Essen. Was die Stadtwerke nicht schafften, soll die RAG-Stiftung vollbringen. Es geht um viel: Allein für Essen stehen rund 76 Millionen Euro im Feuer.

Es nützt ja nichts, die Sache zu beschönigen: „Diese Entscheidung würden wir heute nicht mehr treffen“, sagt CDU-Ratsherr Dirk Vogt gleich zu Beginn der Ratsdebatte kleinlaut – und erntet vielerorts stilles Nicken. Nicht noch einmal die Stadtwerke vorschicken, um sich an einem Energiekonzern zu beteiligen. Nicht noch einmal mit der Steag das ganz große Unternehmens-Rad drehen: Gemeinsam mit den Revier-Nachbarn hat man hier vor zehn Jahren Energie-Monopoly gespielt – und verloren. Nicht weniger als 76 Millionen Euro stehen allein für Essen im Feuer, und nun soll die RAG-Stiftung retten, was das da noch zu retten ist, den Segen des Essener Stadtrates haben sie.

Denn zu vorgerückter Stunde fiel am Mittwoch im nichtöffentlichen Teil der Ratssitzung die Entscheidung, die Essener (Stadtwerke-)Anteile an der Steag, gehalten über die Beteiligungs-Gesellschaft KSBG, treuhänderisch weiterzureichen. Man verbindet damit die Hoffnung, dass der RAG-Stiftung als Treuhänderin oder einer ihrer Tochterfirmen gelingt, was die Revier-Stadtwerke in 15 Monaten nicht hinbekommen haben: einen Käufer für die Steag zu finden, die Firma zu sanieren und den angeschlagenen Energiekonzern damit zu retten.

Kommunen als Anteilseigener – „wie ein krakeelender Hühnerhaufen“

Kenner der Materie machen für das Misslingen den Umstand verantwortlich, dass Dortmund aus der Phalanx der Revier-Stadtwerke ausscherte und seine Anteile eben nicht zum Kauf stellen will. Wer sollte, so klagte man auch in Essen, einen Energiekonzern kaufen, bei dem er nicht allein das Sagen hat? Andere finden, das Scheitern der Verkaufs-Bemühungen wie überhaupt des Steag-Investments liege darin begründet, dass die Kommunen „wie ein krakeelender Hühnerhaufen“ agierten. Und zudem keine Ahnung vom Geschäft hatten.

Denn was da einst mit 56 Millionen Euro in den Büchern der Stadtwerke Essen stand und dort inzwischen auf 15 Millionen abgeschrieben wurde, hat so gar nichts von der Überschaubarkeit sonstiger kommunaler Vorhaben. Steag betreibt Kraftwerke bis zur Türkei und den Philippinen, verfolgt Fernwärme-Projekte in Polen, ist in Kolumbien aktiv und bohrt den Vulkan-Boden Indonesiens an, in der Hoffnung, sich dort Geothermie nutzbar machen zu können.

Sechs Städte und ein Problem: Wie wird man Steag los?

In zwei Tranchen kauften 2011 und 2014 sieben Stadtwerke aus sechs Revier-Städten der Evonik Industries sämtliche Anteile an der Steag GmbH ab. Der Kohle-Verstromer mit Sitz in Essen ist der fünftgrößte Stromerzeuger Deutschlands und beschäftigt rund 6300 Mitarbeiter, etwa die Hälfte davon im Ausland.Beteiligt sind die Stadtwerke aus Dortmund (36 %), Duisburg (19 %), Bochum (18 %) und Essen (15 %) sowie Oberhausen und Dinslaken (jeweils 6 %).Die Umwälzungen auf dem Energiemarkt führten dazu, dass im Juni 2019 eine Verkaufsvereinbarung geschlossen wurde, doch der Versuch, die Steag an einen Investor loszuwerden, scheiterte. Im September vergangenen Jahres lief die Vereinbarung ungenutzt aus.

Seit 2016 keine Auszahlungen mehr für die Stadtwerke Essen

Das konnte die örtliche Politik ebenso staunend wie achselzuckend zur Kenntnis nehmen, solange Steag genug Geld verdiente, um die Ausschüttungen sicherzustellen. Ausschüttungen, mit denen das Stadtwerke-Konsortium seine Kredite für den Steag-Kauf bediente. Doch im Zuge der Umwälzungen auf dem Energiemarkt kamen die Steag-Erlöse erst ins Stocken und versiegten dann vollends. Seit 2016 gab’s keine Auszahlung mehr für die Stadtwerke Essen. Stattdessen musste die Stadt bei der Finanzierung aushelfen, Essen etwa mit einem 20-Millionen-Euro-Darlehen ihrer Firmen-Holding EVV.

Die Finanzlage der Steag ist kritisch, zumal Corona und Kohle-Aus zusätzliche finanzielle Belastungen auslösen. Eine im Dezember getroffene Stillhalte-Vereinbarung mit den Banken läuft dieser Tage aus. Groß ist die Sorge, dass die Banken noch einmal die Hand aufhalten, bevor sie ihr Okay zum Treuhand-Vertrag und den Sanierungsplänen erklären. Zwar signalisiert man in Essen wie auch in den anderen Anteils-Kommunen, kein weiteres Geld nachzuschießen. Aber gilt dies auch für den Fall, dass die Banken drohen, die Kreditlinie zu kündigen?

Im schlimmsten Fall wären 76 Millionen Euro für Essen futsch

Im schlimmsten Fall wären 76 Millionen Euro für Essen futsch, im besten Fall ließe sich mit einer erneuten Finanzspritze ein Neuanfang einleiten, der zwar 1000 der 6000 Arbeitsplätze kostet, dem Unternehmen aber eine Zukunft beschert und den Anteilen einen neuen Wert.

Noch ist ein neuer Zuschuss offiziell kein Thema, man hofft darauf, dass die RAG-Stiftung als Treuhänderin die Sache schaukelt: Sie darf Vermögen der Steag verkaufen, Beteiligungen, Anteile oder gleich die komplette Beteiligungsgesellschaft KSBG. Das bis Ende 2023 fällige Salär von 1,75 Millionen Euro für die Stiftung ist dem Vernehmen nach eher knapp bemessen. Und als Partner ist die Stiftung gut gewählt: Sie ist Hauptaktionärin bei Evonik Industries, die die Steag einst an die Stadtwerke verkauften.