Essen. Seit Wochen ist die Tierrettung Essen in den Katastrophengebieten in NRW und in Rheinland-Pfalz unterwegs. Die Helfer erlebten Dramatisches.

Sie haben Ponys auf überschwemmten Wiesen vor dem Ertrinken gerettet, neue Unterstände für Gnadenhöfe gezimmert, die die Jahrhundert-Flut im Süden Nordrhein-Westfalens und Norden von Rheinland-Pfalz mit sich riss. Sie verteilten im Ahrtal und in der Umgebung Taschenlampen samt separater Handy-Akkus gegen allzu dunkle strom- wie sprachlose Stunden und Tröstebären an Kinder gegen die Furcht: Seit der Hochwasserkatastrophe in Ahrweiler und Umgebung sind die Helfer der Tierrettung Essen e.V. im Dauereinsatz - so unermüdlich wie freiwillig.

Über Wochen schon packt das jeweils sechsköpfige Team „überall da mit an, wo es geknallt hat“, sagt dessen Chef Stephan Witte, der am Wochenende erstmal eine Verschnaufpause einlegte, um am Montag wieder durchzustarten. Erstmal Luft holen und erstmals Zeit für ein Gespräch.

Ahrweiler, Engelskirchen, Heinsberg, Düren und immer wieder Ahrweiler. Die Ehrenamtlichen halfen Vier- und Zweibeinern gleichermaßen, überbrachten großzügige Spenden aus Essen und erlebten vor Ort Dramen und Schicksale, die ihnen unter die Haut gingen.

Auf verlorenem Posten in verwüsteten Ortschaften

„Mit Tränen in den Augen“, erzählt Witte, haben seine Leute und er „unheimlich viel Dankbarkeit erfahren“ seitens der Bevölkerung, „die sich von der Politik im Stich gelassen fühlt“. Ohne euch und die vielen anderen Freiwilligen, habe man ihm gesagt, stünde man wohl auf verlorenem Posten in den verwüsteten Ortschaften.

Auslöser für die Welle der Hilfsbereitschaft aus Essen war ein Anruf einer älteren Dame aus Ahrweiler, die am Tag nach der nächtlichen Katastrophe völlig verzweifelt war. Den Tierrettern erzählte sie, dass sie alles verloren habe, ihr Haus in einer Höhe von drei Metern komplett geflutet worden sei. In allerletzter Sekunde habe sie ihren schwerkranken Mann, ihre kranke Katze und sich selbst ins Obergeschoss retten können.

Essener Retterinnen versorgten diese ältere Dame in Ahrweiler mit dem Nötigsten.
Essener Retterinnen versorgten diese ältere Dame in Ahrweiler mit dem Nötigsten. © KDF-TV & Picture

Den ortsansässigen Tierarzt habe es ebenfalls schwer erwischt, Medikamente, Spezialfutter und auch lebenswichtige Inhalationsgeräte für Vierbeiner wurden ein Raub des Hochwassers. Und überhaupt: Ahrweilers Infrastruktur existierte mit einem Mal nicht mehr. „Dieser Anruf, dieses Schicksal waren der Auslöser für unsere Hilfsaktion“, sagt Witte, der sein Team noch am selben Tag mobilisierte, um am nächsten Tag Richtung Süden zu starten, mit all den Dingen an Bord der Einsatzfahrzeuge, die die Anruferin so dringend benötigte.

Einem älteren Ehepaar fehlte es einfach an allem

Vor Ort bot sich den Essenern ein erbarmungswürdiges Bild. Als die Helfer realisierten, dass es dem Ehepaar letztlich an allem fehlte, organisierten sie warme Mahlzeiten, kalte Vorräte, Getränke und Hygieneartikel, räumten Unrat, Schutt und zerstörte Möbel aus dem Treppenhaus, um das Heim der Senioren zumindest wieder halbwegs begehbar zu machen.

