Essen. Kurz bevor der Rat die Pläne für „ruhrfibre“ durchwinkt, ein Glasfasernetz mit Stadt-Anteil, versprechen Wettbewerber Großes. Nur Show oder mehr?

Der Doppelbock von Zollverein erstrahlt in hellem Purpur, und daneben prangt eine stattliche Zahl in fetten weißen Ziffern: „+250.000“. Wer an diesem Montag nicht gerade auf der Denk-Leitung steht, der weiß, was das bedeutet: Just zwei Tage, bevor der Stadtrat dem Glasfaser-Projekt „ruhrfibre“ seinen Segen geben soll, verspricht die Deutsche Telekom hier das Magenta vom Essener Himmel – Glasfaseranschlüsse für stadtweit nicht weniger als 250.000 Haushalte, und das bis 2026. Kein Zweifel, der Wettbewerb um die digitale Zukunft der Stadt hat begonnen.

Denn ein ähnliches Mammutprojekt hatte die Stadt erst vor zehn Tagen vorgestellt: Glasfaseranschlüsse in 17 Stadtquartieren mit insgesamt 153.000 Haushalten, und das bis 2025. Prompt stellt sich die Frage, ob die örtliche Politik bei den Plänen für die gemeinsame Netzgesellschaft mit der mittelständischen Rautenberg & Company GmbH auf der Zielgeraden womöglich doch noch kalte Füße bekommt. Oder ob es sich beim Ausbau-Versprechen des Telekom-Platzhirschen nur um eine trotzige PR-Offensive handelt.

Ein Schweizer Investor und andere Partner

Auf rund 180 Millionen Euro belaufen sich die Investitionen ins „ruhrfibre“-Projekt: Bis zum Jahr 2025 könnten damit an die 153.000 Essener Haushalte ans Glasfasernetz angeschlossen werden.

Das Geld soll etwa zur Hälfte von Banken, zur anderen Hälfte von einem erfahrenen Infrastruktur-Investor aus der Schweiz kommen. Zudem will man ein Bau-Unternehmen und einen Internet Service Provider als feste Partner ins Boot holen.

Die Stadt ist mit einem überschaubaren Investment von maximal einer Million Euro und einem Anteil von 25,1 Prozent der geplanten Netzgesellschaft namens „ruhrfibre Essen Netz GmbH & Co. KG“ beteiligt.

Das Vorhaben als Ganzes steht unter dem Vorbehalt, dass die Kommunalaufsicht in Düsseldorf keine Bedenken äußert. Zudem will man sich die „marktübliche Rendite“ durch einen von einem anerkannten Wirtschaftsprüfer durchgeführten Private Investor Test bestätigen lassen.

Rautenberg spottet: Für die Deutsche Telekom reicht das Glasfaser nur bis zur Presse

Denn Tatsache ist: Auch mit dem Telekom-Giganten hatte die Stadt Gespräche geführt, sich am Ende aber gezielt für den kleineren Partner entschieden. Begründung: Der bringe Wettbewerb in die Stadt, sichere Mitspracherechte beim Ausbau auch von unterversorgten Quartieren zu und beschere womöglich noch eine bescheidene Rendite.

Deutlich spitzer in Richtung Deutscher Telekom formuliert es der städtische Partner Arndt F. Rautenberg, selbst ehedem Strategie-Chef des Unternehmens: Den Städten weitreichende Zusagen zu machen, kaum dass Konkurrenz auf den Plan trete, das sei „ein bekanntes Muster der Telekom“, auf den Punkt gebracht in einer Verballhornung des Anschluss-Kürzels FTTH (Fibre to the home = Glasfaser bis in die Wohnung) zu FTTP (Fibre to the press = Glasfaser bis zur Presse). Will sagen: großspurige Ankündigungen, nix dahinter.

Telekom verspricht „eines der größten städtischen Ausbauprogramme bundesweit“

Die Telekom hält dem Zahlen entgegen: Rund 11.000 Haushalte habe man in Essen im vergangenen Jahr ans schnelle Internet angeschlossen, „allein bis Ende dieses Jahres sollen rund 40.000 Haushalte folgen“ und danach jeweils 50.000 Anschlüsse im Jahr: „Eines der größten städtischen Ausbauprogramme der Telekom bundesweit“, schwärmt Frank Schmidt, Konzernbevollmächtigter für die Region West bei der Deutschen Telekom.

Essens Wahrzeichen, in Magenta getaucht: Von den weitreichenden Zusagen der Deutschen Telekom lässt sich die Stadt nicht irritieren, im Gegenteil: Sie hofft auf einen lebhaften Wettbewerb, um das Glasfasernetz in der Stadt schnell auszubauen.
Essens Wahrzeichen, in Magenta getaucht: Von den weitreichenden Zusagen der Deutschen Telekom lässt sich die Stadt nicht irritieren, im Gegenteil: Sie hofft auf einen lebhaften Wettbewerb, um das Glasfasernetz in der Stadt schnell auszubauen. © wk

Plötzlich soll damit am Schnürchen klappen, was die Stadt bis dato immer schmerzlich vermisst hat: Tempo, Tempo, Tempo beim Ausbau. Und während Uwe Breder, Breitbandkoordinator der Stadt Essen, bei den Zusagen der Telekom „viel Prosa“ erkannte, versichert Srini Gopalan, bei der Telekom verantwortlich für das Deutschland-Geschäft, man habe sogar „angeboten, bei der Reihenfolge und Festlegung der Ausbaugebiete eng mit der Stadt zusammenzuarbeiten“.

„Wenn das hier funktioniert, dann gibt’s zehn Städte, die darauf reagieren.“

Kein Wunder, spottet Arndt F. Rautenberg: Dahinter stecke die Sorge der Deutschen Telekom, dass der Ausbau des Glasfasernetzes in Essen landesweit Schule machen könnte: „Wenn das hier funktioniert, dann gibt’s zehn Städte, die darauf reagieren.“ Die Erfahrung der Telekom wollen sie mit Schnelligkeit wett machen, lieber heute als morgen: „Wir sind zuversichtlich, noch in diesem Jahr mit dem Ausbau beginnen zu können“, sagt Rautenbergs Sohn Christopher, der seinen Job bei der Beratungsfirma Boston Consulting drangegeben hat, um das Essener Projekt voranzutreiben.

Schnelleres Internet so oder so – der Stadt soll’s recht sein. Dass in naher Zukunft in mancher Essener Straße von links ein Telekom-Glasfaserkabel gezogen wird und von rechts eines von „ruhrfibre“ – 100-prozentig verhindern lässt sich das nicht, denn Absprachen untereinander würden einen Kartellverstoß bedeuten. Und mancher wird sagen: lieber zwei als keines.