Essen. „Extrem laut und unglaublich nah“ hat viele Leser bewegt. Wie Regisseur Thomas Ladwig die Romanadaption in der Casa des Schauspiel Essen zeigt.

„Extrem laut und unglaublich nah“ und damit Oskars Odyssee durch New York könnte auf einem riesigen Geröllberg beginnen. So wie zuvor die gefeierte Romanadaption von Jonathan Safran Foers „Alles ist erleuchtet“ mit einer Reise durch die Ukraine dort begann. Sie bescherte Thomas Ladwig 2015 eine Nominierung als bester Nachwuchsregisseur. Die Messlatte liegt hoch für die Bearbeitung von Foers Bestseller. Doch obwohl die Romane starke Parallelen aufweisen, wird alles ganz anders. Ab heute zu erleben in der Casa.

Der Bühnenbildner Ulrich Leitner hat keine Trümmer des 11. September 2001 aufgehäuft, sondern eine symbolträchtige Wohn-Zimmer-Landschaft geschaffen, durch die der neunjährige Oskar Schell reist. Er ist Autist, Erfinder, Sammler, Pazifist, Tamburinspieler. Nicht zuletzt ist er ein traumatisierter Junge, der seinen Vater bei den Terroranschlägen auf die Twin Towers des World Trade Centers verloren hat und sich auf die Suche begibt nach seiner rätselhaften Hinterlassenschaft. 2005 macht Jonathan Safran Foer den klugen Jungen zum Helden seines Romans und verbindet erneut Familiengeschichte mit Zeitgeschichte, Komisches und Skurriles mit Trauer und Leid.

Regisseur reizt Familiengeschichte mehr als der Anschlag

Thomas Ladwigs erste Begegnung mit dem Stoff war eine beeindruckende Lese-Erfahrung. Für ihn war klar, dass es sich lohnt, diese Geschichte zu erzählen. „Ich hab’ mir geschworen, nur Stücke zu machen, hinter denen ich stehe“, betonte er früher einmal. Das sei ihm bisher gelungen. Der gebürtige Essener hat nach dem Studium der Theaterwissenschaften und Germanistik in Leipzig am Schauspiel Essen assistiert und sich mit Inszenierungen wie „Kaspar Häuser Meer“, „Willkommen“ oder „Biografie: Ein Spiel“ als Regisseur in Essen etablieren können. Mittlerweile leitet er auch den Fachbereich Schauspiel an der Folkwang Musikschule.

„Ein toller Autor“, schwärmt er von Foer und seinem Werk. „Seine Geschichten sind vielschichtig, über Generationen hinweg erzählt und kunstvoll miteinander verwoben. Sie sind unglaublich berührend und poetisch. Es ist spannend, wie er mit Sprache umgeht und dass er für innere Vorgänge sprachliche Bilder findet.“ Eine Geschichte über den Anschlag würde ihn nicht interessieren. „Mich interessiert die Familiengeschichte“, betont der 40-Jährige. Da gebe es Themen, die uns alle umtreiben: Schuld, wie verarbeitet man eine große Tragödie, wie öffnet man sich. Ein Beispiel sind auch die Großeltern, die ihren Sohn am 11. September und einst bei der Bombardierung Dresdens einander verloren haben.

Oskar und die Großeltern erzählen ihre Sicht der Ereignisse

Anders als Stephen Daldrys Verfilmung von 2011, die sich auf den Jungen konzentriert, stehen bei Ladwig Großmutter und Großvater ebenfalls im Fokus und berichten von ihrer Sicht der Ereignisse. „Von drei Strängen geht es in die verschiedenen Erzählebenen. Über die Abwesenheit des Vaters und des Kindes sind sie miteinander verknüpft“, erklärt er seine Bühnenversion des Romans. 472 Seiten zu einem Stück zu komprimieren, war nicht einfach. Trotzdem hat er es sich nicht nehmen lassen, Situationen der Großeltern aus zwei Perspektiven erzählen zu lassen. „Das hat mich fasziniert. Das wollte ich erhalten“, sagt Ladwig.

Doch musste er sich für diese Fassung von mancher Figur trennen. „Wir mussten an Personal reduzieren und können nur ausgesuchte Stationen zeigen“, so der Regisseur. Und seit der ersten Probe 2021 musste er wegen Corona-Maßnahmen die Premiere verschieben und auf erkrankte Schauspieler verzichten. Geblieben ist die Begeisterung für einen schönen Stoff, „der so reich ist an Gefühlen. Wir hoffen, dass wir diese Vorlage mit all ihrem Glück und Schmerz und Leid erlebbar machen können.“