Essen. Eine EU-Verordnung verbietet ab dem 4. Januar viele bunte Tattoo-Farben. Ein Essener Tattoo-Künstler berichtete uns von Sorgen in der Szene.
- Hinweis: Dieser Artikel ist zuerst am 19. Oktober 2021 erschienen
Neue Tattoos werden ab dem 4. Januar deutlich farbloser sein, eine EU-Verordnung tritt in Kraft. Das Gelb, Rot, Grün, Blau in den kleinen Fläschchen vor dem Essener Tattoo-Künstler Chris Unnormal wird den Weg dann nicht mehr unter die Haut von seinen Kundinnen und Kunden finden.
Bei der EU-Richtlinie handelt es sich um die sogenannte REACH-Verordnung (weitere Info siehe unten). Diese wird verantwortlich dafür sein, dass Tätowierer die allermeisten Farben die aktuell auf dem Markt sind, nicht mehr nutzen dürfen. Tätowierfarben, so heißt es von der Europäische Chemikalienagentur (ECHA), „können gefährliche Stoffe enthalten“. In der Tattoo-Szene sorgt die neue Regelung für Aufregung. Chris Unnormal sagt etwa: „Ich empfinde den Wirbel um die Farben als Tortur!“
Bunte Tattoos gehören erst einmal der Vergangenheit an
Seine Motive – Marvel-Superhelden, Star-Wars-Charaktere oder Tiere – und die viele seiner Kolleginnen und Kollegen werden ab dem 4. Januar also deutlich farbloser daherkommen müssen. Europaweit darf dann nur noch in Schwarz- oder Grautönen tätowiert werden. „Ich finde das Verbot ungerecht“, sagt der zweifache Familienvater am Donnerstag (19.10.) im Tattoo-Studio „Royal Pain“ an der Ruhrallee Ecke Huttropstraße.
Denn noch ist unklar, wie und ob Hersteller der Farben auf die sogenannte REACH-Verordnung reagieren. Wird es Tätowierfarben auf dem Markt geben, die die dann geltenden Grenzwerte einhalten? Und wenn: Wird es überhaupt genug dieser dann neuen Farben geben? Chris Unnormal dazu: „Wenn etwas rar ist, dann ist es wie bei Corona und dem Klopapier.“ Er fürchtet einen Engpass. Zudem sei laut dem Tattoo-Künstler unklar, ob neue Farben überhaupt qualitativ hochwertig seien. „Es gibt keine Langzeitstudien“, so der Essener. „Wie sieht die Haut nach der Abheilung aus?“
Er geht deswegen davon aus, dass ab dem 4. Januar erstmal Schluss mit buntes Tattoos ist. Der Bundesverband Tattoo meldet dazu auf seiner Homepage: „Was die jetzt zum Jahreswechsel anstehenden Restriktionen angeht, können wir natürlich nicht ausschließen, dass irgendein Hersteller es heimlich still und leise vermocht hat, sämtliche damit einhergehende Probleme zu lösen und plötzlich im Dezember 2021 mit völlig neuen Farben des gesamten Spektrums auf den Markt kommt, die REACH-konform sind. Aber bekannt wäre uns so etwas jedenfalls nicht.“
Nachfrage nach bunten Tattoos aktuell hoch
Und so stellt man sich auch im Essener Studio Royal Pain darauf ein, dass ab Anfang 2022 nicht mehr grell, quietschig und bunt tätowiert wird. Was das Verbot wirtschaftlich für die Szene bedeutet, fasst Chris Unnormal so zusammen: „Von zehn Personen würden sechs wegfallen.“ Alle Kunden, die derzeit ins Studio kämen, hätten Fragen zu dem Farbwechsel. „Mittlerweile spricht uns jeder darauf an.“ Viele kämen jetzt „noch schnell vorbei“, um sich bunte Tattoos stechen zu lassen – „extremst viele“, heißt es zur aktuellen Terminlage.
Auch mit dem Eintreten der REACH-Verordnung werden Tattoos nicht aussterben, ist sich Chris Unnormal sicher. „Aber Verbote sind nie gut.“ Er fürchtet: „Das wird für viele der Startschuss in die Illegalität sein.“ Statt in Studios könnte sich das Geschäft „nach Hause“ verlagern, so seine Befürchtung. Einen Alternativvorschlag hat er parat. „Man könnte es doch wie bei anstehenden OPs machen. Da unterschreibt man vorher auch einen Bogen.“ Ein Erfassungsbogen würde aktuell ohnehin von allen Kundinnen und Kunden ausgefüllt. Den Hinweis auf „mögliche gefährliche Inhaltsstoffe“ könne man ergänzen. Chris Unnormal – der selbst nicht sagen kann, wie viele Tattoos er selbst hat – sagt: „Ich finde das Farbverbot frech, jeder hat das Recht an seinem eigenen Körper.“
>>> INFO: REACH-Verordnung
- Die REACH-Verordnung ist eine EU-Chemikalienverordnung. Seitens der Europäische Chemikalienagentur (ECHA) heißt es dazu: „Zum Schutz der Menschen in Europa werden Tausende gefährlicher Chemikalien, die in Tätowierfarben und Permanent Make-up enthalten sind, ab Januar 2022 in der EU Beschränkungen durch die REACH-Verordnung unterliegen.“
- In der Tattoobranche regt sich Widerstand, so wurde die Petition „Save the pigments“ gestartet. Ein Farbverbot würde die „wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit Europäischer Tätowierer und Pigmentierer gegenüber Anbietern außerhalb der EU nachhaltig negativ beeinträchtigen, und diesen Berufszweig in ihrer selbstständigen Erwerbsfähigkeit stark gefährden“, heißt es im Wortlaut.