Essen. 20 Millionen Deutsche haben Bluthochdruck – und viele wissen davon nichts. Essener Chefärzte klären jetzt über die unbemerkte Volkskrankheit auf.

Es ist eine Volkskrankheit, von der viele Betroffene nichts merken – bis ihr Leben schlagartig in Gefahr gerät. Rund 20 Millionen Deutsche haben zu hohen Blutdruck, doch nur ein kleiner Teil von ihnen ist in Behandlung. „Ihnen drohen schwere Gefäßerkrankungen, Herzinfarkt oder Schlaganfall“, sagt Prof. Dr. Thomas Budde. Der Chefarzt der Klinik für Kardiologie am Al-fried-Krupp-Krankenhaus sieht die Warnsignale, wenn ihm etwa kurzatmige Jogger mit zu viel Kilos und rotem Kopf begegnen. Er verkneift sich dann den ärztlichen Rat – lieber weist er während der aktuellen Herzwochen jetzt öffentlich auf den Risikofaktor Bluthochdruck hin.

Budde bildet mit Co-Chefarzt Prof. Dr. Hagen Kälsch und den Kollegen von Elisabeth-Krankenhaus und Philippusstift ein Expertenteam, das sich am Dienstag, 16. November, bei einer Telefonaktion Zeit nimmt für die Fragen der Essenerinnen und Essener. „Herz unter Druck“ ist das Motto der Aktion, bei der die Ärzte erklären, wie Bluthochdruck dem Herzen zusetzt – und was man dagegen tun kann.

Lieber ins Schwimmbad als in die Muckibude, rät der Arzt

„Wir müssen da viel mehr vermitteln“, sagt Priv-Doz. Dr. Oliver Bruder, Chefarzt am Elisabeth-Krankenhaus. Im Vergleich zu den Nachbarstaaten habe Deutschland eine höhere Schlaganfallrate. „Wir zahlen hier lieber für die Reparatur als für die Vorbeugung.“ Dabei sei ja bekannt, dass Rauchen, Stress, Bewegungsmangel, Alkohol und Übergewicht hohen Blutdruck befördern. Treppensteigen statt Aufzugfahren, per Rad zur Arbeit, im Büro nicht nur Sitzen, zu Fuß gehen – das sei so banal wie wirkungsvoll. Wenn Holland den Radverkehr fördere, sei das auch Gesundheitsvorsorge.

Wer zu dick sei, komme mit Schwimmen besser klar, ergänzt Budde: „Die sportlichen Aktivitäten müssen zum Patienten passen.“ Und Sport darf natürlich auch treiben, wer noch gar kein Patient ist. Ausdauersport! „Der Besuch in der Muckibude bewirkt da nichts.“

Neben einem gesunden Lebensstil hapere es beim frühzeitigen Erkennen des Bluthochdrucks, sagt Oliver Bruder. Ginge es nach ihm, würde man in der Schule das Messen lernen und ab 18 Jahren anwenden. Die Deutsche Herzstiftung rät zumindest jedem über 40 zur regelmäßigen Kontrolle, da das Risiko mit dem Alter steigt; auch weil die Gefäße ihre Elastizität verlieren. Liegt nur einer der zwei Werte bei „hochnormal“ oder höher (Tabelle), sollte man zum Arzt gehen.

Selbst messen ist am zuverlässigsten

Gelebte Praxis ist das nicht: „Nur ein Bruchteil der Betroffenen ist bekannt, davon ist ein Bruchteil in Behandlung – und von diesen ist nur ein Bruchteil richtig eingestellt“, listet Hagen Kälsch auf. Unter Krankenhausbedingungen könne man die richtige Einstellung der Patienten kaum leisten, zumal der vom Arzt gemessene Wert oft verfälscht sei: „Weißkitteleffekt“ heißt die Nervosität, die den Wert hochtreibt.

Niedergelassene Ärzte wiederum hätten nur wenige Minuten für jeden Patienten, da fehle die für korrekte Messwerte entscheidende Ruhe. (Was auch dafür spricht, selbst zu Hause zu messen.) Dazu komme, dass auch fein abgestimmte Medikamente anfangs schlecht vertragen werden: „Die Patienten durchschreiten manchmal am Anfang ein ,Tal der Tränen‘“, sagt Budde. „Man muss ihnen nicht nur sagen, was eine Tablette kann, sondern auch, was sie nicht kann.“ Da sie die oft lebenslang nehmen sollen, sei ihre Mitwirkung notwendig: „Der Patient muss es nehmen wollen, sonst klappt das nicht“, so Kälsch.

Mitwirkung – „Patienten-Compliance“ – zähle bei vielen Fragen: Schafft man es, salzarm zu essen, das Rauchen zu lassen und abzunehmen? Oder schleppt man lieber 20 Kilo zu viel herum und klagt über Atemnot? Oder klappt nach dem vom Stress ausgelösten Herzinfarkt noch im Klinikbett der Laptop auf?

Der Blutdruck spiegele den Umgang, den wir mit unserem Körper pflegen, und der leide auch unter einem atemlosen Alltag.

Der junge Mensch stellt die Weichen

In die Höhe schnellt der Blutdruck erst im Alter, die Weichen stellt man in jungen Jahren: Ungesunde Angewohnheiten, die man sich da unbekümmert zulegt, wird man später schwer los. Es gebe auch den gesundheitsbewussten Patienten, „der alles richtig macht und trotzdem hohen Blutdruck hat“, sagt Chefarzt Prof. Dr. Heinrich Wienecke vom Elisabeth-Krankenhaus. Nur: Der ist die rare Ausnahme.