Essen. Das Flaggschiff der Weißen Flotte Baldeney wurde auf Elektrobetrieb umgerüstet. Weitere Schiffe sollen folgen. Essen will damit Vorreiter sein.
Die Wellen schlagen leise an die Bordwand. Und sonst? Nichts. Schallte zum Vatertag nicht Schlagergesang über das Oberdeck der „Stadt Essen“, das Flaggschiff der Weißen Flotte würde nahezu geräuschlos über den Baldeneysee gleiten. Spaziergänger und Wassersportler durften es schon seit einigen Tagen bestaunen: Die „Stadt Essen“ dampft, stinkt und lärmt nicht mehr. Der alte Dieselmotor ist verstummt, denn das Fahrgastschiff, Baujahr, 1986, fährt nun vollelektrisch.
Die Geschichte Essens als Grüne Hauptstadt wird fortgesetzt, sagte Oberbürgermeister Thomas Kufen anlässlich der offiziellen Jungfernfahrt an Christi Himmelfahrt und ließ die Schiffsglocke erklingen. Für die Weiße Flotte Baldeney brechen neue Zeiten an, die kleinste der städtischen Tochtergesellschaften steuert in Richtung Zukunft. „Wir sind jetzt Vorreiter“, freute sich Geschäftsführer Boris Orlowski. Und der Umbau der „Stadt Essen“ soll erst der Anfang sein. Bis 2025 soll die gesamte Flotte elektrisch fahren.
Der Maschinenraum der „Stadt Essen“ erinnert nun an die Enterprise
In der Lux-Werft am Rhein wurde das 38,5 Meter lange und 5,20 breite Fahrgastschiff in den vergangenen Monaten umgebaut. Der 167 PS starke Dieselmotor wurde ersetzt durch einen Elektromotor mit einer Leistung von 147 Pferdestärken. Die Energie liefern Batterien mit einem Gesamtgewicht von stolzen 3840 Kilogramm. Der mit Schaltkästen vollgepackte Maschinenraum erinnert jetzt eher an die Enterprise als an einen „Dampfer“ aus den 1980er Jahren. Was drin steckt, sieht man der „Stadt Essen“ von außen nicht an.
Nur der neue Anstrich fällt auf. Statt grün und weiß trägt die „Stadt Essen“ nun blau und weiß, die Farben der Weißen Flotte Baldeney. Das neue Interieur hingegen wurde ganz bewusst klassisch gehalten, betont Boris Orlowski.
Auf der Brücke steht der Kapitän nach wie vor am Steuerrad. Gleichwohl müssen sich die Schiffsführer erst an die neue Technik an Bord gewöhnen. „Wir sind sonst auch nach dem Motorengeräusch gefahren. Das fällt nun weg“, erläutert Olaf Blaszyk, der am Vatertag das Kommando hatte. Dennoch: Auch er sei begeistert.
Eine Landstromanlage mit Mittelspannungsanschluss liefert die nötige Energie
Elektronische Anzeigen informieren den Schiffsführer nun über die Geschwindigkeit. Auf einem Display kann er auch den Ladestand der Batterien ablesen. Deren Kapazität reicht für 16 Stunden Fahrt, acht Stunden dauert es bis der „Tank“ wieder voll ist. Im Hafen am Hardenbergufer kommt die „Stadt Essen“ über Nacht an die Steckdose. Der Energieversorger Westenergie hat dafür eigens eine Landstromanlage mit Mittelspannungsanschluss errichtet. Vier Schiffe könnten dort zeitgleich Strom tanken.
Nach der „Westenergie“, die im Grünen-Hauptstadtjahr unter dem Namen „Innogy“ in Dienst gestellt wurde, ist die „Stadt Essen“ das somit zweite Schiff der Weißen Flotte, das elektrisch fährt. Die „Baldeney“ soll bald folgen, nach Ende der Saison im Herbst kommt auch sie in die Werft.
Den Zuschlag für den Umbau der „Baldeney“ hat Boris Orlowski schon in der Tasche
Möglich macht es ein Programm des Bundes zur Förderung der Elektromobilität. Gefragt waren innovative Konzepte. Die Weiße Flotte erhielt den Zuschlag für den Umbau von zwei ihrer Schiffe. Der Bund übernimmt bis zu 90 Prozent der Kosten. Von 25 Millionen Euro waren im Fördertopf, davon fließen 1,3 Millionen nach Essen.
Verbrennungsmotoren haben auch in der Schifffahrt ausgedient. Es geht auch anders, Passagiere können es bei der Weißen Flotte nun erleben. „Das werden wir jetzt intensiv bewerben“, kündigt Orlowski an, der davon überzeugt ist, dass sich die Investition bezahlt macht.
Für den Geschäftsführer der Weißen Flotte ist der Umstieg auf Elektroenergie auch ein persönlicher Erfolg. Als er vor zwei Jahren zu seinem Amtsantritt ankündigte, er wolle mit seinen Fahrgastschiffen schnellstmöglich klimaneutral über den Baldeneysee schippern, wurde der 53-Jährige für seine kühnen Worte von so manchem mitleidig belächelt. Auch Mitarbeiter reagierten skeptisch. „Mit deiner Straßenbahn kannst du alleine auf dem See fahren“, war ein Spruch, den Orlowski von seinen Schiffsführern des Öfteren zu hören bekam.
Nun fährt die „Stadt Essen“ wie auf Schienen über den Baldeneysee, lautlos und umweltfreundlich. Boris Orlowski genoss es bei der Jungfernfahrt mit stiller Freude. Seine Fahrgäste werden sich mit ihm freuen.