Essen. Die Flut hat viele, direkt an der Ruhr gelegene Häuser umspült und die Brehminsel in ein Schlammfeld verwandelt. Schaulustige am Stauwehr.
Die Ruhr ist die Lebensader von Werden und manchmal auch ein Fluch, schon etliche Hochwasser haben den uralten Stadtteil erwischt. Aber was sich am Donnerstag an dem Ort vorbeiwälzte, ist die schlimmste Flut seit Menschengedenken. Niemand, den man in Werden anspricht, kann sich an vergleichbare Wassermassen erinnern, die mit rasender Geschwindigkeit nahten und viele offenbar überraschten, wobei die überwiegend etwas höher gelegene Altstadt glücklicherweise weitgehend verschont bleibt.
Lesen Sie auch:
- Feuerwehr Essen rettet Menschen mit Booten vor den Fluten
- Hochwasser: Warum es Kupferdreh so schwer erwischt hat
- Ruhr überflutet Steeler Vereine – Freibad geht unter
- Wie Werden von der Jahrhundertflut überrascht wurde
- Kettwig: Überflutete Straßen nach Stauwehr-Öffnung
Noch am Mittwochabend, teilweise noch am frühen Morgen des Katastrophentages wirkt hier alles halb so schlimm, zumal die Regenfälle in Essen zwar heftig, aber letztlich doch nicht verheerend waren. Dann aber schwillt die Ruhr beinahe minütlich an. Die gesammelten Wassermengen aus dem gesamten Ruhr-Einzugsgebiet im Sauerland und Bergischen Land, wo am Tag und der Nacht zuvor Unwetter tobten, strömen nun mit Urgewalt auch durch Essen.
Rund um die Gustav-Heinemann-Brücke stehen die Häuser rasch im Wasser
Als Erstes erwischt es die Gastronomie-Bierwagen und die Häuser kurz vor der Gustav-Heinemann-Brücke, deren ufernahe Kellergeschosse rasend schnell volllaufen. Auch die tiefer gelegenen Häuser zu Beginn der Laupendahler Landstraße sind schon um 9 Uhr von Wasser umspült und praktisch abgeschnitten, die Straße ist von der Feuerwehr gesperrt. Feuerwehrleute waten durch das stellenweise hüfthohe Wasser, um Menschen zu warnen und ihnen bei Bedarf beizustehen. Einigen leichtsinnig abgestellten Autos ist nicht mehr zu helfen. 40 Häuser müssen hier evakuiert werden.
Am späteren Vormittag trifft es dann die schicken Loft-Gebäude in den früheren Tuchmacher-Fabriken an der Neukircher Mühle und die Mehrfamilienhäuser kurz vor dem Werdener Stauwehr. Hektisch versuchen einige offenbar vollkommen überraschte Anwohner aus den Kellern zu retten, was zu retten ist. Aufhalten kann das Stauwehr gar nichts mehr. Der Baldeneysee ist selbst randvoll und an vielen Stellen schon über die Ufer getreten, was selten vorkommt und an manchen Stellen sogar ein völliges Novum ist.
Aus der fast lieblichen Ruhr wird binnen Stunden ein breiter, reißender Strom
Mit lautem Getöse, heftigem Wellengang und hoher Gischt ergießt sich die schmutzig-braune Brühe über das Wehr in das Werdener Ruhrtal. Die sonst so relativ harmlose, fast liebliche Ruhr ist nun ein breiter, reißender, respekteinflößender Strom, den es drängt, das gesamte Tal auszufüllen. Dicke Baumstämme, Teile von Booten, Stege, Müll aller Art und anscheinend die gesamten bunten Plastikbegrenzungen der Regattastrecke führt der Fluss mit sich. Wer hier aus Versehen hineingeriete, dem bliebe selbst als guter Schwimmer nur noch Beten.
Zahlreiche Schaulustige können sich diesem Schauspiel nicht entziehen, das wegen seiner naturgegebenen Gewalttätigkeit eben auch ein Faszinosum ist. Immer mehr Menschen finden sich am Stauwehr ein, um zu fotografieren und zu filmen und ihren Freunden die Ergebnisse zu senden. Je nach Temperament schweigen die einen andächtig, während andere eifrig miteinander fachsimpeln.
Atmosphäre ein wenig wie am Rheinfall in Schaffhausen
Von den Vereinshäusern an der Regatta-Tribüne kommen kleine Kinder in Schwimmwesten mit ihren Betreuern mit lautem Geschnatter übers Stauwehr gelaufen, um sich auf der Werdener Seite von der Wucht des Wassers gruseln zu lassen. Die Atmosphäre erinnert ein wenig an den Rheinfall in Schaffhausen, nur dass sich wenige Meter weiter in den Häusern am Ufer kleine Katastrophen abspielen.
Ein Verlierer ist die Natur selbst. Die Brehminsel wird völlig überspült, nur die Bäume schauen noch aus dem Wasser. Die wertvollen Biotope an der historischen Schleuse Neukirchen, aber auch die Sport- und Spieleinrichtungen sowie die Bänke und Aufenthaltsbereiche dürften durch die enorme Strömung stark beschädigt oder zerstört sein. In welchem Zustand die neue Brücke die Flut überlebte, ist noch nicht ganz klar. Die Brehm, soviel ist jedenfalls klar, dürfte eine Schlammwüste sein, wenn das Wasser sich zurückgezogen hat.
Was man auch Stunden danach kaum aus der Nase bekommt, ist der merkwürdige Gestank, der über halb Werden liegt. Es ist eine Mischung aus Ackerkrume, übergelaufenen Kläranlagen und Müll. Es wird dauern, bis jeder das wieder aus seinem Haus verbannt hat.