Essen. In Essen gibt es noch keinen Hausärztemangel. Doch in naher Zukunft setzen sich viele Ärzte zur Ruhe. Nachfolger zu finden, ist mitunter schwer.
- In Essen ist der allgemeine Ärztemangel noch nicht spürbar. Die Zahl der Ärzte und auch die der Hausarztpraxen ist in den vergangenen zehn Jahren sogar gestiegen
- Allerdings sind etwa ein Drittel der Hausärzte über 60 Jahre alt
- Wenn sie in Ruhestand gehen, könnte es auch hier schwer werden, Nachfolger zu finden
- Viele junge Mediziner bevorzugen geregelte Arbeitszeiten und scheuen die eigene Praxis
- Auch an den Krankenhäusern sind die Arbeitsbedingungen nicht familienfreundlich
- An den Kliniken arbeiten mehr und mehr Ärzte und Ärztinnen aus dem Ausland
In ländlichen Regionenist der Ärztemangel seit langem spürbar; hier müssen Patienten und Patientinnen lange Wege zur Hausarztpraxis in Kauf nehmen. Jüngst meldeten auch Städte wie Hagen und Hamm Engpässe: Dort versorgen einzelne Hausärzte und -ärztinnen 2000 Patienten und nehmen keine weiteren mehr auf. Betroffene berichten von einer verzweifelten Arztsuche. In einigen mittelgroßen Städten werde es bald 20 Prozent weniger Hausärzte geben, bestätigt eine Studie im Auftrag der Robert-Bosch-Stiftung. Die Großstadt Essen steht nach dem aktuellen Gesundheitsreport der AOK mit einer Versorgungsquote von 102 Prozent bei den Hausärzten aktuell noch gut da.
„Wir stehen vor der wachsenden Herausforderung, ausreichend ärztlichen Nachwuchs für die ambulante Versorgung zu generieren und für die Niederlassung zu gewinnen“, erklärt jedoch die KV Nordrhein, in deren Gebiet jeder dritte Hausarzt über 60 Jahre alt ist. In großen Städten wie Essen fänden Patienten in der Regel noch genügend andere Haus- und Fachärzte, wenn sich ihr Arzt zur Ruhe setze. „Gleichwohl suchen auch viele Stadtärzte Nachfolger.“
Ärztevertreter fordern mehr Medizinstudienplätze
Wann und wie sehr Essen vom Hausärztemangel betroffen sein wird, mag die Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein (KVNO) nicht prognostizieren, zumal es für niedergelassene Ärzte keine feste Altersgrenze gebe. Um die Basisversorgung mit Hausärzten sicherzustellen, wenn viele Ältere ihre Praxis abgeben, sei es aber wünschenswert, „wenn die Zahl der Studienplätze weiter erhöht würde“. Die KV begrüße, dass die Vergabe der Plätze nicht mehr allein durch den Numerus clausus gesteuert werde.
Längst würden auch Auswahlgespräche geführt und soziale Faktoren berücksichtigt, bestätigt die Vize-Vorsitzende der Essener Ärztekammer, Patricia Aden. Die Schulleistungen – die sich im NC ausdrücken – hätten allerdings eine „hohe Aussagekraft über den künftigen Studienerfolg“: Die Abbrecherquote im Medizinstudium betrage nur sechs Prozent. Auch Aden begrüßt eine Erhöhung der Studienplätze. Ebenso wichtig sei es, die Abwanderung junger Ärzte in andere Berufe oder ins Ausland im Auge zu behalten.
Mit einem Durchschnittsalter von 54,6 Jahren seien Essens Ärzte immerhin ein Jahr jünger als die Ärzteschaft im KV-Gebiet. Und: Die Versorgung könne zwar je nach Stadtteil unterschiedlich gut sein, ein prinzipielles Gefälle zwischen dem Essener Norden und dem Süden sei jedoch „nicht erkennbar“.
Im Werben um Jungmediziner kann sich ein Praxissitz im Norden der Stadt freilich als Nachteil erweisen. „Bevor ich mit 66 Jahren aufhören wollte, habe ich mich lange bemüht einen Nachfolger zu finden“, berichtet ein Mediziner. Mit 67 hatte er noch keinen gefunden. Dabei meldeten sich bei ihm zunächst sogar Interessenten aus anderen Städten, doch sobald er den Stadtteil nannte, sagten sie ab. Den mit Hilfe der KV errechneten Preis hätte er nie erzielen können. Am Ende habe sich aber eine gute Lösung gefunden: Seine Praxis wurde Teil eines Medizinischen Versorgungszentrums (MVZ), in dem mehrere Ärzte und Ärztinnen zusammenarbeiten.
