Essen-Frohnhausen. Seit Jahrzehnten pflegen Mieter in Essen-Frohnhausen ihre Gärten an der Mülheimer Straße. Nun will die LEG die Pachtverträge kündigen.
Es sind kleine, grüne Oasen der Ruhe, die insgesamt 14 Parzellen Grabeland hinter den Mietshäusern der LEG an der Mülheimer Straße. Jahrzehnte lang haben dort die Mieter ihren Feierabend und die Wochenenden verbracht, haben sich mit viel Liebe zum Detail einen privaten Rückzugsort geschaffen, an dem man einfach mal die Seele baumeln lassen kann. Doch damit ist jetzt Schluss: Alle Pächter erhielten nun die Kündigung ihrer Verträge. Bis zum 31. Oktober dieses Jahres müssen die Gärten geräumt sein – für immer.
Elfriede Kawecki (68) wollte ihren Augen kaum trauen, als sie den Brief in ihrem Postkasten fand: „Die Pacht für meinen Garten, 63 Euro pro Jahr, wurde erst Ende Juni abgebucht. Und eine Woche später habe ich die Kündigung hier liegen“, schüttelt sie den Kopf.
Tomaten, Zucchini und Kürbisse wachsen im Garten
Die Rentnerin wohnt seit über 30 Jahren in Frohnhausen. „Meinen Garten hege und pflege ich bereits seit 1998“, erklärt sie. Da gab es damals eine Liste, auf der man sich eintragen konnte. Und dann bekam ich Nachricht, dass ich einen der Gärten haben könnte.“ Seitdem pflanzt sie dort Gemüse für den eigenen Bedarf an: Tomaten, Zucchini, auch Kürbisse sind dabei. „Eben alles, was man so braucht“, sagt sie. „So kommt man regelmäßig an die frische Luft. Und günstiger als jeden Tag einkaufen zu gehen, ist es obendrein.“
Von ihrem Balkon, Hausnummer 117, hat sie einen wunderbaren Blick über die gesamte Grünanlage. Das Grabeland gab es schon zu Zeiten, als die Immobilien an der Mülheimer Straße in Frohnhausen noch Krupp-Hoesch gehörten. „Mit denen habe ich damals noch meinen Pachtvertrag abgeschlossen“, erinnert sie sich. Später wurden die Häuser und auch die Gärten von der Immeo übernommen; seit 2016 ist die LEG Eigentümer der Immobilien Mülheimer Straße 103 bis 121.
Im Laufe der vielen Jahre hat sich die Grünanlage stetig entwickelt. „Eigentlich alle Pächter haben dort eine Laube oder ein Gartenhäuschen, das sie entweder von ihren Vorgängern übernommen oder selbst gebaut haben“, erklärt Elfriede Kawecki. Auch Herkam Zengel (46) hat viel Arbeit und Geld in den Garten investiert: „Eigentlich ist mein Vater der Pächter, doch der ist nicht mehr mobil, deshalb greife ich ihm unter die Arme.“ Die Gartenarbeit sei für ihn in Zeiten der Pandemie ein wahrer Segen gewesen. „Ich bin Veranstaltungstechniker, doch wegen Corona liegt die Branche derzeit ziemlich brach. Ohne den Garten wäre mir wohl die Decke auf den Kopf gefallen.“
Besonders im ersten Halbjahr 2021 hatte Herkam Zengel „kräftig angepackt“, wie er sagt. Die Hütte renoviert, Zäune repariert, neue Bodenplatten verlegt und natürlich einiges angepflanzt. „Neben der Zeit habe ich rund 5000 Euro in die Parzelle investiert. Hätte ich gewusst, dass wir jetzt die Kündigung bekommen, hätte ich hier keinen Stein in die Hand genommen.“ Schlimmer als der finanzielle Verlust sei für ihn jedoch der Abschied vom Garten selbst: „Da hängt ja unser aller Herz dran. Meine Eltern wohnen hier schon seit über 40 Jahren. Und für mich ist es natürlich bitter, weil ich die Früchte meiner Arbeit nun nicht einmal genießen kann.“
Über die weitere Verwendung der Parzellen hat die LEG noch nicht entschieden
Über die genauen Gründe der Kündigung schweigt sich die LEG in ihrem Schreiben an die Pächter aus. In der Siedlung hält sich jedoch hartnäckig das Gerücht, die Gärten sollen Stellplätzen weichen. „Ob das notwendig ist, weiß ich nicht“, sagt Elfriede Kawecki. „Ich habe hier bislang immer einen Parkplatz gefunden.“
Nils Roschin, Pressesprecher der LEG-Immobilien-Gruppe, nimmt Stellung: „Es gibt derzeit noch keine abschließende Entscheidung über die zukünftige Nutzung der Flächen.“ Man befinde sich intern in der Beratung. Auf Nachfrage bestätigt Stadtsprecher Patrick Opierzynski: „Es liegt der Stadt weder ein Bauantrag für ein wie auch immer geartetes Bauprojekt im Bereich der Parzellen vor, noch wurde von uns eine Baugenehmigung erteilt.“
Zur Kündigung erklärt LEG-Sprecher Roschin: „Grabeland ist im Sinne des deutschen Bundeskleingartengesetzes kein Kleingarten, sondern ein Grundstück, das vertraglich nur mit einjährigen Pflanzen bestellt werden darf. Leider wurden zum Teil nicht genehmigte Gartenhäuser auf den Parzellen errichtet und auch andere Regeln nicht beachtet.“ Zwar habe die LEG in der Vergangenheit die Aktivitäten der Pächter geduldet, „doch in letzter Zeit haben uns immer wieder Beschwerden aus der Wohnnachbarschaft erreicht“, so Roschin. „Auch die Verkehrssicherheit mussten wir des Öfteren in Frage stellen.“ Dies habe zur Entscheidung der LEG geführt, die Pachtverträge zu kündigen.
