Essen. Lutz Niemann (69) bekämpft mit Messer und Schüppe den wuchernden Riesenbärenklau entlang der Ruhr. Was er von der Stadt Essen vermisst.
Es ist seine Aufgabe und seine Leidenschaft, sagt Lutz Niemann. Eine Sisyphusarbeit ist es auch. Wenn der 69-Jährige mit seinem Fahrrad an der Ruhr unterwegs ist, dann hat er seinen schwarzen Rucksack dabei. Darin: eine kleine Unkrautschaufel und eine selbstgebaute Machete. Mit der scharfen Klinke rückt der studierte Biologe dem Riesenbärenklau zu Leibe, mit der Schaufel gräbt er die Wurzeln der Pflanze aus, die sich im Ruhrtal ausgebreitet hat wie Unkraut.
Ursprünglich stammt der Riesenbärenklau aus dem Kaukasus, weiß Lutz Niemann zu berichten. Ende des 19. Jahrhunderts sei der Doldenblüter als Zierpflanze nach Mitteleuropa importiert worden. Heute gilt der Riesenbärenklau als Plage. Die Pflanze ist giftig, wer sie berührt, läuft Gefahr sich auf der Haut Blasen und Quaddeln zuzuziehen. „Mediziner vergleichen das mit einer Verbrennung dritten Grades“, weiß Lutz Niemann aus eigener schmerzhafter Erfahrung, als ein Latexhandschuh, den er bei der Arbeit trug, zerriss und sein Handrücken mit der Pflanze in Berührung kam.
Seitdem trägt Lutz Niemann dickere Handschuhe, wenn er sich an den Bärenklau wagt. Dazu stets einen Pullover mit langen Ärmeln, lange Hosen und, wenn die Pflanzen größer sind, auch eine Schutzbrille.
Vor nunmehr drei Jahren hat Lutz Niemann damit begonnen, den Riesenbärenklau zu bekämpfen. Inzwischen hat er sein Einsatzgebiet von Überruhr bis nach Hattingen ausgedehnt. Entlang der Ruhr findet die Pflanze ideale Bedingungen vor, bevorzugt sie doch einen feuchten Untergrund. Die schwimmfähigen Samen verbreiteten sich bei Hochwasser, erläutert Niemann, der sich selbst Freilandökologe nennt.
Für Spaziergänger und Radfahrer stellt der Riesenbärenklau eine Gefahr dar
Regelmäßig erreicht der Riesenbärenklau entlang des Flusses eine Höhe von stattlichen 2,50 bis drei Metern. „An der Roten Mühle habe ich auch schon Exemplare gesehen, die waren vier Mieter hoch“, berichtet Niemann.
Auf Fotos hat er dokumentiert, wie sich die Pflanze entlang des beliebten Leinpfades ausgebreitet hat. Blätter ragen bis auf den asphaltierten Weg und stellen eine Gefahr für Spaziergänger und Radfahrer dar, die wohl in der Regel gar nicht wissen, was da am Wegesrand lauert. Lutz Niemann wollte nicht länger tatenlos zusehen.
Grün und Gruga mäht regelmäßig zu beiden Seiten des Leinpfades einen Streifen frei – 1,50 bis 2,50 Meter breit. „Wir bemühen uns, drei bis vier Mal im Jahr zu mähen“, sagt Forstwirt Alexander Karger, als er mit seinem Traktor unweit des Holteyer Hafens im Einsatz ist.
Auf einem 70 Meter langen Grünstreifen hat Lutz Niemann 8000 Pflanzen ausgegraben
Nach einer Mahd dauert es etwa zwei Wochen, bis der Riesenbärenklau wieder sprießt. Niemann packt die noch jungen Pflanzen dann und sticht sie mit der Unkrautschaufel wenige Zentimeter unterhalb der Grasnarbe aus. Anschließend zertritt er die Wurzeln auf dem Asphalt. Es ist eine nicht enden wollende Arbeit wie für Sisyphus in der griechischen Mythologie, der als Strafe der Götter einen Felsen einen steilen Berg hinauf rollen musste, um kurz vor dem Ziel immer wieder aufs Neue zu scheitern.
Das sagt die Stadt Essen
Die Stadt Essen, erklärte auf Anfrage, dass sie das ehrenamtliche Engagement von Lutz Niemann begrüßt. Der Biologe bekämpfe den Riesenbärenklau mit den richtigen Maßnahmen. Die Bearbeitung seines Antrag auf Befreiung werde jedoch noch dauern. Konkret gehe es um eine Fläche am Holteyer Hafen in Überruhr, auf der Vögel brüten und Hasen und Rehe ihre Jungen zur Welt bringen – insbesondere in der Zeit vom 1. April bis 15. Juli. Dies sei möglich, weil die Fläche brach liege.Nach dem Landesnaturschutzgesetz dürfe die freie Landschaft außerhalb der Wege nur zum Zwecke der Erholung betreten werden. Die grundsätzlich wünschenswerte Beseitigung des Riesen-Bärenklaus diene jedoch nicht der Erholung. Lutz Niemann benötige deshalb die Zustimmung des Grundstückeigentümers, welche nicht vorliege. Außerdem seien die Naturschutzverbände zu beteiligen.
Der Unterschied: Lutz Niemann macht es freiwillig, und das mit Erfolg. Auf einem etwa 70 Meter langen Streifen hat er nach eigener Hochrechnung in einem Jahr etwa 8000 Pflanzen ausgegraben. Bis zu acht Jahre lang sei der Riesenbärenklau keimfähig, sagt er. Da kommt also noch was auf den ehrenamtlichen Helfer zu.
Entlang des Leinpfades kann Lutz Niemann seiner Leidenschaft ungehindert nachgehen. Doch der Riesenbärenklau wächst auch abseits des Weges in geschützten Bereichen. Seit August vergangenen Jahres bemüht sich der Freilandökologe bei der Unteren Naturschutzbehörde um eine formelle Befreiung, damit er diese Bereiche betreten darf, um die wuchernde Pflanze auch dort bei der Wurzel zu packen. Bislang ohne Erfolg. Lutz Niemann ist darüber enttäuscht: „Die sollten doch froh sein, dass jemand mit Sachverstand ihnen die Arbeit abnimmt, und das auch noch ehrenamtlich.“