pfalz und in NRW hat uns besonders bewegt. Trotz der großen Solidarität und Hilfsbereitschaft der Bevölkerung sind die Hilfe und die Gelder häufig nicht direkt dort angekommen, wo sie benötigt wurden“, sagt Katarzyna Koper-Schröer vom Unternehmen RST, das eng mit der Stadt verbunden sei und den Menschen etwas zurückgeben wollte, um sie zu unterstützen.
„Wir haben selbst nach verschiedenen Spendenaktionen recherchiert und festgestellt, dass es kein Projekt gab, welches sich sowohl an die Menschen aus dem Ahrtal und der Eifel, aber auch an die vom Hochwasser betroffenen Essener richten würde“, berichtet sie. Schließlich sprachen sie Oberbürgermeister Thomas Kufen an. Es entstand der Kontakt speziell zu Andrea Wilbertz.
Den Begriff der Betroffenheit weit auslegen
Das Ergebnis ist das Sommercamp, an dem nun auch Mädchen und Jungen aus Essen teilnehmen können, die in irgendeiner Weise vom Hochwasser betroffen waren oder sind. Sie müssen nicht gleich das Zuhause verloren haben, manche seien auch eingeschränkt gewesen, weil etwa ihr Verein wie am Steeler Ruhrufer überflutet worden sei, sagt Andrea Wilbertz, die den Begriff der Betroffenheit weit auslegen möchte.
Bei manchen stand das Zuhause plötzlich unter Wasser, Keller oder sogar die Wohnung oder das Haus sind geflutet worden. Manche werden erlebt haben, dass die Straße vor der Tür unbefahrbar, das Auto demoliert war. In einigen Familien mussten Tiere gerettet werden, mitunter konnten Schulräume, Turnhallen oder Sportplätze nicht mehr genutzt werden. Unterricht und Kurse sind ausgefallen. Die Kinder haben erlebt, wie aufgeregt Erwachsene gewesen sind, wie Urlaube plötzlich und hektisch abgebrochen, wie Erinnerungsfotos und viele Andenken vernichtet worden sind.
Ausgerichtet ist das Camp auf insgesamt 48 Kinder, 20 von ihnen sollen aus Essen kommen, je 14 aus dem Ahrtal und der Eifel. Das Ziel: Kinder, die Ähnliches erlebt haben, können sich austauschen, unterstützen und vielleicht sogar Freundschaften schließen. Übernachten werden sie in der Jugendherberge in Werden, ebenfalls ein Stadtteil wie auch Kettwig, in dem die Flut große Schäden angerichtet hat.
Kinder sollen Berufe kennenlernen und Berührungsängste verlieren
Den Organisatoren ist ein weiterer Aspekt wichtig: die berufliche Zukunft. Schon im Camp sollen die Kinder die Möglichkeit erhalten, Berufe kennenzulernen und Berührungsängste zu verlieren. Das gilt laut Andrea Wilbertz für den Umgang mit Einsatzkräften, die bei Katastrophen zu Rettern werden. Die Kinder sollen wissen, dass es in Notfällen Hilfe gibt und erfahren, wie sie diese rufen können. Wenn der Arbeiter-Samariter-Bund etwa mit einem Rettungswagen vor Ort sein wird, sollen sie auch mögliche Scheu vor diesen Einsatzfahrzeugen verlieren.
Das Programm gestalten aber nicht nur Einsatzkräfte, sondern auch Fachleute wie Ingenieure, Stadtplaner, Theaterpädagogen, Köche und Jugendleiter. Neben dem Besuch bei der Feuerwehr, dem Junior-Sanitäter-Stationenlauf, Break Dance, historische Aktivitäten auf der Burg in Burgaltendorf, steuern die Kinder auch das Kupferdreher Mineralienmuseum an, gehen reiten, Bogenschießen, klettern, spielen Fußball und Minigolf und bauen Brücken aus Holzlatten.
Aber man könne das Projekt sicherlich auch für den Essener Norden anpassen
„Das Camp soll für die Kinder und Erwachsenen eine erholsame und doch erfahrungsreiche Zeit werden“, sagt Andrea Wilbertz. Dabei sollen die jungen Teilnehmer und Teilnehmerinnen sich selbst einzuschätzen lernen und Selbstvertrauen entwickeln, um so für diese und weitere Krisen gestärkt zu sein. „Und die Kinder haben spielerisch die Möglichkeit, vielleicht eine Idee für ihre Zukunft zu entwickeln.“
Zunächst trifft das nun auf Kinder zu, die vom Hochwasser betroffen waren. Aber man könne das Projekt sicherlich auch anpassen und möglicherweise etablieren, glaubt Andrea Wilbertz und denkt etwa an Mädchen und Jungen aus geflüchteten Familien und auch an den Essener Norden.