In Zukunft werde die Zahl solcher MVZ-Standorte und Praxisgemeinschaften weiter steigen, glaubt Dr. Patricia Aden, stellvertretende Vorsitzende der Ärztekammer Essen. Die Stadt sei mit einer großen Zahl an niedergelassenen Ärzten vergleichsweise gut aufgestellt, so dass man nicht mit einer akuten Versorgungslücke rechnen müsse, wenn demnächst zahlreiche Ärzte in Ruhestand gehen. „Allerdings wird sich die Art der Versorgung ändern, da viele Jungärzte nicht mehr in Einzelstandorte einsteigen wollen“.
Junge Ärzte bevorzugen geregelte Arbeitszeiten
Die junge Ärztegeneration bevorzuge Gemeinschaftpraxis-Modelle, in denen auch niedergelassene Mediziner angestellt arbeiten können – mit geregelten Arbeitszeiten und Teilzeit-Option. „Das ist insbesondere für Ärztinnen wichtig, deren Potenzial aufgrund ungünstiger Arbeitsbedingungen bisher zu wenig genutzt wurde.“ Dabei seien zwei Drittel der Studienanfänger im Fach Humanmedizin weiblich.
Zahl der Hausarzt-Stellen soll noch leicht zunehmen
Die Zahl der niedergelassenen Ärzte in Essen hat sich laut Kassenärztlicher Vereinigung Nordrhein (KVNO) in den vergangenen zehn Jahren graduell verändert: 2011 waren es 335, 2013 dann 336, 2015 wieder 335, 2017: 332, 2019: 326, aktuell sind es 345.
Demnach kommt jetzt rechnerisch auf jeweils 1687 Einwohner ein Hausarzt. Essen hatte ursprünglich eine Quote von 2134 Einwohnern pro Hausarzt und unterliegt daher wie andere Ruhrgebietsstädte einer Sonderregelung, mit der perspektivisch eine Quote von 1670 Einwohnern pro Hausarzt erreicht werden soll. Daher werde man auch in den kommenden Jahren mehr Möglichkeiten für die Niederlassung von Hausärzten in Essen schaffen, teilt die KVNO mit.
Der Arbeitsplatz Krankenhaus mit Schichtdiensten und regelmäßigen Überstunden bietet dem Nachwuchs keine familienfreundliche Alternative zur Hausarztpraxis. Immerhin habe das Arbeitszeitgesetz von 2019 „die Belastung der Krankenhausärzte reduziert“, sagt Aden. Weniger Anwesenheit im Krankenhaus für Klinikärzte und geregeltere Arbeitszeiten für viele niedergelassene Ärzte sieht Aden auch als eine Ursache für eine deutlich gestiegene Ärztezahl in Essen: Waren 2009 noch knapp 4000 Ärztinnen und Ärzte in der hiesigen Kammer, sind es heute mehr als 5000. Auf eine bessere Versorgung könne man daraus angesichts der reduzierten Arbeitszeiten nicht schließen.
Immer mehr Mediziner kommen aus dem Ausland
Einen Mangel gebe es aber eben auch nicht. Auch in den Krankenhäusern fehle lediglich in einzelnen Fachgebieten der Nachwuchs, was dazu führe, hier „verstärkt Lücken mit ausländischen Ärzten zu füllen“. Die kämen wegen der besseren Einkommens- und Arbeitsbedingungen aus eigenem Antrieb nach Deutschland. „Anders als bei Pflegekräften gibt es keine gezielte Anwerbung von Ärzten im Ausland.“
Die Uniklinik bestätigt diese Einschätzung: Mitunter sei es schwierig spezielle Facharztpositionen zu besetzen, generell gelte aber: „Es gibt so gut wie keine längerfristig unbesetzten Stellen.“ Der Anteil ausländischer Kräfte unter der Ärzteschaft im Uniklinikum liege zur Zeit bei 18 Prozent – Tendenz steigend.