Essen. Noch einmal 5,9 Millionen nachschießen, um womöglich viel mehr zu gewinnen – vor diesem Dilemma steht die Essener Politik. Soll sie nachgeben?

Die beteiligten Städte, sie „können und werden keine weiteren Finanzmittel bereitstellen“, um die Steag zu retten. – So resolut diktierte Essens Stadtspitze es den Ratsmitgliedern für die März-Sitzung in den Block, und so nahm es das Stadtparlament auch zu vorgerückter Stunde zur Kenntnis. Allein: Fünf Wochen später scheint die trotzige „Wir geben nix“-Position wieder zu kippen. Steag braucht Geld, gut 5,9 Millionen Euro allein aus Essen. Ein letztes Mal.

„Nur dieses eine Mal noch“, solch quengeligen Formulierungen wollten sie in Essen eigentlich nicht mehr nachgeben. Schließlich haben die Stadtwerke Essen schon einen Großteil jener 56 Millionen abschreiben müssen, die sie einst mit großen Erwartungen in den Kohlestrom-Erzeuger investiert haben – und die Stadt stellte erst vor drei Jahren nochmals 20 Millionen als Kredit bereit. Das musste reichen.

Es geht darum, drei Jahre Zeit zu gewinnen für einen Umbau des Unternehmens

Tat es aber nicht. Die Steag, einer der größten Stromerzeuger der Republik, steht mit dreistelligen Millionensummen im Feuer und braucht noch einmal dringend Geld, um das Überleben zu sichern: Mit der RAG-Stiftung als Treuhänderin wollen die beteiligten Städte gut drei Jahre Zeit gewinnen, um einen grundsätzlichen Umbau des Unternehmens hinzubekommen, weg vom Kraftwerks-Bauer und -Betreiber alter (fossiler) Schule, hin zu einem Mitspieler im Markt der erneuerbaren Energien. Erst dann, so lautet die Devise, ist der Laden attraktiv genug für den geplanten Verkauf an einen Investor.

Steag-Gesellschafter: Eine Rettung zu viert?

Sechs Revierstädte haben einst über ihre Stadtwerke die Anteile der Steag von Evonik übernommen. Als Zwischenkonstrukt dient eine Beteiligungsgesellschaft namens KSBG.

Den jetzt anstehenden „letzten Strohhalm“ wollen nur vier Anteilseigner ergreifen: Dortmund (36 %), Duisburg (19 %), Essen (15 %) und Dinslaken (6 %).

Bochum (18 %) und Oberhausen (6 %) scheren aus. Damit erhöht sich der Anteil der verbleibenden Städte an den benötigten 30 Millionen Euro. Essen müsste 5,922 Millionen beisteuern.

Der RAG-Stiftung als Treuhänder kommt dabei die Aufgabe zu, das politische Klein-Klein der Städte zu vermeiden – und ihre Uneinigkeit obendrein. Lange sträubte sich Dortmund gegen einen Verkauf, und kaum lenkt der Revier-Nachbar ein, kaum ist die erneute Geld-Forderung auf dem Tisch, winken zwei der fünf Mitgesellschafter Essens ab: Bochum und Oberhausen bleiben bei ihrem Nein zu weiteren Finanzspritzen.

Ein Sanierungs-Gutachten sieht den Wert einer sanierten Steag bei 200 Millionen plus X

Wie Essen agiert, ist noch nicht raus: In zwei Sitzungen soll eine Linie gefunden werden, am Donnerstag kommen Stadtwerke-Aufsichtsräte zusammen, und für Freitag hat der Oberbürgermeister die Chefs der Ratsfraktionen zu einer Videokonferenz eingeladen, bei der das Thema ebenfalls eine Rolle spielt.

Auf Seiten der Stadtwerke, so ist zu hören, sieht man bei aller Vorsicht eher die Chancen, die eine neuerliche Finanzspritze auslöst: Ein Gutachten der Unternehmensberater von Roland Berger hatte den Unternehmenswert einer sanierten Steag auf 200 bis 800 Millionen Euro. Je höher der Verkaufserlös am Ende, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass man seinen Einsatz größtenteils, womöglich gar in Gänze wiederbekommt.

Ohne die 30 Millionen Euro droht der Steag in absehbarer Zeit die Insolvenz

Und wenn nicht? Dann sind neben den 76 Millionen weitere 5,9 Millionen futsch. „Niemand will seinem schlechten Geld noch gutes Geld hinterherwerfen“, so bringt einer der beteiligten Politiker das Dilemma auf den Punkt. Andererseits wollen Kenner der Materie wissen, dass die Steag ohne die 30 angefragten Millionen kaum noch zu retten sei. „Dann ist definitiv alles weg.“ Das Investment der Stadtwerke und der Stadt verloren, die Steag in absehbarer Zeit gar insolvent. „So lautet das Szenario.“

Das Problem ist, dass es auch im Falle erneut zugeschusterter 30 Millionen Euro keine Garantie dafür gibt, dass der Aufbruch der Steag zu neuen Ufern gelingt. Immerhin handelt es sich um ein sogenanntes IDW-S6-Gutachten, das sich an Standards des Instituts der Wirtschaftsprüfer anlehnt. Will sagen: Was da vorliegt, ist alles andere als ein Gefälligkeits-Gutachten, aber eine Garantie, dass der Coup gelingt und Steag ab 2024 im Markt der erneuerbaren Energien einen behaglichen Platz findet, kann auch Roland Berger nicht bieten.

Immerhin, wer jetzt mitmacht, profitiert später mehr vom Verkaufserlös der Steag. Bis zu einem Preis von 375 Millionen Euro gibt es einen Bonus. Wenn’s schief geht, kann man sich dafür allerdings auch nichts kaufen.