Essen. Essen auf keinem guten Weg? Unsinn, sagen die Essener Wirtschaftsförderer. Die Kritik des einstigen IHK-Chefs „können wir mit Fakten widerlegen“.

Der oberste Wirtschaftsförderer und der Chef der örtlichen IHK – diese zwei darf man ohne viel Kumpel-Getue wohl Weggefährten nennen, und da sie ja beide die Welt durch die Wirtschaftsbrille sehen, liegt nahe, dass sie dort auch das Gleiche sehen. Denkste: Als er dieser Tage Abschied aus der Chefetage der Industrie und Handelskammer nahm, krittelte Gerald Püchel gleich in mehreren Interviews am Kurs des Reviers und der Stadt Essen herum. Und erntet dafür jetzt entschiedenen Widerspruch.

Der kommt von Andre Boschem, der seit drei Jahren die Geschäfte der Essener Wirtschaftsförderungsgesellschaft (EWG) führt und über die betont düstere Bilanz des IHK-Mannes nur staunen kann: Essen auf keinem guten Weg? „Das können wir mit Fakten widerlegen.“

Große Gewerbegebiete im Essener Süden umzusetzen, „das ist unrealistisch“

Es ist ein Konter in Stichworten: „Carnaper Hof“ und „Grüne Mitte“, die „Weststadt“ und der Gewerbepark „M1“, demnächst der Campus am „Thurmfeld“ nördlich der Uni, und das Zukunftsquartier „Essen51“ – tausende Arbeitsplätze sind hier schon entstanden und werden noch hinzukommen, betont Boschem. Als weitere Erfolgsbeispiele führt er den Bau diverser Unternehmenszentralen an – von Aldi Nord über Opta Data bis zu RWE und Deichmann, „das zeigt: Die Großkonzerne glauben an diese Stadt“. Zudem gebe es innovative Start-ups und mit der Junior-Uni ein wegweisendes Bildungsprojekt für junge Talente.

Natürlich mangele es der Stadt an Gewerbeflächen vor allem im Süden, „natürlich hätten wir auch gerne ein zweite Auflage des Gewerbegebiets Teelbruch“ in Kettwig, versichert Boschem. Aber dies gegen den Widerstand von Bürgern durchzusetzen, so wie Püchel sich das offenbar vorstelle, sei eben „unrealistisch“: „Wir müssen Kompromisse finden.“ Auch ihm als Wirtschaftsförderer sei daran gelegen, Essen als „lebenswerte, spannende Stadt“ zu erhalten – „wir haben die Gesamtstadt im Blick“.

Ein Mitspieler, der bei seinem Abgang vom Feld noch mal eben den Rasen zertritt

Und weil er selbst viele Jahre in Düsseldorf gearbeitet hat, hält Boschem auch Püchels Lobpreis für die Industrie-Politik der Landeshauptstadt für verfehlt: Dort seien unterm Strich mehr gewerblich-industrielle Arbeitsplätze abgebaut worden als in Essen, eine Stadt, die als europäisches Strukturwandel-Vorbild gelten dürfe.

Bei Püchels Klage, 13 Jahre lang vergeblich für den A52-Weiterbau gestritten zu haben, hält sich Boschem lieber zurück, wohl wissend, dass eine plakative Abkehr von der Durchstreckung der Autobahn als „Verrat“ an der Wirtschaft gelten könnte, die diesen Traum weiter pflegt, obwohl es dafür keine politische Mehrheiten mehr gibt.

Was Boschem wohl noch mehr ärgert, als er öffentlich zugeben mag, ist womöglich, dass der Rundumschlag des IHK-Chefs zum Abschied kommt – das Standort-Bashing eines ehemaligen „Mitspielers“, der bei seinem Abgang vom Feld noch mal eben den Rasen zertritt. „Es ist leicht, Probleme zu adressieren, aber es wäre schöner, wenn man Partner bei der Lösung der Probleme hätte.“