Essen-Byfang. Brandstiftung steht im Raum, das Dachgeschoss des Hauses ist zerstört: Einst kauften Bergleute hier in Essen-Byfang Heringe und halbe Zigaretten.

Einst verkaufte seine Großmutter grüne Heringe, Hosenknöpfe und Zucker in dem Laden an der Nierenhofer Straße. Heute ist das Gebäude eingerüstet, unbewohnbar. Ein verheerender Brand hat in der Nacht zum 13. Juli das Dachgeschoss zerstört. Als ihr Enkel Gerhard Strickmann (80) davon erfuhr, war die Stimmung bedrückt. Denn es ist das Haus, in dem er geboren wurde. Seine Familie lebt zwar schon lange nicht mehr hier, aber es ist verbunden mit vielen Erinnerungen - und ihrer Geschichte.

Noch ist ungewiss, ob das Haus an der Nierenhofer Straße in Byfang nach dem Brand jemals wieder bewohnbar sein wird oder abgerissen werden muss.
Noch ist ungewiss, ob das Haus an der Nierenhofer Straße in Byfang nach dem Brand jemals wieder bewohnbar sein wird oder abgerissen werden muss. © Sagan | Foto

„Als meine Großmutter das Haus in den 1930er Jahren kaufte, gab es im Erdgeschoss das Geschäft und eine Wohnung“, berichtet Gerhard Strickmann. Darüber wohnte Maria Sonnenschein mit ihrem Mann und den beiden Kindern, „Onkel Willi und meine Mutter.“ Während der Großvater als Schlosser gegenüber auf der früheren Zeche Victoria einfuhr, schmiss die Oma den Laden, den zunächst ihre Schwester führte.

Staublunge als Folge der Arbeit in der Zeche

Die Schwester starb dann früh, ihr Mann auch. Die Arbeit unter Tage war nicht nur hart, eine Staublunge war die Folge. Maria Sonnenschein blieb allein auf sich gestellt, sehr robust, rührig und voller Tatendrang sorgte sie von nun an für ihre Familie. Sie verkaufte Trockentücher und Küchenschürzen ebenso wie Mehl und Zucker, die in großen Behältern lagerten und abgepackt wurden. Öl zapfte sie aus dem großen Glasgefäß, stellte dann das kleine Kännchen darunter, falls es tropfte.

„Das Kännchen ist das einzige, was ich aus dem Haus und Omas Laden noch habe“, sagt Gerhard Strickmann zu seinem Andenken aus dem Geschäft, das wohl in der heutigen Zeit so etwas wie ein moderner Unverpackt-Laden gewesen wäre, ergänzt er schmunzelnd. Zum Fortschritt damals zählten vor allem die Toiletten, die seine Großmutter auf halber Etage in einem Anbau errichten ließ. Bis dahin nutzte die Familie das Plumpsklo im Garten des Bruchsteinhauses aus dem Ende des 19. Jahrhunderts.

In der Nachkriegszeit gab es auch halbe Zigaretten

Die Ermittlungen und die Straßensperrung

Der Brand in dem Wohnhaus an der Nierenhofer Straße ist im Dachgeschoss in der Nacht zum 13. Juli ausgebrochen. Zu dem Zeitpunkt befanden sich die Bewohner in der ersten Etage im Haus, verletzt wurde niemand.

Im Dachgeschoss wohnte eine vierköpfige Familie, den Familienvater hat die Polizei festgenommen. Gegen den 39-Jährigen wird laut Polizei wegen Verdachts des versuchten Mordes und schwerer Brandstiftung ermittelt.

Die Nierenhofer Straße war seit dem Brand in Höhe des betroffenen Hauses gesperrt. Die Bauaufsicht der Stadt hat die Sicherung des Gebäudes inzwischen kontrolliert, die Straße soll voraussichtlich ab Freitag, 23. Juli, einspurig wieder befahrbar sein wird. Ampeln sollen den Verkehr regeln.

