Essen. In Essen-Stoppenberg wurde eine Luftmine gefunden. Wegen der potenziell enormen Sprengwirkung muss in deutlich größerem Radius evakuiert werden.

„Bei den Luftminen handelt es sich um Bomben mit enormer Sprengwirkung“, sagt der Essener Historiker und Bombenkriegs-Experte Norbert Krüger. Das ist der Grund, weshalb auch bei der Entschärfung am Mittwoch Morgen der Evakuierungsradius gegenüber normalen Sprengbomben-Blindgängern auf einen Kilometer erweitert wird. Sonst reichen maximal 500 Meter.

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Eingesetzt wurden die überschweren, bis zu mehrere Tonnen wiegenden Bomben nicht in erster Linie, um direkte Ziele zu zerstören. Es ging darum, möglichst große Verwüstungen in der Fläche anzurichten. Eine Luftmine riss in einem Umkreis von bis zu einem Kilometer Türrahmen und Fenster heraus und ließ noch in bis zu zwei Kilometern Entfernung Fensterglas splittern. Am wichtigsten aber: Durch den Luftdruck wurden in dicht besiedelten Städten in ganzen Häuserblocks die Dächer abgedeckt.

Archivbild: In Dortmund musste 2014 eine Luftmine entschärft werden, die der in Essen gefundenen ähnelt. Ihre äußere Form erinnert an einen Tank.
Archivbild: In Dortmund musste 2014 eine Luftmine entschärft werden, die der in Essen gefundenen ähnelt. Ihre äußere Form erinnert an einen Tank. © Volker Hartmann

Ziel der Luftminen war es, den Boden für tausende abgeworfene Brandbomben zu bereiten

Die so entblößten und quasi auf Durchzug gestellten Häuser hatten aus Sicht der britischen Luftkriegsstrategie gegen die deutschen Städte den Vorteil, dass die nach den einzelnen Luftminen massenhaft abgeworfenen Stabbrandbomben das zerstörerische Werk vollenden konnten.

Der frühere Essener Studienrat Norbert Krüger ist ein exzellenter Kenner des Bombenkriegs im Zweiten Weltkrieg.
Der frühere Essener Studienrat Norbert Krüger ist ein exzellenter Kenner des Bombenkriegs im Zweiten Weltkrieg. © FUNKE Foto Services | Thomas Goedde

„Mit Luftminen wurde der Weg frei gemacht, damit die Brandbomben auf brennbares Material in den Dachstühlen stießen“, so Krüger. Durch die zerstörten Fenster konnte per Funkenflug dann auch Feuer in die Wohnungen eindringen, sodass die Möbel in Flammen aufgingen. Mehrere solche Brandherde zusammen konnten dann einen sich selbst verstärkenden Feuersturm entfachen, der das eigentliche Ziel des Angriffs war. Für die jeweilige Stadt war das besonders verheerend und forderte auch viele menschliche Opfer. Aus Sicht der gegnerischen Luftkrieger erfüllten die Luftminen somit einen wichtigen Zweck.

In seltenen Fällen wurden Blindgänger einfach verscharrt

Weil die großen Fässern ähnelnden Luftminen im Fall des Versagens nicht tief in den Boden eindringen konnten, findet man heute nur noch selten Blindgänger. Bomben, die nicht explodierten, wurden vielmehr noch im Zweiten Weltkrieg oder kurz danach entschärft. „Manchmal hat man die Blindgänger aber auch einfach verscharrt“, so Krüger. Ein solches Exemplar scheint nun in Stoppenberg gefunden worden zu sein.

Krüger hat bei seinen akribischen Forschungen in britischen Archiven konkrete Zahlen recherchiert. Allein bei den sechs Angriffen von 5./6. März bis Ende Juli 1943 wurden auf Essen rund 5000 Sprengbomben geworfen, davon 1200 Luftminen mit zwei Tonnen Gewicht und 30 gigantische Luftminen, die vier Tonnen wogen. Letztere konnten im Fall von Volltreffern „ganze Wohnblöcke auseinanderreißen“, so Krüger.