Essen-Schonnebeck. Karl Waldvogel war sechs Jahre, als der Zweite Weltkrieg endete. Das Datum jährt sich zum 76. Mal. Im Gastbeitrag erinnert sich der Essener.

An das Kriegsende hat der Schonnebecker Karl Waldvogel (82) noch sehr lebendige Erinnerungen. Damals war er sechs Jahre alt und hatte, wie er erzählt, viel Zeit in einem eigens für Familien gebauten Luftschutzbunker verbracht. In einem Beitrag schildert er seine Erlebnisse und weiß auch 76 Jahre nach Kriegsende noch sehr genau, dass im Vorgarten seines Wohnhauses eine Bombe fiel. Den Ernst der Lage habe er kaum begreifen können, sagt er rückblickend.

Ich bin im Mai 1939 als jüngstes von sieben Kindern (vier Jungen und drei Mädchen) in Essen geboren. Der Krieg mit all seinen Schrecknissen, wie Fliegeralarm, Bombenangriff und Lauf in den Luftschutz-Bunker war für mich ganz normal. Ich kannte doch nichts anderes. Zwar wurde bei uns zuhause auch von „Friedenszeiten“ erzählt, dass man da alles kaufen und nachts sogar durchschlafen konnte, aber das war für mich wie aus einem Märchenbuch vorlesen.

Jede Familie hatte eigenen Bereich im Luftschutzbunker

So sah die zerstörte Innenstadt Essens nach den Bombenangriffen 1943/44 aus.
So sah die zerstörte Innenstadt Essens nach den Bombenangriffen 1943/44 aus. © Fotoarchiv Ruhr Museum | Willy van Heekern

Meine Eltern hatten 1927 mit der Siedlungsgenossenschaft „Eigene Tat“ (heute Gewobau) in Essen-Schonnebeck ein Einfamilien-Reihenhaus gebaut. Der Name Eigene Tat wurde damit begründet, dass die Erwerber der Häuser fast alle Handwerker waren, die ihren Berufen und Fähigkeiten entsprechend als Maurer, Schlosser, Klempner, Elektriker, Maler oder Handlanger beim Hausbau eingesetzt wurden. Sie ersetzten damit fehlendes Eigenkapital mit einer sogenannten „Muskelhypothek“. Die Siedlung bestand aus acht Reihenblocks mit insgesamt 36 Einfamilienhäusern in der Langemarck- und Steinmannshofstraße.

Als im März 1943 auch Essen schweren Luftangriffen ausgesetzt wurde, hatten die Siedler beschlossen, gemeinsam einen geräumigen Luftschutzbunker zu bauen, in dem alle Familien der Siedlung sicheren und ausreichenden Unterschlupf fanden. Im Bunker, der wie ein Bergbaustollen ausgebaut war, hatte jede Familie ihren eigenen Bereich. Manche hatten dort sogar Etagenbetten und Kanonenöfen aufgestellt. Wenn die Sirenen Fliegeralarm meldeten, mussten alle Menschen sofort den nächsten Luftschutzraum aufsuchen. Wir in der Siedlung hatten unseren eigenen Luftschutzbunker.

Notrucksack mit Ausweispapieren und Ersatzkleidung

Der Alarm und die Bombenangriffe kamen meist kurz nach Mitternacht. Dann wurde man aus dem Schlaf gerissen, musste sich ganz schnell anziehen und den „Notrucksack“ schultern, in dem sich für den „Fall der Fälle“ Ausweispapiere und Ersatzkleidung befanden. Für uns Kinder war das Schlimmste, aus dem Tiefschlaf gerissen zu werden. Im Bunker war es dann für uns Kinder interessant. Man brauchte nicht wieder zu schlafen und konnte auch andere Kinder bei ihren Familien besuchen.

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Den Ernst der Lage haben wir als Kinder gar nicht mitbekommen. Bei einem schweren Luftangriff auf Essen im Oktober 1944 fiel eine Bombe in unserem Vorgarten, die - Gott sei Dank - nicht detonierte. Als wir nach der „Entwarnung“ den Bunker verlassen durften, sahen wir die Bescherung. Wir wurden in eine andere Wohnung einquartiert, deren Bewohner nach Süddeutschland gebracht worden waren. Nach einer Woche wurde der Blindgänger entschärft und wir konnten wieder in unsere Wohnung. Nur einige Tage später fielen nachts wieder Bomben ganz in unserer Nähe. Das letzte Haus unseres Viererblockes und das erste des nächsten Blockes wurden vollständig zerstört. Da die Bewohner im Bunker waren, wurde niemand getötet. In unseren Fenstern und in denen unserer Nachbarn waren alle Scheiben zersplittert und zerbrochen.

Ausbildung zum Verwaltungsangestellten

Karl Waldvogel hat sich später zum Verwaltungsangestellten ausbilden lassen, erst bei der Emschergenossenschaft und dann beim Bistum in der Finanzabteilung gearbeitet, wo er 2002 in Rente ging. Gewohnt hat er sein Leben lang in Essen.

Bischof Franz Hengsbach hat er einst erzählt, dass er sich in seiner Karriere finanziell und ideell verbessert hat: vom Abwasser zum Weihwasser.

Kein geordneter Schulbetrieb in Essen

Ende März, Anfang April 1945 wurden deutsche Soldaten in die Wohnung unserer Nachbarn im ersten Haus unseres Blockes eingewiesen. Nach einigen Tagen hörten wir, „der Amerikaner stehe schon vor dem Rhein-Herne-Kanal“. Am 8. April waren die deutschen Soldaten verschwunden und die Amerikaner rückten mit ihren Panzern und ihrer Infanterie in Essen und auch in Schonnebeck ein. Alle Familien in unserer Siedlung mussten weiße Laken aus ihren Fenstern hängen und sich in den Luftschutzbunker zurückziehen. Am nächsten Tag konnten wir den Bunker verlassen und in unsere Wohnungen gehen.

Wo vorgestern noch die deutschen Soldaten saßen, wohnten heute amerikanische Soldaten. Am 11. April 1945 übernahm die amerikanische Armee die Macht und Verwaltung in Essen, im Stadtteil Werden erst am 17. April. Am 1. April wurde unser Jahrgang eingeschult, erhielt aber zu unserer Freude sofort Ferien, weil ein geordneter Schulbetrieb noch nicht stattfinden konnte. Wegen der häufigen schweren Bombenangriffe war die Glückauf-Schule mit allen 10- bis 14-jährigen Schülern und deren Lehrer nach Österreich in den Bregenzer Wald evakuiert worden. Auch waren einige Kriegsschäden zu beheben. Der Schulbetrieb wurde dann im Sommerhalbjahr wieder aufgenommen. Als Deutschland am 8. Mai 1945 kapitulierte, war der Krieg hier in Essen schon knapp einen Monat vorbei.