Essen. Bei der Verlegung von Stolpersteinen für jüdische NS-Opfer waren Nachfahren zugeschaltet, die heute in Nord- und Südamerika leben.

Wenn Stolpersteine zur Erinnerung an NS-Opfer verlegt werden, verfolgt die Zeremonie meist eine Handvoll Menschen vor Ort. Ganz anders war es jetzt am Edmund-Körner-Platz in Essen: Dem Ereignis schauten Menschen in Südamerika, den USA und mehreren deutschen Städten zu. Sie waren per Zoom zugeschaltet.

Sohn gelang gemeinsam mit seiner Familie die Flucht nach Kolumbien

Es ist das letzte gemeinsame Foto der Familie, das 1941 entstand. Es zeigt Albert (l.) und Tochter Meta Heidt (hinten rechts), Bruder Ernst (hinten Mitte) mit Frau Ida (l.) sowie deren Eltern Berta und Jacob Kahn. Vorne: Ilse und Kurt Heidt.
Es ist das letzte gemeinsame Foto der Familie, das 1941 entstand. Es zeigt Albert (l.) und Tochter Meta Heidt (hinten rechts), Bruder Ernst (hinten Mitte) mit Frau Ida (l.) sowie deren Eltern Berta und Jacob Kahn. Vorne: Ilse und Kurt Heidt. © Oppenheim

Dass die Aktion weit über Grenzen hinaus Beachtung fand, hängt eng mit dem Schicksal derer zusammen, denen in letzter Minute die Flucht vor dem NS-Regime gelang, während Verwandte von ihnen umgebracht wurden. So sind die neuen Stolpersteine den beiden jüdischen Mitbürgern Albert und Meta Heidt gewidmet. Der Vater wurde 1942 in Treblinka, die Tochter im gleichen Jahr in Sobibor ermordet.

Der Sohn von Albert, Ernst mit Vornamen, hatte sich ein Jahr zuvor dazu entschieden, gemeinsam mit seiner Familie und den Schwiegereltern nach Kolumbien auszuwandern. Die Wege für die Emigration hatte sein Schwager geebnet, der die Verfolgung durch die Nazis mehr und mehr unerträglich fand und dem es gelang, 1935 ein Arbeitsvisum für Kolumbien zu bekommen. Nach der Reichspogromnacht 1938 suchte er den Kontakt zum Präsidenten des Landes und überzeugte ihn, dass Ernst Heidt samt Familie auch ein Visum erhalten sollte.

Vater war stolz auf seine Heimat und wollte sie nicht verlassen

Urenkel setzte sich für Stolpersteinaktion ein

Der Urenkel Alberto Dorfzaun, der sich für die Stolpersteinaktion eingesetzt hat, war Präsident der Jüdischen Gemeinde Quito in Ecuador. Er ist Gründer einer Bank, die sich ausschließlich der Mikrokreditvergabe widmet, und leitet ein Familienunternehmen, das Panamahüte exportiert. Mit seiner Frau hat er drei Kinder und vier Enkelkinder.

Im Gedenkbuch der Synagoge sind Aussagen der Enkelin von Albert Heidt vermerkt. Danach war er ein sehr humorvoller Mensch, der mit seinen Enkelkindern gern den Zirkus Hagenbeck besuchte. Am Sabbat führte er Aufsicht während des Gottesdienstes. Die Ausreise seines Sohnes hielt er für Abenteuer.

Albert Heidt, von Beruf Kaufmann, wollte indes seine Heimat nicht verlassen. Er war stolz darauf, ein deutscher Bürger zu sein, im Ersten Weltkrieg hatte er für sein Vaterland gekämpft und als bekennender Rheinländer und aktiver Karnevalist konnte und wollte er sich nicht vorstellen, dass man ihm etwas anhaben könnte. So erzählt es sein Urenkel Alberto Dorfzaun, der heute in Ecuador lebt und die Stolpersteine gestiftet hat. Versuche, den Urgroßvater umzustimmen, liefen ins Leere. Eine Rolle mag sicherlich auch gespielt haben, dass Albert Heidt bei der Auswanderung seiner Verwandten im Jahr 1941 bereits 73 Jahre alt. Tochter Meta (48) wollte nicht gehen, weil sie einen Freund hatte und sich zudem um ihren Vater kümmerte, der schon seit fast zwei Jahrzehnten Witwer war. Der Grabstein seiner Frau Emma, die aus Steele stammte, ist noch auf dem Segeroth-Friedhof vorhanden.

