Essen. Für den Essener Exporteur Thomas Schiemann ist der Krieg in der Ukraine erschütternd nah: Die Familie seiner Frau bangt in Charkow um ihr Leben.

Für den Geschäftsmann Thomas Schiemann ist mit dem Beginn des Ukraine-Krieges eine Welt zusammengebrochen. „Das ganze Land brennt“, berichtet der Essener, der vielfältige, enge berufliche und familiäre Bindungen in die Ukraine hat. Nun bangt er um seine Verwandten, um Freunde und Geschäftspartner. Die schicken ihm nun Bilder von Panzern, beschossenen Häusern, von leer gefegten Straßen – und erschossenen Menschen. „Es ist apokalyptisch.“

Seine Schwiegereltern sitzen im Luftschutzbunker in Charkow

Vor einer Woche noch war Schiemann zuversichtlich, dass es nicht zum Kriegsausbruch kommt. Er plante für Samstag (19.2.) sogar eine Geschäftsreise nach Kiew, wollte vier Tage bleiben. Der langjährige Manager von Molkerei-Firmen ist mit seiner Firma J.M. Wirtschaftsberatungs- und Handels GmbH der größte Käse-Exporteur der Europäischen Union. Oder soll man sagen: war? Schiemann ist das fast gleichgültig: „Dass unsere Firma jetzt am Ende ist, das ist halt so – das ist nur Geld. Aber jetzt geht es um Menschen.“

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Sein Flug am vergangenen Samstag wurde abgesagt, er selbst ist in Sicherheit. Aber die Eltern und die Schwester seiner Frau leben in Charkow – im Herzen des blutigen Konflikts. „Bomben fallen auf die ganze Stadt. Meine Schwiegereltern sitzen im Luftschutzbunker wie im Zweiten Weltkrieg“, sagt Schiemann unter Tränen. Seine Frau sei am Boden zerstört. Wenn er nur könnte, würde er deren Eltern, die Schwägerin und den Schwager sofort nach Deutschland holen. Doch eine Flucht sei derzeit zu gefährlich: Eine seiner Mitarbeiterinnen vor Ort hat ihm berichtet, dass die Trecks der nach Westen fliehenden Menschen beschossen werden. „Die schießen auf Autos, in denen Familien sitzen.“

In diesem Luftschutzkeller in Charkow bangen die Schwiegereltern, Schwager und Schwägerin von Thomas Schiemann um ihr Leben.
In diesem Luftschutzkeller in Charkow bangen die Schwiegereltern, Schwager und Schwägerin von Thomas Schiemann um ihr Leben. © Unbekannt | TSch

Zur Zielscheibe werde jeder, bei dem eine ukrainische Fahne oder nur ein Fetzen in den Nationalfarben Blau und Gelb gesehen werden. „Die Schwester meiner Frau hat erzählt, dass in ihrer Straße in Wohnungen geschossen wurde. Und die Familie in der Wohnung ist dann…“, ihm bricht die Stimme. Schiemann kann das Zögern des Westens nicht verstehen, empfindet die 5000 Helme, die Deutschland dem Land spendete, als bitteren Hohn. Man habe die Ukraine einem skrupellosen, russischen Diktator überlassen und dem gehe es offenbar darum, „das Land auszuradieren“. Dabei habe selbst einer seiner besten Freunde, ein Russe, habe vor kurzem noch beschwichtigt, so weit werde es nicht kommen.

Noch am vor einer Woche (17.2.) posierten Thomas Schiemann und seine Frau Liudmyla mit der Nationalflagge der Ukraine und einem der Käse, die sie exportieren, in ihrem Zuhause in Essen. Nun bangen sie um die Familie in Charkow.
Noch am vor einer Woche (17.2.) posierten Thomas Schiemann und seine Frau Liudmyla mit der Nationalflagge der Ukraine und einem der Käse, die sie exportieren, in ihrem Zuhause in Essen. Nun bangen sie um die Familie in Charkow. © FUNKE Foto Services | Michael Gohl

Auch Schiemann hat das ja lange gedacht, nun bangt er um die Verwandten, um Mitarbeiter und Geschäftspartner, die ihm ans Herz gewachsen sind. Die jetzt verzweifelte Nachrichten schicken. „Es ist der Horror!“ Er frage sich, wie er seine zehnjährige Tochter, deren Großeltern in der Ukraine in Lebensgefahr sind, beruhigen solle. Wie er ihr versprechen könne, dass sie hier in Essen wirklich sicher sei. „Unsere gesamte Nachkriegsordnung gerät ja gerade ins Wanken!“

Freunde bieten ihm Wohnungen für Ukraine-Flüchtlinge an

Auch Schiemann selbst ist in den vergangenen 24 Stunden ins Wanken geraten. Den Menschen, die er in der Ukraine kennt, will er ein Anker sein: „Ich sage jedem: ‘Wenn Ihr es schafft rauszukommen, helfe ich, bringe Euch unter.“ Er selbst erlebe es als großen Trost, dass sich jetzt Freunde und Geschäftspartner bei ihm melden, ihm anbieten: „Wir haben eine Wohnung: Wenn Sie jemanden unterbringen müssen, bei uns ist Platz.“