Auf in den Kampf: Die Essener auf dem Weg zum Einsatzort im Ahrtal.
Auf in den Kampf: Die Essener auf dem Weg zum Einsatzort im Ahrtal. © KDF-TV & Picture

Dieser Einsatz entging der Feuerwehr und der Polizei vor Ort nicht. Zumal die Essener mit auffälligen Fahrzeugen unter anderem mit einem Quad samt Seilwinde unterwegs waren. Das Fahrzeug hat die weltgrößte Tierschutzfondsorganisation „IFAW“ aus Amerika mit Niederlassung in Hamburg finanziert, damit die Retter auch in unwegsamen Gelände vorankommen konnten.

Fortan war die Tierrettung Essen der erste Ansprechpartner bei Vierbeinern in Not. Von einer Hundertschaft kam prompt die Bitte, eine große Maincoon-Katze zu sichern, die ein Fall für die Tierklinik war. Unter widrigen Umständen brachten die Retter das verletzte Wesen ins 35 Kilometer entfernte Mayen.

In der Nacht Ponys von einer Koppel gerettet

In Düren rüstete sich die Wasserrettung der Truppe aus Essen mit Trockenanzügen, Schwimmwesten und Helmen aus, um mitten in der Nacht gegen die Strömung durch brusthohes Wasser zu einer zwei Kilometer entfernten Koppel zu gelangen, um Minipferdchen zu retten, denen die Flut bis zu den Nüstern stand.

Die Fahrzeugflotte der Tierrettung Essen auf dem Weg ins Einsatzgebiet.
Die Fahrzeugflotte der Tierrettung Essen auf dem Weg ins Einsatzgebiet. © KDF-TV & Picture

Zwei Ponys waren in Sicherheit zu bringen, ein drittes ertrank. Stephan Witte bekommt noch heute eine Gänsehaut, wenn er an den herausfordernden Einsatz zurückdenkt, der seine Leute an den Rand ihrer Kräfte brachte: „Sie arbeiteten unter Lebensgefahr, da sich die Situation dramatisch zuspitzte und der Hochwasser-Pegel weiter stieg.“

Nicht nur den Behörden vor Ort, auch Unterstützern in der Heimat blieb das Engagement des Essener Vereins nicht verborgen. Immer mehr Spenden gingen ein, die die Retter auf ihren Touren verteilten: „Houseofshoes“ in Bredeney stellte 600 Paar Schuhe im Wert von 60.000 Euro für bedürftige Bürger im Krisengebiet zur Verfügung. Die Tierrettung ihrerseits organisierte über Spenden Schutzschuhe für Vierbeiner, da ihnen in den Ortschaften immer wieder Hundehalter entgegenkamen, die ihre Lieblinge trugen, um ihnen Verletzungen in Schotter und Schutt zu ersparen.

Selbst Bürgermeister nahmen gespendete Schuhe gerne an

In mehreren Gemeinden bauten die Essener Verteilplätze auf, um die Fußbekleidungen an die Frau und den Mann zu bringen. „Die Menschen waren so dankbar“, sagt Witte: „Viele erzählten uns, dass die Kleidung, die sie trugen, alles sei, was ihnen die Flut nicht genommen hat.“ Selbst Bürgermeister und Einsatzleiter des Krisenstabs nahmen die Schuhe gerne an.

Auf einem Gnadenhof in Engelskirchen zimmerten Stephan Witte (2.v.li.) und sein Team einen Unterstand für Pferde.
Auf einem Gnadenhof in Engelskirchen zimmerten Stephan Witte (2.v.li.) und sein Team einen Unterstand für Pferde. © KDF-TV & Picture

Auf einem Gnadenhof in Engelskirchen konnten die Tierretter mit vom Bauhaus in Essen-Frillendorf gesponserten Materialien in zwei Tagen einen dringend benötigten Futterstand für Pferde wieder aufbauen.

Es werden noch viele vergleichbare Herausforderungen folgen, ist Witte überzeugt. Ein Erlebnis aber wird wohl einzigartig bleiben. Als die Tierretter einen ihrer Tröstebären einem Zehnjährigen in die Hand drücken wollten, sagte der Junge: „Mich hat es bei der Flut nicht so schlimm getroffen, ich möchte, dass ein Kind das Bärchen bekommt, das alles verloren hat.“