Essen. Sie lernen schon im Heimatland Deutsch, kommen dann an die Uniklinik Essen: Pflegekräfte vom Balkan werden hier heimisch. Nur eins vermissen sie.

Sie sind topqualifiziert und bei ihrer Ankunft in Deutschland trotzdem erstmal Anfänger: Pflegefachkräfte, die zum Beispiel vom Balkan an die Uniklinik Essen kommen. Wie Mubedjele Adjami Halabaku aus Nordmazedonien: „In der Einarbeitungszeit hatte ich immer einen Stift dabei, um mir etwas zu notieren. Hier werden viele Abkürzungen verwendet, die ich nicht kannte“, erzählt die 31-Jährige.

Schon in ihrem Heimatland hatte sie angefangen, Deutsch zu lernen – bei Null, wie sie betont: „Ich konnte nicht mal Brot oder Guten Morgen auf Deutsch sagen.“ Zuvor hatte sie bei einem Besuch in Essen erfahren, dass die Uniklinik Pflegefachkräfte suche: eine Chance für die junge Frau, die studierte Krankenschwester und Hebamme ist. „Das Leben in Deutschland ist besser, das Gesundheitssystem ist besser.“

Agentur betreut die Fachkräfte im Heimatland

Dem hiesigen Gesundheitssystem fehlen freilich Pflegekräfte, und so wirbt man verstärkt auch im Ausland, etwa in Nordmazedonien, erklärt Sarah Schönrock vom Internationalen Bewerbermanagement Pflege der Universitätsmedizin. Vor Ort kümmern sich häufig Agenturen um die Kandidaten, sorgen dafür, dass sie schon im Heimatland Sprachzertifikate erwerben und dass ihre Ausbildung hier anerkannt wird.

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Als Mubedjele Adjami Halabaku im August 2019 nach Essen kam, hatte sie die Anerkennungsurkunde schon dabei. Seither arbeitet sie als Gesundheits- und Krankenpflegerin in der Frauenklinik. Zwar ist ihr Abschluss als Hebamme noch nicht anerkannt, doch ihr Fachwissen ist natürlich nützlich. Man versuche die neuen Kräfte so einzusetzen, dass es zur bisherigen Laufbahn passt, so Schönrock. „Das hilft sehr, in einer anderen Abteilung wäre es schwerer“, sagt Mubedjele Adjami Halabaku.

Patienten und Kollegen seien ihr stets mit Geduld begegnet, wenn es mal Verständigungsprobleme gab. Mehr habe ihr die Digitalisierung zu schaffen gemacht: „Für mich war das Smart Hospital völlig neu.“ Heute hat sie sich gut eingelebt, nicht nur in der Uniklinik, auch in Essen: Ihr Mann, der aus dem Kosovo stammt, ist hergekommen, hofft dass sein Abschluss als Physiotherapeut bald anerkannt wird. „Ich fühle mich jetzt hier zu Hause.“

Große Sehnsucht nach der Familie

Dabei sei es für sie ein Riesenschritt gewesen, ihre Heimat zu verlassen und bis heute vermisse sie ihre Eltern, Geschwister, deren Kinder: „Ich war die erste aus der Familie, die ins Ausland gegangen ist.“ Eine schwere Entscheidung, die sich als richtig erwiesen habe.

Ähnlich klingt das bei ihrem Kollegen Eldar Ćatić, aus Bosnien-Herzegowina: „Ein herzförmiges Land, das schönste der Welt.“ Die wichtigsten Menschen dort seien die Eltern, sie lasse man nicht allein. Aber Ćatić ist nicht nur Sohn, sondern seit 2015 selbst Vater, und als solcher stellte er fest, „dass mein Kind in Bosnien keine Zukunft hat“.

Nach der Arbeit zum Sprachkurs

Er recherchierte im Netz, fragte Freunde, plante dann den Umzug nach Deutschland. Auch er wurde im Heimatland von einer Agentur betreut, was auch Druck erzeugte: Hätte er den Deutschkurs nicht bestanden, hätte er die vierstellige Gebühr nicht zurückerhalten. Schon damit sich die Investition auszahlt, paukte er an fünf Tagen pro Woche nach der Arbeit vier Stunden lang Deutsch. „Nach der Nachtschicht war es besonders hart.“

Ein Dreivierteljahr brauchte er, um das Sprachzertifikat zu erwerben, im Juni 2020 kam er nach Essen. Auch Ćatić, der schon zwölf Jahre als Krankenpfleger gearbeitet hat, musste sich mit unbekannten Abkürzungen und allgegenwärtiger Digitalisierung vertraut machen, mit Versicherungsfragen und Kostenträgern, die ihm Rätsel aufgaben.

Hilfe bei Qualifizierung, Familiennachzug, Integration

An der Universitätsmedizin Essen arbeiten Mitarbeiter vieler unterschiedlicher Nationalitäten: Sie spiegeln einmal die Vielfalt des Ruhrgebiets, zum anderen werden sie im Ausland rekrutiert. Dabei wird – gemäß dem Kodex der Weltgesundheitsorganisation (WHO) – nur in Ländern geworben, in denen kein Mangel an Pflegekräften herrscht. Zum Teil gibt es dazu Abkommen mit dem Bundesgesundheitsministerium im Rahmen der „Konzentrierten Aktion Pflege“, etwa mit den Philippinen und dem Kosovo.

Haupt-Rekrutierungsländer der Universitätsmedizin sind Nordmazedonien, Bosnien, Serbien, Kosovo, Philippinen, Mexiko; vereinzelt auch Griechenland oder Brasilien. Über das internationale Bewerbermanagement sollen seit 2019 bis Ende 2022 etwa 200 Pflegefachkräfte und Hebammen rekrutiert werden; bisher sind es etwa 50. Sie werden bei Integration, Qualifizierung, Anerkennung von Abschlüssen, Familiennachzug, Behördengängen unterstützt. Insgesamt arbeiten an der Universitätsmedizin Essen rund 3000 Pflegekräfte.

Mit den Patienten kam er ebenso gut klar wie mit dem geforderten Fachwissen: Ćatić war in Bosnien mit dem Herz befasst, auf einer internistischen Abteilung; nun arbeitet er in der Herzchirurgie. Das habe den Start erleichtert. „Aber sich mit Maske in einer neuen Sprache unterhalten, war schwierig.“

Geschichtslehrerin sattelt in Deutschland um auf Erzieherin

Dass er sich in Essen inzwischen zu Hause fühlt, liegt wohl auch daran, dass seine Frau und sein Sohn nach drei Monaten nachkommen konnten. Der Kleine besucht eine Kita, wird im August eingeschult. Seine Frau ist Geschichtslehrerin, wird hier aber vermutlich als Erzieherin arbeiten. Mangels Jobangebot habe sie schon in Bosnien Kinder betreut: „Bei uns muss man immer etwas improvisieren.“

In ihrer Heimat seien die Kollegen nach der Arbeit Kaffeetrinken gegangen, das habe sie hier nicht erlebt, sagt Mubedjele Adjami Halabaku. Jetzt, da Corona es zulässt, spreche sie Kolleginnen an, sich mal auf ein Getränk zusammenzusetzen: „Nun finde ich Freunde.“