Essen/Mülheim. Von versprochener Verstärkung ist auf Polizeiwachen in Essen und Mülheim nichts zu merken. Im Gegenteil: Präsidium erlebt massiven Kräfteschwund.

Jahr für Jahr ist das Klagen groß, wenn die Polizei Essen/Mülheim bei der Verteilung der Vollzugskräfte im Land mal wieder das Nachsehen hat und einen personellen Aderlass nach dem nächsten verkraften muss. Doch wie massiv der Verlust tatsächlich ist, zeigt sich besonders eindrücklich bei einem Blick auf die vergangenen fünf Jahre.

Obwohl die schwarz-gelbe Landesregierung nach ihrem Amtsantritt im Juni 2017 zweifelsfrei ihr Versprechen eingelöst hat, mehr Kommissaranwärter und -anwärterinnen als auch mehr Tarifbeschäftigte einstellen zu wollen, hat sich die Lage auf den Wachen in Essen und Mülheim seitdem massiv verschlechtert.

Im Wach- und Wechseldienst, der entscheidend ist für die Arbeit und die Präsenz der Polizei auf der Straße, hat das Präsidium Essen/Mülheim die mit großem Abstand massivsten Verluste aller 47 Kreispolizeibehörden in NRW hinnehmen müssen.

Die nächsten Verlierer folgen in großem Abstand

Wie aus einer Statistik des Innenministeriums hervorgeht, steht die Polizei Essen/Mülheim mit einem rechnerischen Minus von 62,12 Beamten und Beamtinnen kurz vor dem Ende der aktuellen Legislaturperiode arg gebeutelt mit der tiefroten Laterne da.

Die nach Essen/Mülheim nächsten Verlierer im ständigen Personalpoker folgen bereits mit großem Abstand - wie Dortmund mit einem Verlust von 24,83 Stellen und Düsseldorf mit 18,81 Stellen weniger, während Köln als größte Polizeibehörde in NRW und größter Profiteur der sogenannten Belastungsbezogenen Kräfteverteilung (BKV) ein Plus von fast 100 Planstellen verbuchen konnte.

Für die Gewerkschaft der Polizei (GdP) ist klar, dass diese Entwicklung dem Sicherheitsgefühl in Essen und Mülheim kaum zuträglich ist. Denn für die Menschen sei entscheidend, „dass sie Polizisten auf der Straße sehen“. Gleichzeitig steige die Belastung für jede einzelne Beamtin, jeden einzelnen Beamten, und die örtliche Polizeiführung muss sich ständig Gedanken machen, welche Aufgabenfelder am ehesten als verzichtbar gelten könnten.

Bereits vor mehr als zwei Jahren hatte die GdP geklagt, dass die anfallenden Arbeiten nur unter „außerordentlichen Einsatz“ erledigt werden, der die Grenzen der zumutbaren Belastung nicht selten überschreite, wobei der Überstundenberg als auch der Krankenstand unaufhörlich wachse.

Ein Zusammenspiel mehrerer Faktoren

Warum die Lage ausgerechnet in Essen „so dramatisch ist, kann ich nicht erklären“, sagte Heiko Müller, GdP-Vorsitzender für Essen und Mülheim auf Nachfrage dieser Zeitung. Es dürfte wohl ein Zusammenspiel mehrerer allgemeingültiger, aber auch hausgemachter Faktoren sein, die je nach Behörde unterschiedlich stark ausgeprägt sind.

Grundsätzlich sind aus Sicht der GdP „für das Ausbleiben der versprochenen Verstärkung“ vor allem zwei Gründe anzuführen: Zum einen gingen derzeit besonders viele ältere Kolleginnen und Kollegen in den Ruhestand. Weil gleichzeitig die Abbrecherquote des Polizeinachwuchses in Ausbildung aber von früher zwölf auf aktuell fast 20 Prozent stark gestiegen ist, komme trotz höherer Einstellungszahlen nur ein kleiner Teil als Nettoverstärkung auf den Wachen an.

Zudem habe die Polizei in NRW in den vergangenen Jahren intern in erheblichem Umfang Personal umschichten müssen. Allein in die Verstärkung der Mobilen Einsatzkommandos (MEK) und in den Aufbau von vier zusätzlichen Zügen bei der Bereitschaftspolizei, von denen Essen eine Einheit komplett aus eigenen Kräften aufbauen musste, sind in den vergangenen vier Jahren 200 Planstellen gegangen, berichtete Innenminister Herbert Reul Anfang Februar dem Innenausschuss. Weitere 239 Planstellen sollten die Kriminalpolizei stärken.

Bei der Essener Polizei ist die Behördenflucht wohl ausgeprägter

Das seien durchaus notwendige Maßnahmen, räumt die GdP ein, aber sie hätten den Personalmangel im Wachdienst eben weiter verschärft. Dazu komme, dass der örtliche Kampf gegen die Clankriminalität rund 50 Kräfte binde. Und nach Ansicht von Heiko Müller leide das Präsidium Essen/Mülheim mehr als andere unter einer „Behördenflucht“. Übergeordnete Abteilungen wie das Landeskriminalamt in Düsseldorf, aber auch das Landesamt für Zentrale Polizeiliche Dienste NRW in Duisburg seien so nah, dass der Wechselwillen möglicherweise ausgeprägter sei als andernorts.

Örtliche Gegebenheiten finden nach Überzeugung Müllers in der BKV „zu wenig Berücksichtigung“, jedoch gebe es bislang auch „keinen besseren Verteilungsschlüssel“.