Im Laden versorgte die Großmutter die Nachbarschaft in der Nachkriegszeit auch mit halben Zigaretten. Wer sich mehr leisten konnte, kaufte gleich drei Zigaretten in der kleinen Pappschachtel. Wer anschreiben ließ, landete in der großen Kladde, in der sie alles genau notierte, um das Geld später einzutreiben. Bei ihr kauften die Bergleute sowie der Schäferhund des Milchhändlers ein, der mit einer Tasche zu ihr geschickt wurde. „Es war immer viel los bei ihr, aber sie hatte alles gut im Griff“, berichtet ihr Enkel von der Atmosphäre und der Großmutter, die beliebt, bekannt wie geschäftstüchtig gewesen sei. Als nebenan ein weiterer Laden eröffnete, übernahm sie diesen kurzerhand, um ihn gleich wieder zu schließen.

Als Gerhard Strickmann in Byfang eingeschult wurde, übergab seine Schwester ihm ihren Tornister, denn sie hatte die Schule da gerade beendet.   
Als Gerhard Strickmann in Byfang eingeschult wurde, übergab seine Schwester ihm ihren Tornister, denn sie hatte die Schule da gerade beendet.    © Gerhard Strickmann | Foto

Es war dann die Mutter von Gerhard Strickmann, die das Haus übernahm, in dem er und seine beiden Geschwister zur Welt kamen. Hausgeburten mit Hilfe der Hebamme, die gleich gegenüber wohnte. Zur Schule gingen sie später den Berg hinauf nach Byfang, vorbei an den Zechenhäusern, die heute nicht mehr existieren.

Schwester übergab ihren Tornister

Erhalten hingegen ist ein Bild, das Gerhard Strickmann mit seiner Schwester zeigt, die ihm ihren Tornister übergibt. Sie hatte die Schule beendet, er wurde eingeschult - und rutschte so manches Mal im Schnee auf dem Tornister den Berg hinab.

Später dann, als seine Großmutter den Laden übergeben hatte, „gab es darin ein Radio- und Fernsehgeschäft“, erzählt Gerhard Strickmann aus den 1960er Jahren. Das war auch die Zeit, in der er noch regelmäßig ein- und ausgegangen sei. Er selbst studierte und lebte lange in Aachen, seine Mutter habe das Haus vor rund 40 Jahren verkauft, schätzt er. Vergangene Woche war es sein Neffe, der gerade aus Berlin zu Besuch in der Nähe gewesen ist, als er erst das Feuer sah und dann den Ort erkannte, an dem es ausgebrochen war.

Neffe aus Berlin sah das Feuer bei einem Besuch in Essen

Als Zeitzeuge für ein Hörspiel über die ehemalige Zechensiedlung in Byfang kam Gerhard Strickmann noch im Juni zum Haus an der Nierenhofer Straße, in den er geboren worden ist.
Als Zeitzeuge für ein Hörspiel über die ehemalige Zechensiedlung in Byfang kam Gerhard Strickmann noch im Juni zum Haus an der Nierenhofer Straße, in den er geboren worden ist. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

„Er hat uns angerufen und die schlechte Nachricht überbracht“, sagt Gerhard Strickmann zu dem Telefonat. Er lebt inzwischen in Heiligenhaus an der Grenze zu Kettwig und war kürzlich noch in Byfang, um als Zeitzeuge zu einem Hörspiel über die ehemalige Zechensiedlung zu berichten, die sich gleich hinter ihrem Haus im Wald befand und an der sein Schulweg vorbeiführte. Nun möchte er noch einmal wiederkommen, da ungewiss ist, ob sein Geburtshaus zu retten sein wird.

Seine Verbindung zu dem Haus liegt zwar lange zurück und der Abstand ist nun zwar groß, „aber ich wäre schon traurig, wenn es abgerissen werden müsste“. Zu gern denkt er an die unbeschwerte Kindheit, die er hier mit seinen Freunden erlebt hat. Sie spielten verstecken, Fußball oder Pinnchen kloppen und hatten dafür den riesigen Freiraum im Wald und auf den Wiesen. Eine schöne Zeit und angenehme Erinnerungen verbindet er mit Byfang sowie dem Haus: „Das ist meine Heimat und mein Zuhause gewesen.“