Essen. Essens Gesundheitsdezernent sagt, was viele Praktiker wissen: dass Migranten öfter infiziert sind. Die Gründe sind wichtig, um helfen zu können.

Wer Probleme lösen will, kommt nicht umhin, sie zunächst klar zu benennen. Das hat Gesundheitsdezernent Peter Renzel getan, als er offen über seine Erkenntnis sprach, dass Menschen mit Migrationshintergrund überdurchschnittlich oft mit dem Virus infiziert werden – was nebenbei bemerkt, keineswegs nur ein Essener Phänomen ist.

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Nun ist bei kritischen Fragen und Thesen zum Großthema Integration Klarheit nicht eben an der Tagesordnung, weil der Vorwurf des Rassismus allzeit griffbereit ist und nicht jeder Lust hat, sich dem auszusetzen. Der Stadtdirektor hat den erwartbaren Gegenwind auf sich genommen, und zwar nicht zuletzt deshalb, weil das Pochen auf Political Correctness beim Thema Corona-Infizierung besonders widersinnig ist. Denn wer nicht wahrhaben will, dass es hier ein spezielles Problem gibt, gefährdet unter Umständen unnötig Menschenleben.

Das Abzählen und Analysieren von Namen kann sehr wohl wichtige Hinweise liefern

Was genau hat Peter Renzel also eigentlich verbrochen, da ihn die Grünen mit dem Rassismusvorwurf überziehen und ihm populistische Umtriebe nachsagen? Er hat das, was viele Corona-Praktiker in Ämtern und im Gesundheitswesen längst wissen, versucht mit Zahlen zu untermauern. Renzel weiß selbst, dass das Abzählen von Namen auf den Listen der Infizierten keinen wissenschaftlichen Anspruch haben kann. Sehr wohl aber kann eine solche Hilfs-Methode wertvolle, weil rasche Hinweise darüber liefern, wo die Stadt intensiver tätig werden muss, um das Bewusstsein für die Gefahren zu stärken, aber auch um Menschen zum Impfen zu bewegen.

Dies muss jetzt geschehen, nicht irgendwann in der Zukunft, wenn vielleicht einmal wissenschaftliche Studien vorliegen, die in der Tat fehlen. Aber das hilft im Moment eben nicht weiter. Es erstaunt, dass ausgerechnet die Grünen hier plötzlich alle Zeit der Welt zu haben scheinen. Bundesweit fordern die Grünen den starken Staat, der bei der Bekämpfung der Pandemie kaum offensiv und rabiat genug sein kann. Möglichst genaues Wissen um die Probleme ist dafür doch wohl die Voraussetzung. Beim Thema Migranten und ihrer durchschnittlich signifikant höheren Infizierungsrate wirkt der Erkenntnisdrang der Grünen aber merkwürdig gedämpft.

Renzels Kritiker übersehen Gemeinsames – es juckt sie, mal wieder jemanden zum Rassisten zu erklären

Dabei will Renzel alles, aber sicher keinen Kulturkampf führen und auch keine Sündenböcke markieren. Er hat klar betont, dass er die sozioökonomischen Umstände für eine zentrale, wenn auch nicht die einzige Ursache der höheren Ansteckungsraten hält und ist dabei seinen Kritikern eigentlich ziemlich nah. Doch die übersehen das geflissentlich, weil es sie juckt, mal wieder jemanden zum potenziellen Rassisten zu erklären. Das ist absurd und ja, auch schäbig.

Gerade am Vorabend einer neuen Lockdown-Verschärfung gilt: Es muss noch mehr als bisher versucht werden, Menschen zu erreichen, die aus sozialen, sprachlichen, aber auch kulturellen Gründen wie der starken Familienbande besonders häufig Opfer des Virus werden. Neben den individuellen gesundheitlichen Tragödien, geht es dabei um die Folgen für die gesamte Stadtgesellschaft. Hohe Inzidenzen, die so nicht sein müssten, führen zu weniger Lebensqualität und zu mehr Lockdown-Elend auf allen Ebenen – wirtschaftlich, schulisch, psychosozial.

Es ist deshalb überfällig, wenn die Stadt eine gezielte Info-Kampagne starten will, die speziell Migranten besser anspricht als dies offenbar bisher der Fall war. Auch neue Wege sollten dabei möglich sein. Und wenn das Abzählen und Analysieren von Namen dabei hilft, dann soll man es machen.