In ihrem Schreiben an die Mieter kündigt die LEG an, den ordnungsgemäßen und fristgerechten Rückbau der Gärten durch Rundgänge in der Anlage kontrollieren zu wollen. Die Mieter haben nun darauf reagiert: „Ich lasse von meinem Anwalt ein Schreiben aufsetzen, mit der Anfrage, ob die LEG die Kündigung zurücknehmen kann, weil die Pächter doch sehr betroffen sind“, sagt Herkam Zengel. Auch deshalb, „weil es im Viertel keine Alternative für unsere Gärten gibt“, ergänzt Elfriede Kawecki. „Da habe ich mich schon erkundigt.“
Mit dem Schreiben geht eine Liste einher, die alle betroffenen Pächter unterschrieben haben. Sollte die Kündigung Bestand haben, bitten sie zumindest um eine Fristverlängerung für den Rückbau. Werner Engels (73), dessen Lebensgefährtin ebenfalls einen Garten hat, gibt sich jedoch kämpferisch: „Solange wir auf unser Schreiben keine Antwort haben, rühre ich hier keinen Finger. Wir wollen unsere Parzelle behalten.“
Mieterbund NRW fordert mehr Fingerspitzengefühl
Die Pächter an der Mülheimer Straße zeigten sich von der Kündigung ihrer Gärten überrascht. „Doch diese Kündigung ist in dieser Form rechtens und fristgerecht“, erklärt André Juffern, Landesgeschäftsführer des Deutschen Mieterbundes NRW.
Mit dem Fall der LEG konfrontiert, erklärt Juffern: „Diese alten Pachtverträge haben oft großzügige Regelungen – in beide Richtungen.“ Der Mieterschutz sei dabei in Deutschland jedoch eher schwach ausgeprägt. Der Vermieter müsse eine „angemessene Frist“ einräumen, um die Gärten zurückbauen zu lassen. „Da ist ein Quartal gängige Praxis.“ Doch das müsse individuell entschieden werden. Die Kündigungsfrist könne bis zu sechs Monate dauern.
Das Grabeland, so Juffern, falle in der Tat unter das Deutsche Bundeskleingartengesetz (§ 1 Abs. 2 Nr. 5 ). „Bauen darf man auf einer solchen Parzelle nichts. Wenn dies im Pachtvertrag nicht explizit erlaubt wurde, dann muss zurückgebaut werden.“
Dass die LEG kurz vor der Kündigung noch die Jahrespacht eingezogen hat, darin sieht Juffern kein Problem. „Das steht damit nicht im direkten Zusammenhang. Die Beiträge müssen vom Vermieter jedoch anteilig zurückgezahlt werden.“
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Im Umgang mit den Mietern hätte sich Juffern allerdings etwas mehr Fingerspitzengefühl gewünscht: „Das kann man auch langfristiger planen, kritisiert er. „Die LEG hätte im Vorfeld beispielsweise zu einer Pächterversammlung einladen können, um auf die Kündigung im Sommer hinzuweisen. Das hätte einige Probleme, aber auch einige der unlängst getätigten Investitionen der Mieter in ihren Gärten vermieden.“
André Juffern empfiehlt den Pächtern daher, anwaltliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, um ihre Interessen zu wahren. „Man muss natürlich auch die Gegenseite verstehen, aber diese kurzfristige Kündigung nach all den Jahren ist schon ungewöhnlich.“