Essen/Mülheim. Gewerkschaft contra Politik und Regierung: Essener Polizei bekomme weniger und nicht mehr Beamte. Aderlass gefährde Gesundheit der Belegschaft.

Der Innenminister spricht im Brustton der Überzeugung von „einer nachhaltigen Stärkung der Polizei Nordrhein-Westfalen“, die Gewerkschaft der Polizei (GdP) hingegen von einer „Mogelpackung“ und einem „Schönreden der tatsächlichen Personalsituation“: Das jüngst in den Planstellen-Statistiken des Landes suggerierte Mehr an Einsatzkräften für die Essener Behörde sei in Wahrheit ein weiteres dickes Minus und die Personalnot wie die Belastung für jeden einzelnen Beamten inzwischen so groß wie nie, erklärten jetzt Heiko Müller, Vorsitzender der GdP für Essen/Mülheim, und seine beiden Stellvertreter Frank Hergaden sowie Jörg Brackmann im Gespräch mit dieser Zeitung.

Schon jetzt könnten die anfallenden Aufgaben nur unter „außerordentlichen Einsatz“ erledigt werden, der die Grenzen der zumutbaren Belastung nicht selten überschreitet, wobei der Überstundenberg unaufhörlich wächst, so die GdP. Während die Fülle der Sonderaufgaben etwa im Kampf gegen Kindesmissbrauch oder gegen die Clan-Kriminalität zunehme, schrumpfe die Zahl Polizeivollzugsbeamten: Unterm Strich werden der Behörde zum Stichtag 1. September „mindestens 20 Kräfte fehlen“, heißt es. Bereits im vergangenen Jahr war ein Minus von mehr als 30 Beamten zu verkraften, als die Essener Polizei entgegen Versprechungen den vierten Zug der Einsatzhundertschaft auch noch mit eigenem Personal hatte ausstatten müssen.

Der Innenminister soll sich öffentlich erklären

Bei der zuletzt veröffentlichten Landesstatistik der sogenannten „Belastungsbezogenen Kräfteverteilung“ (BKV) handele es sich um reine Planstellenangaben und nicht um die tatsächliche Zahl der einer Behörde zur Verfügung stehenden Kräfte. Die Wahrheit sei vielmehr: In der BKV-Zuweisung aus 2018 fehlen im Vergleich zum Jahr 2000 mittlerweile 90 Stellen allein bei der Essener Polizei. Rechne man den durch zusätzliche Aufgaben entstehenden Personalbedarf der letzten Jahre hinzu, „fehlt dem PP Essen inzwischen ein gut dreistelliger Personalbestand“, so Heiko Müller, der zusammen mit Frank Hergaden und Jörg Brackmann Innenminister Herbert Reul auffordert, sich öffentlich zu erklären: „Der Minister muss jetzt sagen, welche Aufgaben wir nicht mehr wahrnehmen sollen.“

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Der Unmut ist groß: Angesichts des weiteren personellen Aderlasses schlägt die GdP hörbar Alarm und sucht bewusst die Öffentlichkeit. Man will sich schützend vor die Beamtinnen und Beamten stellen, aber auch den Bürgern unmissverständlich klar machen, wie die Regierungskoalition in Düsseldorf tatsächlich mit der Essener Polizei und damit der Sicherheit in den Städten Essen und Mülheim umgehe.

Langzeiterkrankte verschlimmern die angespannte Personalsituation

Ein „Weiter so“ kann es für die GdP jedenfalls nicht mehr geben, auch weil in der Behörde die stressbedingten Erkrankungen und Burn out-Diagnosen insbesondere bei der Kriminalpolizei zunehmen, wo immer mehr Vorgänge und Verfahren auf immer weniger Schultern verteilt werden. Wenn Beamte von ihren Dienststellen zu Ermittlungskommissionen abkommandiert werden, bleibt die Arbeit im Kommissariat nicht nur liegen, neue Fälle kommen noch hinzu. Die Arbeitsbelastung sei immens.

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„Dreht man dauernd im roten Bereich, dann dreht man durch“, warnt Hergaden. Langzeiterkrankte verschlimmerten die angespannte Personalsituation zusätzlich, Erholungsphasen durch Freizeitausgleich zum Überstundenabbau seien kaum noch möglich. Eine Kollegin habe nach einem Wochenende Dienst in Altenessen zwei Tage durchschlafen müssen, „so fertig war sie“, weiß Jörg Brackmann. Junge Kollegen etwa bei der Einsatzhundertschaft, beklagt Frank Hergaden, die zu immer mehr auswärtigen Einsätzen wie zuletzt zu dem von der Politik zu verantwortenden im Hambacher Frost abkommandiert werden, würden „regelrecht verheizt“.

Mehrbelastung und Personalabbau werden geleugnet, so die GdP

In aller Deutlichkeit fordert die GdP die Landesregierung und auch die Politik deshalb auf, ehrlich zu sein und nicht - wie unlängst passiert - Mehrbelastung und Personalabbau bei der Essener Polizei gleichermaßen zu leugnen. Schlimmer noch: Davon zu sprechen, dass es angeblich sogar einen Zuwachs von 8,7 Stellen gegeben habe, weil das Minus bei den Beamten durch eine Zuweisung von rund 21 Regierungsbeschäftigten mehr als ausgeglichen worden sei. Diese Darstellung sei nicht nur falsch, sondern auch „zutiefst unsozial“, so die GdP. Angestellte seien zwar wichtig und willkommen, aber kein Eins-zu-eins-Ersatz für Polizisten: „Die kann ich doch nicht in den Streifenwagen setzen“, sagt Müller. Sie könnten deshalb allenfalls entlastend wirken, aber nicht für mehr Sicherheit auf den Straßen.