Essen. Schwitzen im Fitness-Club und eine Party im Restaurant – das könnte ab 26. April testweise möglich sein. Doch wer viel erwartet, wird enttäuscht.
Endlich mal wieder ins Fitness-Center gehen. Oder ein Fest feiern, bevor das vermaledeite Coronavirus der Gaststätte ums Eck endgültig den Garaus macht – mit diesen Plänen hat sich Essen als NRW-weite Modellstadt für eine vorsichtige Öffnungspolitik beworben. Am Freitag gab das Land offiziell den Zuschlag: Ab dem 26. April könnte es also losgehen, doch bevor jetzt Wirte und Fitnessclub-Betreiber ausgelassen die Rettung aus dem Lockdown feiern, empfiehlt sich ein Blick aufs Kleingedruckte.
Denn da stehen so viele Wenns und Abers, dass es ratsam scheint, die Vorfreude etwa zu zügeln. Kein Wunder, dass auch Oberbürgermeister Thomas Kufen in einer ersten Stellungnahme spürbar Zurückhaltung walten ließ: „Über die Auswahl durch das Land freuen wir uns sehr“, formulierte der OB knapp – und dass man nun auf „weiteres Infos“ des Landes wartet.
Hier ein Beerdigungs-Kaffee, dort eine Hochzeits-Gesellschaft – das war’s
Denn noch ist nicht klar, ob sich das Land beide vorgeschlagenen Essener Modellvorhaben herauspickt oder nur eines: Beworben hatte sich die Stadt einerseits mit einem ausgeklügelten Konzept, private Feiern in der Gastronomie zu ermöglichen. Dabei sollen neben Testungen auch elektronische Kontaktverfolgungs-Möglichkeiten zum Einsatz kommen. Andererseits will man austesten, unter welchen Bedingungen ein gut gelüftetes Fitness-Center wieder zum kollektiven Schweißausbruch einladen kann.
Das Essener RWI sorgt für die wissenschaftliche Begleitung
Wer immer da testweise in der Gaststätte feiern darf, weiß nicht nur Freunde und Familie an seiner Seite sondern auch die Wissenschaftler des RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung in Essen.Big Data-Analysten, Ökonomen, Statistiker und Gesundheitsexperten sollen das Modellprojekt gemeinsam beobachten und bewerten. Eine erste Zwischenbilanz dürfte Mitte Mai vorliegen.
Betonung auf: e i n Fitness-Center. Auch die Gastro-Offensive für private Feiern dürfte dem Vernehmen nach in einem sehr überschaubaren Rahmen erfolgen. Hier ein Beerdigungs-Kaffee, dort eine Tauffeier, vielleicht eine Hochzeitsgesellschaft und dazu ein Jubiläums-Essen, das war’s. Schon bei der Verkündigung der 46 Modellvorhaben – darunter 21 Kreise und neben Essen 24 weitere Städte – machte NRW-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart deutlich, dass der Feldversuch „in einem räumlich eng begrenztem Rahmen“ stattfinden müsse, „so dass immer wieder Schranken da sind für Testungen“.
Bei Projektstart muss der Inzidenzweit unter 100 liegen. Essen rangiert bei 110,5
Bereits der Einstieg in das – wissenschaftlich begleitete – Modellprojekt kennt ein K.o.-Kriterium, das die Stadt derzeit erfüllt. Der sogenannte Inzidenzwert, also die Zahl der infizierten Personen pro 100.000 Einwohner im Durchschnitt der letzten sieben Tage, darf zum Projektbeginn nicht über 100 liegen. In Essen rangierte er am Freitag aber bei 110,5.
Das ist insofern nicht schlimm, als die Öffnungs-Offensive in zwei Wellen vonstatten gehen soll und Essen erst in der zweiten Runde ab 26. April mit von der Partie sein soll. Steigt die Zahl der Infektionen im Verlauf des Modellversuchs spürbar, wird das Vorhaben abgebrochen. Es sei denn, so Wirtschaftsminister Pinkwart, „die Stadt legt schlüssig dar, dass das Projekt nicht wesentlich zum Anstieg beigetragen hat“.
Das Land verspricht, die Öffnungspläne „hochsensibel und verantwortlich“ anzugehen
Es bleibt also Raum für Interpretation, wiewohl der Minister den wissenschaftlichen Anspruch der Öffnungsstrategie betont – und gleichzeitig versichert, man werde „hochsensibel und verantwortlich“ vorgehen. Voraussichtlich in der kommenden Woche beginnen die Gespräche mit der Stadt über die Ausgestaltung des Vorhabens. Der Weg zu Fitness und Feier ist also noch weit.