Essen. Seit Wochen befindet sich eine Essenerin im Hungerstreik. Erzwingen will sie ein Klimaschutz-Regime. Aufgeben will sie allenfalls im Krankenhaus.
Sie sind seit zwei Wochen im Hungerstreik für das Klima und sie wollen weitermachen: bis ihre Forderungen erfüllt werden – oder sie krank werden. Marlene Barth (18) aus Essen und fünf weitere Aktivisten haben sich ein Camp in der Nähe des Reichstages in Berlin aufgebaut. Sie bekommen viel Aufmerksamkeit von Passanten, Medien und Politik. Ihre utopisch anmutenden Ziele erreicht haben sie nicht, und das ist auch nicht zu erwarten.
Auch Pathos und Fanatismus spiegeln sich im Namen der Aktion: „Hungerstreik der letzten Generation“
Diese Ziele sind Marlene Barth, die sich nach der Figur in Goethes „Faust“ Mephisto nennt, wichtiger als ihr Psychologiestudium: Statt im Hörsaal oder in einer Online-Vorlesung zu sitzen, kampiert sie im Berliner Spreebogenpark. Sie will erreichen, dass die Politik buchstäblich alles unternimmt, um den Klimawandel aufzuhalten und sämtliche anderen Politikbereiche dem unterordnet. Die Dringlichkeit, mit der die Anliegen legitimiert wird, aber auch eine große Portion Pathos und Fanatismus und ein fast schon religiös anmutendes Märtyrer-Bewusstsein spiegeln sich im Namen der Aktion: „Hungerstreik der letzten Generation“.
Sie meinen das offenbar wirklich ernst mit der „letzten Generation“ auf der Erde, die sechs jungen Menschen zwischen 18 und 27. Wie Marlene haben sie vor zwei Wochen das letzte Mal etwas gegessen. Seither gibt es nur noch Vitamintabletten, Tee, Wasser und 150 Milliliter Saft pro Tag. Auf letzteren wollen sie im Laufe der Woche ebenfalls verzichten. Dabei hat Marlene Barth schon jetzt fünf Kilogramm verloren. Konsequenz: Die Muskeln bauen sich fortschreitend ab, sie hat Schmerzen beim Laufen, Treppen entwickeln sich zu kaum überwindbaren Barrieren. „Ich habe immer Bauchschmerzen und denke ständig ans Essen.“
In den ersten Tagen hätten diese Gedanken sie in den Wahnsinn getrieben. Aber sie ist nicht allein: Von den sieben Aktivisten, die den Streik begonnen haben, sind noch sechs dabei, die sich gegenseitig bestärken. Zusammen mit den Helfern sind sie 20 Leute in ihrem Zeltlager, das sich in Fußnähe zum Bundestag befindet. Dort halten sie täglich eine Mahnwache ab. Sie besuchen Wahlveranstaltungen, entrollen Plakate. Sie sind getrieben von den großen Sorgen um die Auswirkungen des Klimawandels und sparen nicht mit suggestiven Parolen: „Wir rasen mit Vollgas auf die Klimakatastrophe zu.“ Ihrer Ansicht nach nimmt keine der großen Parteien die Klimakatastrophe ernst
Annalena Baerbock bat die Sechs, wieder Nahrung aufzunehmen
Ihre Forderung: „Wir hören erst auf zu hungern, wenn Annalena Baerbock, Olaf Scholz und Armin Laschet in einem öffentlichen Gespräch uns einen Bürger- und Bürgerinnen-Rat versprechen“. Gemeint ist ein Gremium aus per Los bestimmten Bürgern, die Sofortmaßnahmen gegen die Klimakrise beschließen können sollen – das wäre dann die Aushebelung der parlamentarischen Demokratie und des Rechtsstaates und hat schon deshalb zu Recht keinerlei Chance auf Umsetzung. Es wäre mehr als ein Skandal, würde ihnen dabei auch nur einer der drei Kanzlerkandidaten folgen.
Die Kanzlerkandidaten sollen mit ihnen sprechen
Die Aktivisten und Aktivistinnen, die aktuell in Berlin im „Hungerstreik der letzten Generation“ für das Klima sind, haben zwei konkrete Forderungen: Sie wollen ein öffentliches Gespräch mit den Kanzlerkandidaten von CDU, SPD und Grünen, Armin Laschtet, Olaf Scholz und Annalena Baerbock, führen. Außerdem verlangen sie die Einrichtung eines Bürgerrates: Gemeint ist ein Gremium aus per Losverfahren zufällig ausgewählten Bürgern und Bürgerinnen, das über Klimafragen mitentscheiden soll und dabei von Fachleuten beraten wird.
Bisher ist es daher nur zu einem 15-minütigen Telefongespräch mit Grünen-Kandidatin Annalena Baerbock gekommen. Auch sie soll vernünftigerweise gebeten haben, wieder Nahrung aufzunehmen.
Ihre Mutter unterstützt sie – und macht sich große Sorgen
Viel Aufsehen erregt der Hungerstreik bei Medien: Fast täglich wird Marlene Barth von einem Kamera-Team begleitet. Um 9 Uhr startet die Essenerin den Tag mit dem Gang zur Waage. Zum Frühstück gibt es Vitamintabletten und einem Schluck Tee. Es folgt ein Treffen, in dem die Gruppe das weitere Vorgehen bespricht. Bei aller Routine, gebe es keine Gewöhnung, sagt Marlene Barth: „Ich meine, wie soll man sich daran gewöhnen, nichts zu essen.
Hungern unter ständiger Beobachtung: Sie will das so, und genießt nach eigenen Angaben dennoch die wenigen Momente allein. Etwa morgens, wenn sie zum Supermarkt läuft, um Tee zu kaufen. Sie hat schon als Schülerin an Besetzungen, Demos und Kundgebungen teilgenommen. Sie freut sich, dass ihre Mutter sie versteht und unterstützt, sie sogar in Berlin besucht hat, obwohl sie sich große Sorgen um ihre Tochter macht. Dazu gibt es allen Anlass, denn Marlene Barth will nicht aufgeben: „Ich esse so lange nichts, bis ich ins Krankenhaus komme“. (mit F.S.)