Essen. Die Stadt Essen hat eine Strategie für mehr Nachhaltigkeit auf den Weg gebracht. Los geht es schon im Kindergarten.
Die Welt soll eine bessere werden? Die Stadt Essen will dazu ihren Beitrag leisten. Getreu dem Motto „Global denken, lokal handeln“ hat der Rat der Stadt deshalb eine Nachhaltigkeitsstrategie auf den Weg gebracht.
Nachhaltigkeit? Dieser Begriff stammt ursprünglich aus der Waldwirtschaft: Es sollten nur so viele Bäume gefällt werden, wie nachwachsen. Denn sonst ist vom Wald irgendwann nichts mehr übrig. Spätestens seit dem Aufkommen der Umweltbewegung Ende der 1970er Jahre steht Nachhaltigkeit für einen bewussten Lebensstil, der möglichst schonend mit Ressourcen umgeht.
Durch den Klimawandel wird der Ruf nach Nachhaltigkeit lauter
Längst hat der Begriff Eingang in den allgemeinen Sprachgebrauch gefunden. Seit der Klimawandel als globale Bedrohung wahrgenommen wird, wird der Ruf nach Nachhaltigkeit immer lauter. Initiativen wie „Fridays for Future“ tragen ihn auch in Essen auf die Straße. Aktuell gibt es kaum eine politische Partei, die sich diesem Ruf entziehen kann, so sie denn mitregieren will.
Doch längst nicht jeder lebt nachhaltig, wie erst jüngst die Hochschule FOM in einer Studie herausfand. Die Mehrheit der Befragten war wenig geneigt Verzicht zu üben, weder beim Konsum, noch bei Reisen oder beim Autofahren.
Auch die städtische Strategie beschränkt Nachhaltigkeit nicht nur den Klimaschutz, sondern fasst den Begriff weiter. Es geht auch um die Frage, wie die Bürger miteinander leben. Wenn möglich gerecht, friedlich und ohne Geld sinnlos zu verprassen, auch wenn einem danach der Sinn ist. Ressourcenschonend eben.
Jedes Jahr sollen auf Essener Dächern 800 Photovoltaikanlagen montiert werden
Sascha Berger, klimapolitischer Sprecher der Grünen, formuliert es so: „Mit dieser Strategie wird die Nachhaltigkeit zum Kompass unserer Entscheidungen und Handlungen. Es geht darin aber nicht nur um Maßnahmen zum Klimaschutz, Umweltschutz und um die bezahlbare und saubere Energieversorgung, sondern auch um Themen wie Verkehr, Infrastruktur, Bildung, Inklusion, Geschlechtergerechtigkeit, Gesundheit und vieles mehr.“
Das volle Programm also. Die Stadtverwaltung und ein Beirat mit 60 Vertretern aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und gesellschaftliche Gruppen haben daran mitgearbeitet.
Vieles bleibt vage, manches Ziel ist aber sehr konkret und äußerst ambitioniert. Beispiele: Jedes Jahr sollen mindestens 800 Photovoltaikanlagen auf Essener Dächern in Betrieb genommen werden. Städtische Gebäude sollen künftig klimaneutral gebaut werden, in dem unter anderem weniger Beton und dafür mehr Holz verbaut wird. Anderes klingt selbstverständlich, scheint es aber nicht zu sein: „Beim Neubau von öffentlichen Gebäuden werden die Kriterien der Barrierefreiheit beachtet.“
2025 soll jedes zweite in Essen zugelassene Auto eines mit alternativem Antrieb sein
Bei den Kfz-Zulassungen soll der Anteil von Fahrzeugen mit E-Motoren oder anderen alternativen Antriebstechniken jedes Jahr um mindestens zehn Prozent steigen, bis diese 2025 die Hälfte der Neuzulassungen ausmachen. Die Stadt Essen will mit ihrem Fuhrpark als Vorbild vorangehen.
Schottergärten will die Stadt bis 2025 durch Öffentlichkeitsarbeit und wenn möglich durch finanzielle Anreize um 50 Prozent reduzieren. An den Straßen sollen mehr Wildblumen blühen.
Bildung und gesellschaftliche Teilhabe spielen eine große Rolle. So soll die Folkwang Musikschule ihr digitales Angebot ausbauen, das Museum Folkwang bis 2025 „mobile Museumsformate in den Quartieren“ umsetzen. Wie? Die alten Meister wird das Museum wohl kaum auf Marktplätzen ausstellen.
Essener Schulen sollen am Mittagstisch mehr vegetarische und vegane Speisen anbieten
Auch der Ernährung widmet sich die Nachhaltigkeitsstrategie: In neuen Schulgebäuden soll eine „Frischeküche für gesundes, nachhaltiges und regionales Essen“ eingerichtet werden, wenn die Schulgemeinde dafür ein wirtschaftliches Konzept vorlegen kann. Schulen sollen am Mittagstisch mehr vegetarische und vegane Kost anbieten. Gemüse statt Currywurst. Ob das jedem schmeckt, bleibt abzuwarten.
Die Nachhaltigkeitsstrategie ist weniger Selbstverpflichtung als Absichtserklärung. Das liegt einerseits am Geld. Alle Ziele, für deren Umsetzung die Stadtverwaltung zuständig ist, unterliegen ausdrücklich einem Finanzierungsvorbehalt. Jedes einzelne Projekt muss politisch beschlossen werden. Und es liegt andererseits daran, dass die Stadt auch andere dafür gewinnen will, nachhaltig zu handeln. Sicher ist: Die Politik wird sich bei ihren Entscheidungen an der Nachhaltigkeitsstrategie messen lassen müssen.
Eine von 30 Modellkommunen
Die Stadt Essen ist seit 2019 eine von landesweit 30 Modellkommunen im Rahmen des Projektes „Global Nachhaltige Kommune NRW“. Nach den Worten von Oberbürgermeister Thomas Kufen fühlt sich Essen als „Grüne Hauptstadt Europas 2017“ besonders verpflichtet, sich für Nachhaltigkeit zu engagieren. Die Auszeichnung sei „kein Lorbeerkranz“, auf dem man sich ausruhen könne, so Kufen. Nachhaltigkeit sei nicht nur eine Aufgabe für die Stadtverwaltung, sondern für die gesamte Stadtgesellschaft. Die vom Rat beschlossene Nachhaltigkeitsstrategie soll diesem Anspruch gerecht werden.
Deren Umsetzung sei ein „kontinuierlicher Prozess“, heißt es. „Verwaltung und Politik, aber auch unsere Stadtgesellschaft müssen einen langen Atem haben“, sagt Yannick Lubisch, umwelt- und klimapolitischer Sprecher der CDU-Fraktion im Rat der Stadt. Das soll nicht klingen wie ein Bremser, CDU und Grüne sind sich in der Sache einig.
Deren klimapolitischer Sprecher, Sascha Berger, hat sehr klare Vorstellungen, wie die bessere Welt aussehen wird: „Das Bewusstsein für nachhaltigen Konsum und nachhaltiges Produzieren macht eine starke Stadtgesellschaft ebenso aus, wie ihre gesunden und fitten Bürgerinnen und Bürger, die sich in einer immer grüner werdenden Umgebung mehr zu Fuß und mit dem Rad bewegen“ Eine nachhaltige Lebensweise, so Berger, „fängt dabei für uns schon im Kindergarten (...) an.“