Essen. Corona-Leugner und Bürger, denen die Maßnahmen gegen das Virus zu weit gehen, protestierten vor dem Essener Dom. Ein Stimmungsbild.

Sie nennen es Mahnwache: Etwa 50 Bürgerinnen und Bürger, die mit der aktuellen Corona-Politik nicht einverstanden sind, haben sich Samstagnachmittag zu einer Protestkundgebung vor dem Essener Dom auf der Kettwiger Straße versammelt. Ein Besuch vor Ort.

Er sei Essener, Handwerker von Beruf, und zwischen 40 und 50 Jahre alt. Seinen Namen will er nicht nennen. Warum er hier ist? Der Mann redet drauf los, spricht von Genozid, von Bill Gates, von Weltverschwörung und einem Volkstribunal. Verschwurbeltes, wirres Zeug. Und was ist mit Corona? „Gibt es nicht.“ Woher er diese Informationen hat? „Aus dem Internet.“ Er drückt mir eine Visitenkarte in die Hand, darauf eine Web-Adresse. Die führt direkt in die Reichsbürgerszene.

Eine Lehrerin klagt über wachsenden gesellschaftlichen Druck auf Jugendliche

Aber es gibt auch andere. Eine Frau, Mitte 30, stellt sich als Lehrerin vor. Auch sie möchte ihren Namen nicht nennen. Es habe sie Überwindung gekostet, an der Kundgebung teilzunehmen, sagt sie. Denn sie möchte nicht mit Corona-Leugnern in eine Schublade gesteckt werden. Nicht mit Leuten, wie dem Mann, der Verschwörungstheorien anhängt. Nein, sie leugne Corona nicht, sagt sie. Doch geimpft gegen das Virus sei sie nicht. Sie habe Bedenken gegen die verwendeten mRNA-Impfstoffe, die inzwischen millionenfach verimpft wurden.

In der öffentlichen Wahrnehmung gebe es leider nur noch schwarz oder weiß. Auch Jugendliche sähen sich einem wachsenden gesellschaftlichen Druck ausgesetzt, kritisiert sie. Wer zum Beispiel in einem Sportverein aktiv sei, komme aufgrund der 2G-Regel nicht umhin sich impfen zu lassen. Dabei seien schwerwiegende Krankheitsverläufe bei jungen Leuten doch sehr unwahrscheinlich. Aber schützen Jugendliche nicht ihre Großeltern oder andere, die zur Risikogruppe gehören, indem sie sich impfen lassen? Die Mittdreißigerin lässt dieses Argument nicht gelten: „Die Großeltern können sich doch impfen lassen.“

Ein 47-jähriger Handwerker vertraut lieber seinem Immunsystem statt einem Impfstoff

Auch die 54-jährige Buchhalterin aus Essen sprich von wachsendem Druck. Druck, der spalte, der Ehen, Familien und Freundschaften zerstöre. Sie selbst sei geimpft. Doch sie hat viele Fragen: „Warum ist nicht längst ein Totimpfstoff auf dem Markt? Spielen dabei wirtschaftliche Interessen eine Rolle?“ Eine Impfpflicht lehne sie ab. Jeder solle darüber frei entscheiden können.

Alex ist 47, ebenfalls Handwerker von Beruf. „Ich bin gesund und vertraue auf mein starkes Immunsystem“, sagt er. Impfen lassen wolle er sich nicht. Und was macht, sollte eine Impfpflicht eingeführt werden? „Dann wehre ich mich dagegen, so lange es geht.“

„Kosi“ Lichtenberg hat die Kundgebung organisiert, die Polizei führt ihn als Veranstaltungsleiter. Er sei Musiker und Bühnenhelfer, sagt Lichtenberg. Seit dem Sommer protestiere er gegen die Corona-Politik. Denn gerade die Kulturszene sei Leidtragende der Lockdowns gewesen. Deutschland habe den falschen Weg bei der Bekämpfung der Pandemie eingeschlagen, kritisiert Lichtenberg. Was hätten die politisch Verantwortlichen seiner Meinung nach stattdessen anders machen sollen? „Alles offenlassen. So wie in Schweden“, wo die Regierung stärker auf die Eigenverantwortung ihrer Bürger setzt.

Ein Musiker klagt über den Lockdown und nennt Schweden als positives Beispiel

Es sind unterschiedliche Motive, die die Anwesenden vor dem Dom zusammengeführt haben. Corona-Leugner und Verschwörungstheoretiker sind darunter wie auch Bürger, denen die beschlossenen Einschränkungen zu weit gehen, die Zweifel an den Aussagen der Offiziellen haben, die kein Vertrauen haben – auch nicht in die Wissenschaft. Eines haben sie offenbar gemeinsam: Das Virus empfinden sie nicht als so bedrohlich, als dass sich aktuelle Corona-Politik damit rechtfertigen ließe – inzwischen Hunderttausender Tote, hoher Inzidenzen und überlastete Intensivstationen zum Trotz.

Der Eindruck an diesem Nachmittag auf der Kettwiger Straße: Es mag eine Minderheit sein, die so denkt. Manche darunter wird die Politik nicht erreichen und schon gar nicht überzeugen können. Anderen muss sie noch viel besser erklären, warum sie was tut.