Sohn Ernst hatten die Nazis in der Reichspogromnacht mit vorgehaltenem Gewehr gezwungen, alle 500 Glühbirnen in der Synagoge zu entzünden, während sie die Thorarollen aus dem Schrank holten, alles mit Benzin übergossen und in Brand steckten.

Flucht endete erst einmal in einem Gefangenenlager auf Kuba

Als sich nun Ernst Heidt mit den Seinen im Oktober 1941 mit insgesamt 216 Flüchtlingen in Barcelona an Bord eines Schiffes begab, das sie nach Havanna auf Kuba bringen sollte, ahnte noch keiner, was auf sie zukommen werde. Als das Schiff den Hafen erreichte, war es der 7. Dezember 1941. An dem Tag hatten die Japaner Pearl Harbor überfallen und die USA traten kurz darauf in den Zweiten Weltkrieg ein. Zugleich drängten die USA verbündete wie Kuba diplomatische Beziehungen zu Spanien, das zu der Zeit von Diktator Franco regiert wird, abzubrechen. Das Schiff musste Kuba zwar wieder verlassen, aber dem Schwager in Kolumbien gelingt es, dass Heidts bleiben dürfen, allerdings kommen sie in ein Gefangenenlager. Nach gut einem Monat dürfen sie mit Hilfe des Jüdischen Weltkongresses und des Schwagers nach Kolumbien ausreisen. Dort werden die Einwanderer aus Deutschland eher zufällig von der ebenfalls jüdischen Familie Dorfzaun, die aus Bayern stammt und auch geflohen ist, empfangen. „Fast zehn Jahre nach dieser Begegnung haben meine Eltern geheiratet“, schreibt Alberto Dorfzaun und meint damit Ilse, Tochter von Ernst Heidt, und Kurt Dorfzaun, einen Sprößling der bayerischen Familie.

Viele Jahre im Haus der jüdischen Gemeinde gelebt

Die Familie Heidt lebt heute verstreut über den amerikanischen Kontinent. 44 Nachfahren haben in Ländern wie Ecuador, Kolumbien oder den USA eine Heimat gefunden, so Alberto Dorfzaun. Einige von ihnen haben die Verlegung der Stolpersteine verfolgt, ebenso aber auch israelische Botschaftsvertreter in Ecuador, die in Chile lebende Tochter des Fotografen, der die Familie ein letztes Mal abgelichtet hatte. Ferner waren auch Nachfahren von Hugo Hahn, des letzten Rabbis der jüdischen Synagogengemeinde in Essen, zugeschaltet. Die Familien Hahn und Heidt lebten im Gemeindehaus an der damaligen Steeler Straße 29, heute Edmund-Körner-Platz 2 , unter einem Dach, da sich Albert und Angehörige ehrenamtlich in der Gemeinde engagierten. Nach dem erzwungenen Auszug aus dem jüdischen Gemeindehaus kam Familie Heidt zunächst bei Freunden unter, dann in der Hachestraße 20, anschließend fanden sie in der Lindenallee 61 eine Wohnung. Die letzten Wochen vor ihrer Deportation.

Darüber hinaus haben auch noch Freunde und Bekannte von Familien bei der Stolperstein-Verlegung zugeschaut, die der Familie Heidt in den schwierigen Zeiten geholfen und sie beispielsweise mit Lebensmitteln versorgt haben.

Wenn nun die Stolpersteine am Edmund-Körner-Platz liegen, dann entspricht das einer wichtigen Intention des Künstlers Gunter Demnig: Die Gedenkorte sollen dort geschaffen werden, wo sich der letzte Wohnsitz der Opfer befand, über den sie selbst und freiwillig entschieden haben. Die so genannten Judenhäuser an der Hachestraße waren es nicht.