Essen. Fernab von Glitzer präsentiert sich das Essener GOP Varieté mal ganz rustikal. Warum es Artisten jeglicher Couleur diesmal in die Wildnis zieht.

Anfangs haben sich alle ein wenig skeptisch gefragt: Der Wald als Ort für Artistik - wie soll das gehen? Im Hotel, Zirkus, Bad oder Buchladen hat man sie im GOP schon gesehen. Aber noch nicht in der freien Wildnis. Inspiriert vom renommierten, sehr wild aussehenden Fahrradkünstler Jacques Schneider, der mit waschechten Eseln und speziellen Drahteseln in der Einöde Südfrankreichs lebt, inszenierten Sabine Rieck und er den Abend „Wilderness - Treffen im Wald“, der zurück zu den Wurzeln der Natürlichkeit geht. Das Publikum ging begeistert mit.

Handgemachte Musik trifft auf hinreißende Comedy

https://www.variete.de/essen/programm/la-stradaZwischen finnischer Sauna, Baumstücken und Wurfzelt zelebrieren sie ihr Treffen im Wald. Acht Artisten. Allen voran zwei unnachahmliche Multiinstrumentalisten, die die Show mit handgemachten und bekannten Rhythmen begleiten: Songwriter Perry Rose und die sehr starke Musikcomedienne Rachel Ponsonby. Sie beherrscht nicht nur diverse Blechblasinstrumente, sondern löst Lacher aus mit ungewöhnlichen Percussiongeräten, Gesang und schrägem Operndirigat von „Carmen“ mit Publikumsbeteiligung. Hinreißender können die gefiederten Genossen in den Baumwipfeln kaum trällern.

Der vom Cirque de Demain ausgezeichnete amerikanische Clown Kevin Brooking, der wie die beiden in Belgien lebt, ist jedenfalls schwer hinter ihr her und verbreitet als Tourist in kurzen Hosen und Hut Chaos. Für kleine komische Einlagen mit Kettensäge, Beil und Hammer sind auch Jacques Schneider als brüllender Einsiedler und Matias Salmenaho als stiller Baumstückstapler zu haben. Aber wie bei der Körperpercussion vom Duo Stepout ist ursprünglich die Artistik ihr Format.

Duo lässt auf dem Schleuderbrett den Atem still stehen

Das dynamische Duo: Die deutsch-schwedische Formation Stepout schwingt sich im Cyr über die Bühne von „Wilderness“.
Das dynamische Duo: Die deutsch-schwedische Formation Stepout schwingt sich im Cyr über die Bühne von „Wilderness“. © Foto: GOP

Der Schwede Petter und der Deutsche Patrick, beide im GOP gut bekannt, sind im Cyr und auf dem Schleuderbrett eine Sensation. Ihre Sprünge, Saltos, Twists lassen immer noch den Atem still stehen. Salmenaho ist Jongleur sowie Partnerakrobat und schwingt neben Keulen seine Oberfrau Erika Ahola auf den Schultern durch die Lüfte. Die Chilenin Silvana Sanchirico vermag sich vermutlich auch an Lianen hochzuranken, greift aber lieber auf Vertikaltuch oder Vertikalseil zurück. Gezielte Verwicklungen und grazile Entwicklungen beherrscht sie hingebungsvoll.

Radkünstler und Seilartistin in vollendeter Harmonie

Den Höhepunkt bestreitet sie jedoch in trauter Zweisamkeit mit Fahrradartist Jacques Schneider, der schon auf dem Trampolin mit einem Salto für Aufsehen gesorgt hat. In vollendeter Harmonie wird sie seine Beifahrerin, hebt ihn verschlungen im Seil vom Boden ab und lässt ihn schweben. So innig verbunden hat man den kraftvollen Mann mit Rauschebart noch nie gesehen. Da haben sich zwei gefunden, die noch nie miteinander gearbeitet haben. Die Zuschauerinnen und Zuschauer sind gerührt von der poetischen Nummer.

Die Show „Wilderness - Treffen im Wald“ präsentiert zwei Stunden erstklassige Unterhaltung und Ablenkung mit allem, was das Varieté zu bieten hat. Vergessen macht sie die Sorgen und Nöte um den Krieg in der Ukraine nicht. Denn über der Bühne werden Schutz suchende Familienangehörige von Artisten einer anderen Show ohne viel Aufheben einquartiert.