Essen. Um die Impfkampagne zu verbessern, dürfen in Essen nun auch Apotheker, Zahnärzte und Tierärzte impfen. Doch letztere winken ab – ihre Gründe.
Die Pandemie macht’s möglich: Demnächst dürfen in Essen auch Zahnärzte, Apotheker und Tierärzte gegen Corona impfen. Um die Impfkampagne angesichts der Omikron-Welle voranzubringen, haben sich der Bund und die Länder zu diesem Schritt entschlossen. Doch die Wirklichkeit sieht offenbar anders aus. Dass die Veterinäre in dieser Stadt tatsächlich die Impfspritze aufziehen werden, ist höchst unwahrscheinlich. „Ich kenne keine Tierärztin und keinen Tierarzt in Essen, die Zeit dafür haben“, sagt Dr. Thomas Sabel, Sprecher der Kreisstelle Essen der Tierärztekammer Nordrhein.
Essener Sprecher wirft der Politik „Inkompetenz“ gegenüber Tierärzten vor
Es seien nicht mangelnder Wille, Desinteresse oder gar fehlende Solidarität, sondern die enorme Belastung in der Praxis, die Tierärzte daran hindere, in die Impfkampagne gegen Corona einzusteigen. „Wir sind stark ausgelastet und arbeiten deshalb vielfach am Limit“, betont Sabel. „Ich selbst wüsste nicht, wann ich impfen sollte.“ Zunächst sollen Tierärzte in Impfzentren oder in mobilen Impfteams eingesetzt werden, so die Bundestierärztekammer.
Dass Tierarztpraxen schon seit geraumer Zeit so stark frequentiert seien, führt der Essener Tierärztesprecher indirekt auch auf die Pandemie zurück. „Viele Menschen haben sich seit Corona ein Tier neu angeschafft, meistens einen Hund oder eine Katze.“ Die medizinische Versorgung des Vierbeiners laste die Tiermediziner folglich gut aus, so dass für den Piks beim „Zweibeiner“ nun schlichtweg die Kapazität fehle. „Weder räumlich noch organisatorisch können sich Tierärzte an der Impfaktion beteiligen“, betont Thomas Sabel. Hinzu komme die vorerst noch unsichere rechtliche Situation, insbesondere in Haftungsfragen.
Regeln für Tierärzte
Die Bundestierärztekammer hat am Mittwoch mitgeteilt, dass sich Tierärzte in einer ärztlichen Schulung auf die Coronaschutzimpfung vorbereiten werden – also fünf Stunden Theorie (per E-Learning) und ein zweistündiges Praktikum in einem Impfzentrum.Nach Abschluss der Schulung können Tierärztinnen und Tierärzte zunächst in einem Impfzentrum oder in mobilen Impfteams tätig werden.Eine Impfung gegen Covid-19 in der Tierarztpraxis ist vom Bundesministerium für Gesundheit auch vorgesehen, allerdings fehlten dazu noch die erforderlichen rechtlichen Voraussetzungen.
Auf die Regierenden insgesamt ist der Essener Tierärztesprecher überhaupt nicht gut zu sprechen. Sabel spricht Klartext: „Die Politik zeichnet sich gegenüber unserem Berufsstand durch ein hohes Maß an Inkompetenz aus.“ Wenn es um den Umgang mit Veterinärmedizinern gehe, wüssten die allermeisten Politiker bedauerlicherweise nicht, wovon sie redeten. Überhaupt, fügt er hinzu, hätten die Tiermediziner keine Lobby im Land.
Bei den Apothekern ist das Interesse sehr groß: „Jeder dritte will impfen“
Ein ganz anderes Bild zeichnen die Apotheker. „Das Interesse scheint sehr groß zu sein“, berichtet der Essener Apothekersprecher Hanno Höhn, der selbst die Nordstern-Apotheke in Karnap betreibt. Die Schulungsplätze der Apothekerkammer Nordrhein zur Vorbereitung auf die Corona-Schutzimpfung seien derzeit so gut wie ausgebucht. „Ich schätze, dass in Essen jeder dritte Apotheker in Zukunft impfen wird“, sagt Höhn.
120 Apotheken gibt es zwischen Karnap und Kettwig. 31 von ihnen beteiligten sich bereits an dem Modellprojekt Grippeschutzimpfung. „Diese Kolleginnen und Kollegen dürften dann auch bei der Corona-Schutzimpfung dabei sein“, mutmaßt Höhn.
Der Corona-Piks in der Apotheke setze einen separaten Raum voraus, das vorbereitende Vier-Augen-Gespräch mit dem Patienten und die Anbindung an das Robert Koch-Institut. „Wenn alles glatt geht und ausreichend Impfstoff zur Verfügung steht, können die Essener Apotheken schon Ende Januar/Anfang Februar mit dem Impfen beginnen“, sagt Hanno Höhn.
Laut Umfrage wollen 20 Prozent der Zahnärzte in der Kammer Nordrhein mitmachen
Dr. med. dent. Mattias Abert spricht für die dritte Berufsgruppe, die künftig die Lizenz zum Impfen besitzt: die etwa 700 Zahnärzte in der Stadt, darunter auch die pensionierten. Der Bezirksstellenvorsitzende Essen der Zahnärztekammer Nordrhein hat eine Praxis in Essen-Kettwig und will selbst auch impfen: „Wir stehen an der Seite der Bevölkerung, wenn unsere Hilfe gebraucht wird, sind wir mit im Boot.“
Eine aktuelle Umfrage für den gesamten Kammerbezirk besagt, dass 20 Prozent der Zahnärzte impfen wollen. Abert weist auf die „starke Patientenbindung“ hin: „Zahnärzte haben die meisten Patientenkontakte.“
Eine Spritze zu setzen sei die geringste Herausforderung. Vorrangig sei momentan die Klärung organisatorischer Dinge. Um etwa eine Flasche des Biontech-Vakzins mit jeweils sechs Impfdosen verimpfen zu können, müssten Sechser-Gruppen gebildet werden. Ferner müsse der impfende Zahnarzt an das Robert Koch-Institut angebunden sein. „Das wird gerade aufgebaut.“ Dr. Abert geht davon aus, dass er und seine Kollegen frühestens im zweiten Quartal „um Ostern herum“ mit dem Impfen beginnen können.