Essen-Altenessen. An einer Essener Grundschule fehlen mehr als die Hälfte der Lehrerinnen. Weshalb die Rektorin kaum Hoffnung auf Besserung hat.

Die Emscherschule in Altenessen setzt einen Hilferuf ab: „Wir können keinen qualifizierten Unterricht mehr geben“, erklärt die Direktorin Heike Tytko. Drei von fünf Klassenlehrerinnen stehen derzeit nicht zur Verfügung, das Sekretariat ist nur einmal in der Woche besetzt, die Schulsozialarbeiterin in Elternzeit. Auch für die Eltern ist diese Situation äußerst belastend.

Unterricht von wechselnden studentischen Hilfskräften an Essener Grundschule

Nachdem die Kinder im vergangenen Schuljahr wegen Corona viel Zeit zu Hause verbracht haben, hatten die Eltern jetzt auf Alltag gehofft. Doch weit gefehlt: „Die Klassenlehrerin ist seit den Sommerferien krank“, erklärt Elternpflegschaftsvorsitzende Judith Heckenbücker.Der Lehrer der Parallelklasse ist in Elternzeit. Also wurden die zweiten Klassen zusammengelegt und bilden jetzt eine Gruppe von 35 Schülern, die von der Direktorin und einer Kollegin vom Gymnasium und wechselnden studentischen Hilfskräften betreut wird. „Die machen das ganz toll“, findet Heckenbücker, deren Sohn Zweitklässler an der Emscherschule ist.

Dennoch seien sie nicht ausgebildet, haben ihr Referendariat noch nicht abgeschlossen und müssen mit Kindern umgehen, die „gar nicht geerdet sind“. Das Coronajahr habe die damaligen Erstklässler laut Heckenbücker ganz schön durchgewirbelt. Auch Tytko betont: „Die Kinder, gerade hier im Essener Norden, weisen verschiedene Defizite auf und verkraften den ständigen Wechsel von Lehrkräften nicht.“

Unschöne Erinnerungen ans Home Schooling während der Corona-Zeit

Gleichzeitig gelte es, viel Stoff aus der ersten Klasse aufzuholen. „Eigentlich ist das eine hausaufgabenfreie Schule“, erklärt Heckenbücker, die selbst berufstätig ist. Mittlerweile stapelt sich bei ihr zu Hause der Schulstoff, sie sitze mit ihrem Sohn oft bis weit in den Nachmittag hinein über den Hausaufgaben, anderen Eltern gehe es ähnlich. Da werden unschöne Erinnerungen ans Home Schooling wach. Auch das Personal aus der offenen Ganztagsschule werde mittlerweile „als Hilfskräfte missbraucht“, wie es die Schulleiterin formuliert: „Es ist im Moment für alle schrecklich, für die Lehrer, die Eltern und auch für die Kinder.“

Sie selbst hilft aus wo sie kann und ist froh, dass die dritte und vierte Klasse noch versorgt ist. In der ersten Jahrgangsstufe hat die Klassenlehrerin ebenfalls einen Krankenschein. „Wir können guten Unterricht nicht mehr qualifiziert geben weil es absoluten Personalmangel gibt“, bilanziert Tytko, die nur wenig Hoffnung hat, dass sich das zeitnah für die gut 100 Schüler und Schülerinnen an der Emscherschule ändert.

Forderung: Numerus Clausus für das Lehramts-Studium müsse gesenkt werden

„Schulleitung und die Leitung des Schulverwaltungsamtes sind in Gesprächen, um schnellstmöglich eine organisatorische Lösung anbieten zu können“, heißt es seitens des Stadtpressesamtes. Auch Bezirksbürgermeister Hans-Wilhelm Zwiehoff hat sich schon selbst ein Bild von der Lage vor Ort gemacht. Doch die Schulleiterin weiß: „Sie tun ihr Menschenmögliches, können aber auch nicht zaubern.“

Sie ist der Überzeugung, dass die Landespolitik und damit meint sie nicht die aktuelle, sondern die vorherige, es bereits vor Jahren versäumt hat, die Lehrerausbildung zu verändern. Es müsse – angesichts des Personalmangels, der nicht nur an ihrer Schule ein großes Thema ist – eine duale Ausbildung geben. Außerdem müsse der Numerus Clausus (NC) gesenkt werden, damit mehr Lehramtsstudenten- und Studentinnen an die Universitäten kommen. Der NC ist der für das Studium nötige Abinoten-Schnitt.

Bezirksregierung setzt auf Seiteneinsteiger an Essener Grundschulen

Für ihre 295 Plätze im laufenden Semester hatte die Uni Duisburg Essen (UDE) 2958 Bewerber. Der NC liegt an der UDE für das Grundschullehramt bei 2,2. Andernorts brauche man sogar ein Einser-Abi, hatte der emeritierte Essener Bildungsforscher Prof. Klaus Klemm bereits im September im Gespräch mit dieser Redaktion gesagt: „Wir haben keinen Mangel an Bewerbern für das Grundschullehramt, sondern einen Mangel an Studienplätzen: Der NC sorgt dafür, dass wir Hunderte junge Menschen vor den Türen der Unis warten lassen.“ Zum Wintersemester 2018/19 hatte die Landesregierung 339 zusätzliche Studienplätze für angehende Grundschullehrer geschaffen – doch die sind noch nicht an den Schulen angekommen. Also setzt die Bezirksregierung weiter auf Seiteneinsteiger und verweist darauf, „das aktuell nicht ausreichend Lehrkräfte für eine Einstellung in einigen Schulformen zur Verfügung stehen“. Tytko: „Der Markt ist leer gefegt. Ich versuche seit Anfang des Jahres Ersatz zu bekommen.“ Das Schulamt habe jetzt signalisiert, dass sie zumindest für die erste Klasse eine Vertretung bekommt. Die Schulen im Essener Norden sollen sich jetzt untereinander aushelfen.

Ausbaden müssen den Personalmangel jedoch zunächst die Eltern, die an ihre Belastungsgrenzen kommen und die Kinder, die in einigen Jahren auf eine weiterführende Schule wechseln.