Essen-Rüttenscheid. Nach 70 Jahren hat der Kiosk „Stephans Bude“ an der Rüttenscheider Straße geschlossen. Im Stadtteil war er eine Institution. Wer nun übernimmt.

Mit dem Kiosk verschwindet auch ein Stück Stadtteilgeschichte. 70 Jahre lang war „Stephans Bude“, früher unter anderem Namen, an der Rüttenscheider Straße 155 Anlaufpunkt für die Menschen aus dem Quartier. Zeitungen, Süßes, Bier und Zigaretten gingen hier über den Tresen. Nun hat das beliebte Büdchen seine Pforten für immer geschlossen. Das Ladenlokal nahe der Haltestelle Martinstraße wird künftig keinen Kiosk mehr beherbergen.

Für Michael Gottschalk ist die Bude Teil der Familiengeschichte. Er ist Miteigentümer des Hauses und nebenan im Kunsthandwerksgeschäft „Rue Art“ tätig. Im Zweiten Weltkrieg wurde das Haus seiner Familie in der Innenstadt wurde zerbombt. An gleicher Stelle konnte es nicht mehr aufgebaut werden, weil der Straßenverlauf geändert werden sollte. Als Ersatzgrundstück bot die Stadt der Familie deshalb das Grundstück Rüttenscheider Straße 155 an. 1952 war der Neubau fertig. Michael Gottschalks Onkel Erich gründetet dort sein Ladenlokal mit typischen Budenartikeln und einer großen Auswahl an Tabakwaren.

Im Zweiten Weltkrieg ist das Haus an der Rüttenscheider Straße 155 völlig zerstört worden.
Im Zweiten Weltkrieg ist das Haus an der Rüttenscheider Straße 155 völlig zerstört worden. © Privat | Gottschalk

Rüttenscheid Angestellte der Girardet-Druckerei waren treue Kunden des Kiosks

Richard Gottschalk gab seinen Job bei Ford Fischer auf, um in der Rüttenscheider Bude mitzuarbeiten.
Richard Gottschalk gab seinen Job bei Ford Fischer auf, um in der Rüttenscheider Bude mitzuarbeiten. © Privat | Gottschalk

Richard Gottschalk, Michael Gottschalks Vater, gab damals seinen Job bei Ford Fischer auf, um im Betrieb seines Bruders mitzuarbeiten. In den 70er-Jahren hatte der Kiosk als „Gottschalks Mini-Shop“ in drei Schichten geöffnet – von morgens 5 Uhr bis 22 Uhr. Die Kundschaft strömte in Scharen an die Bude. Nicht zuletzt die Angestellten der damals noch florierenden Girardet-Druckerei machten dort Halt.

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„Wer zur Schicht aufbrach, holte sich Brötchen und Zigaretten, wer von der Schicht kam, kaufte sich sein Feierabendbier“, erzählt Michael Gottschalk. Die Schulkinder aus dem Quartier seien gekommen, um sich Süßigkeiten zu holen. Dank Erich Gottschalks Großhandel mit Zigarren mauserte sich der Kiosk überdies zu einem kleinen Zigarrenfachgeschäft.

Lange gab es nur Stern-Bier im Rüttenscheider Kiosk zu kaufen

Legendär war der Bierautomat, den Erich Gottschalk stets frisch mit zwei Lagen kühlem Blonden und einer Lage Cola bestückte. „Die Cola stand oben, damit die Kinder sie nicht erreichen konnten, aber das Bier befand sich gut erreichbar unten“, erinnert sich Michael Gottschalk lachend.

Apropos Bier: Der Bau des Hauses wurde in den 50er-Jahren mit öffentlichen Mitteln gefördert. Die Wohnungen waren dementsprechend lange Jahre mietpreisgebunden und nur mit Wohnberechtigungsschein mietbar. Unter anderem die Stern-Brauerei (heute Stauder) gab einen Kredit, was dafür sorgte, dass es im Kiosk – ebenso wie in der daneben gelegenen Kneipe – genau eine Sorte Pils zu kaufen gab: Stern. Bis in die 1980er-Jahre beschäftigte die Bude bis zu fünf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Es war die Hochzeit der Trinkhallenkultur im Ruhrgebiet.

Legendär: Der Bier-Automat, den Erich Gottschalk in seiner Bude in Essen-Rüttenscheid regelmäßig frisch bestückte.
Legendär: Der Bier-Automat, den Erich Gottschalk in seiner Bude in Essen-Rüttenscheid regelmäßig frisch bestückte. © Privat | Gottschalk

Im leeren Ladenlokal eröffnet jetzt ein Herrenfriseur

Diese Zeit ist mittlerweile vorbei. Fast anderthalb Jahrzehnte lang hatte Stephan Schwill den Kiosk zuletzt unter dem Namen „Stephans Bude“ betrieben. Doch Supermärkte wie Rewe, die die Kundschaft inzwischen mit Öffnungszeiten bis 24 Uhr locken, machten ihm immer stärkere Konkurrenz. Nun hat er sich entschlossen, den Laden aufzugeben.

Stephans Bude machte trotz 60 Wochenstunden Öffnungszeit stets um 18 Uhr den Laden zu. „Eine Nachfolgebude hätte aus Rücksicht auf die Hausbewohnerinnen und Hausbewohner nicht wesentlich länger aufhaben sollen, was einen weiteren Betrieb sehr erschwert hätte“, erklärt Michael Gottschalk. „Im Umfeld anderer Buden, die bis spät in die Nacht geöffnet haben, gab und gibt es ja immer wieder Beschwerden wegen Ruhestörung.“

Erich Gottschalks Frau Hilde arbeitete ebenfalls in der Rüttenscheider Bude mit.
Erich Gottschalks Frau Hilde arbeitete ebenfalls in der Rüttenscheider Bude mit. © Privat | Gottschalk

Die verkürzte Öffnungszeit war ausschlaggebend dafür, dass die Familie Schecho, die schon eine Bude am Rüttenscheider Stern betreibt, den Kiosk nicht übernehmen wollte. Doch für einen Familienangehörigen fand sich doch eine Alternative: Im ersten Quartal 2022 wird Abdul Schecho nach umfassender Modernisierung einen Herrenfriseur in den Räumlichkeiten von „Stephans Bude“ eröffnen.