Essen. . Die Alte Synagoge in Essen hat eine wechselvolle Geschichte. Ein neues Buch lässt das Bauwerk selbst erzählen, macht es zum Kronzeugen.

Sie ist kein Gebetshaus mehr und nicht allein Erinnerungsort: Als Haus jüdischer Kultur will sich die Alte Synagoge einer starren Festlegung entziehen. „Es kann nicht verwunderlich sein, dass die Alte Synagoge ein Stück weit uneindeutig bleiben soll: Museum, Gedenkstätte, Kulturzentrum und Erlebnisort – diese Funktionen bleiben nebeneinander bestehen.“ So notieren es Martina Strehlen und Peter Schwiderowski in ihrem Beitrag für ein Überblickswerk, das jetzt im Klartext-Verlag erschienen ist.

Darin wird beschrieben, wie das Bauwerk selbst über seine wechselvolle Geschichte Auskunft gibt: Abzulesen etwa an Ein- und Umbauten im Inneren; Wunden, die nicht allein die Nazis 1938 in ihrer Zerstörungsabsicht verursachten. Sondern auch eine Nachkriegsgesellschaft, die die Synagoge 1961 wenig zimperlich zum Haus für Industrieform umwidmete. „Torarollenschrank und Frauenempore wurden abgebrochen, die Kuppel durch eine Zwischendecke versteckt“, erzählt der Leiter des Hauses, Uri Kaufmann. Fast original erhalten blieb das Äußere, das noch von jenem Stolz erzählt, mit dem der Bau 1913 eröffnet worden war.

Gemeinsames Gedenken?

Das Buch „Alte Synagoge Essen – Haus jüdischer Kultur“ beschreibt nun, wie sich die 1980 doch noch eröffnete Gedenkstätte entwickelte. Das geht selbstredend nicht ohne einen Beitrag von Edna Brocke, die das Haus von 1988 bis 2011 leitete und formte. Brocke benennt darin ihre Vorbehalte gegen eine Erinnerungskultur, die Erwartungen der Mehrheitsgesellschaft mit denen jüdischer Kreise verbinden wolle, obwohl ein gemeinsames Gedenken kaum möglich sei.

So sei bei ihrer Amtsübernahme die Gesellschaft „primär auf die Wiederherstellung der eigenen zerstörten kollektiven Identität fokussiert gewesen“, etwa mit Verweis auf den Widerstand. Auch die Ausstellung in der Alten Synagoge, die Brocke damals vorfand, widmete sich dem Widerstand und gehörte ihres Erachtens an einen anderen Ort. Für die Synagoge sah sie eine Dauerausstellung, „die sich mit der jüdischen Geschichte, jüdischem Leben und mit den früheren Erbauern dieses Hauses befassen sollte“.

Die heutige Ausstellung löst dies ein, zeigt jüdische Tradition wie jüdischen Way of Life. In einem umfassenden Beitrag für das aktuelle Buch führt Uri Kaufmann durch die Schau und die Geschichte, zeigt Exponate, liefert Erklärungen. Drei Jahre haben er und sein Team – mit Gastautoren – an dem Band gearbeitet, „mit dem wir auch unsere Sammlung dokumentieren wollten, die viel interessantes Material für Forscher enthält“. Derzeit bereite man einen Archiv-Führer vor, der 2017 erscheinen soll.

Kritischer Ausblick

Die jetzige Neuerscheinung, die auch auf Englisch vorliegt, liefert nicht nur Experten einen lesenswerten Überblick über Architektur und Geschichte der Synagoge. Mit dem beschriebenen Wandel der Erinnerungskultur weist das Buch über lokale Fragestellungen hinaus. Und in einem kritischen Ausblick mahnt Edna Brocke, die große Zahl von Menschen aus muslimischen Ländern, die 2015 nach Deutschland gekommen sei, erschwere ein kollektives Erinnern; zumal „viele Zuwanderer und ihre mitgebrachten Kulturen in hohem Grade durch Feindschaft gegen Juden und religiösen Antisemitismus geprägt worden sind“.

Während Edna Brocke hier „ernsthafte Existenzfragen“ für die Alte Synagoge aufgeworfen sieht, muss ihr Nachfolger nach Antworten suchen. Auch Uri Kaufmann hat Ressentiments arabischer Jugendlicher erlebt; nun will er die Zusammenarbeit mit den Schulen verstärken. Man müsse diese Herausforderung annehmen, „auch wenn es nicht leicht ist, eingefleischte Vorurteile aufzubrechen“.

Zum Buch und zum Bauwerk:

„Alte Synagoge Essen – Haus jüdischer Kultur. Die Dauerausstellung“ ist im Klartext-Verlag erschienen und für 19,95 Euro im Handel erhältlich (ISBN: 978-3-8375-1450-6). Das Buch hat 208 Seiten und viele farbige Abbildungen. Herausgeber ist die Alte Synagoge, Oberbürgermeister Thomas Kufen verfasste ein Vorwort.

Die 1913 eröffnete Alte Synagoge gehört zu den größten freistehenden Synagogenbauten Europas. Die Autoren schildern den Weg des von den Nazis zerstörten Gebetshauses von der Nutzung als Haus Industrieform (Bild re.) bis zum heutigen Haus jüdischer Kultur. Ausstellung und Exponate werden vorgestellt.